Deutschland produziert seinen Strom zunehmend mit Flüssigerdgas. Das kommt per Schiff statt Pipeline – und kann so höhere Emissionen verursachen. Eine Analyse.
Schwimmendes LNG-Terminal in Lubmin
Die ersten deutschen LNG-Terminals, die seit Kurzem die Importe von Flüssigerdgas möglich machen, haben bei Politikern und Unternehmern Begeisterung ausgelöst.
Bild: dpa
Düsseldorf Deutschland deckt seinen Erdgasbedarf zunehmend mit Flüssigerdgas. Im vergangenen Jahr importierte die Bundesrepublik laut dem Marktforschungsunternehmen Icis rund 485.000 Gigawattstunden Erdgas aus Belgien und den Niederlanden – mehr als viermal so viel wie im Jahr davor. Die beiden Länder wiederum steigerten ihre Importe von Flüssigerdgas (LNG) zugunsten von Deutschland um rund 120 Prozent. Zugleich lieferte Deutschland kaum noch Pipelinegas nach Frankreich, weshalb Frankreich seine LNG-Importe verdoppelte.
Deutschlands Gasbedarf sorgt somit für höhere LNG-Importe in mehreren Ländern Europas. Und auch die ersten deutschen LNG-Terminals, die seit Kurzem die Importe von Flüssigerdgas direkt nach Deutschland möglich machen, haben bei Politikern und Unternehmern Begeisterung ausgelöst.
Doch das hat Folgen für die Umwelt. Fast gerät in Vergessenheit, dass Deutschland sich über Jahrzehnte bewusst gegen Flüssigerdgas-Importe entschieden hatte. Ein Grund dafür: die schlechte Klimabilanz von LNG. Denn das Flüssigerdgas stammt teils aus weit entfernten Ländern wie den USA oder von der Arabischen Halbinsel. Schiffe transportieren es über Tausende Kilometer und stoßen dabei CO2 aus. Die massiven LNG-Importe Europas werfen die Frage auf, wie groß deren Auswirkungen aufs Klima sind.
Eigentlich wollte die Bundesregierung Gas als Brückentechnologie nutzen, um die Energiewende schneller voranzutreiben. Mitte April sollen die letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland endgültig vom Netz gehen. Und auch aus der Stromerzeugung mit Kohle will Deutschland zumindest im Westen bis 2030 aussteigen.
Bis es genügend erneuerbare Energien und Speicher gibt, sollen viele neue Gaskraftwerke die Lücke füllen, die beim Abschalten von Atom- und Kohlekraftwerken entsteht. Gas stößt bei seiner Verbrennung weniger CO2 aus als Kohle – so soll das Klima schneller entlastet werden. Aber gilt diese Logik auch, wenn immer mehr Gas als LNG nach Europa kommt?
Gas aus Russland war immer schon erheblich ,dreckiger‘ als norwegisches, weil Russland viel ältere, weniger effiziente Anlagen hat und die flüchtigen Methan-Emissionen weniger stark kontrolliert. Jens Burchardt, Klimaexperte bei der Unternehmensberatung BCG
Der Klimaexperte Jens Burchardt von der Unternehmensberatung BCG sagt: „Der CO2-Ausstoß bei der Verbrennung in Kraftwerken ist bei LNG genauso hoch wie bei Pipelinegas, denn LNG ist ja einfach nur Gas, das in flüssiger Form transportiert wurde.“
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Beim Verbrennen von ehemals verflüssigtem und später regasifiziertem Gas wird also logischerweise genauso viel CO2 frei wie beim Verbrennen von Gas, das durch Pipelines nach Deutschland kam.
Aber es gibt trotzdem einen Klimaunterschied zwischen den beiden Gasformen. Das liegt an den sogenannten Vorketten-Emissionen. Die entstehen bereits bei der Gasförderung, denn dabei tritt Methan aus. Wie viel das ist, hängt laut Burchardt vom Standort der Förderung und der Fördertechnologie ab – und davon, wie viel der Förderer investiert, um Leckagen zu minimieren.
„Gas aus Russland war immer schon erheblich ,dreckiger‘ als norwegisches, weil Russland viel ältere, weniger effiziente Anlagen hat und die flüchtigen Methan-Emissionen weniger stark kontrolliert“, so Burchardt.
Zu den Vorketten-Emissionen zählt neben dem Methan, das bei der Förderung frei wird, auch Methan, das beim langen Transport durch die Pipeline entweicht. Auch das zahlt negativ auf die Bilanz von russischem Erdgas ein, das aus dem weit entfernten Sibirien kommt. Laut einer Studie des Umweltbundesamts von 2018 sind die Vorketten-Emissionen von russischem Pipelinegas rund viermal so hoch wie die von norwegischem.
Doch so schlecht russisches Pipelinegas für die Umwelt ist – LNG ist in der Regel noch schlechter. Laut der Studie sind die Vorketten-Emissionen von LNG 2,2 bis dreimal so hoch wie die des deutschen Erdgasverbrauchsmixes von 2018 – der zu großen Teilen aus russischem Gas bestand.
Burchardt erläutert: „Bei LNG fällt der weite Transport durch große Pipelines weg. Dafür muss Energie für die Verflüssigung und Regasifizierung aufgewendet werden. Außerdem gibt es Emissionen beim Schiffstransport sowohl durch Ausgasung als auch für den Antrieb des Schiffes selbst.“
Diese Emissionen fallen je nach Entfernung des Förderlands von Deutschland unterschiedlich hoch aus. Laut Burchardt fallen bei LNG, das aus Norwegen kommt, nur 10 bis 15 Kilo CO2 pro Megawattstunde an, bis es in Deutschland ankommt. Bei US-LNG seien es hingegen 60 bis 80 Kilo.
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Die 60 bis 80 Kilo bei US-LNG erhöhen den gesamten CO2-Ausstoß, den eine Megawattstunde Gas inklusive Verbrennung verursacht, um rund ein Viertel. Insgesamt kommt amerikanisches LNG so auf etwa 260 Kilo CO2 pro Megawattstunde. Laut Burchardt sind das im schlechtesten Fall etwa zehn Prozent mehr, als bei russischem Pipeline-Gas anfallen würde.
Unter dem Strich ist allerdings LNG immer noch eine deutlich bessere Wahl als Kohle, um Kraftwerke zu betreiben. Erstens kann LNG, wenn es aus nahen Ländern kommt, sogar niedrigere Vorketten-Emissionen haben als russisches Pipelinegas. Zweitens fallen bei Förderung, Transport und Verfeuerung von Steinkohle laut Burchardt etwa 330 Kilo CO2 pro Megawattstunde an. Bei Braunkohle sind es sogar 400 Kilo.
Hinzu kommt: Gaskraftwerke sind effizienter als Kohlekraftwerke. Verbrennt man eine Megawattstunde Kohle, kommen dabei nur 0,4 bis 0,45 Megawattstunden Strom heraus – bei Gas sind es bis zu 0,6 Megawattstunden Strom.
Betrachtet man die Kosten der jeweiligen Kraftwerke und Brennstoffe, wird klar, weshalb Deutschland lange stark auf Braunkohle gesetzt hat. „Tendenziell gilt für die Mehrheit der fossilen Kraftwerke in Deutschland: Je klimaschädlicher der Brennstoff, desto günstiger ist die Stromerzeugung“, so Burchardt.
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