Handelsblatt App
Jetzt 4 Wochen für 1 € Alle Inhalte in einer App
Anzeigen Öffnen
MenüZurück
Wird geladen.

20.10.2022

15:43

Wasserstoff

Pilotprojekt widmet Erdgasleitung zu Wasserstoffnetz um – Experten sprechen von „Meilenstein“

Von: Roman Winkelhahn

Mit einem Testprojekt will die Energiebranche zeigen, dass sie Erdgasnetze auf Wasserstoff umrüsten kann. Der Umstellung stehen jedoch Hürden im Weg.

Thyssengas-Mitarbeiter überprüfen eine Erdgasleitung auf Wasserstofftauglichkeit. obs

Symbolbild

Thyssengas-Mitarbeiter überprüfen eine Erdgasleitung auf Wasserstofftauglichkeit.

Holzwickede Wasserstoff gilt als Hoffnung für die Energiewende. Doch um das Wasserstoffnetz zu erweitern, müssen Erdgasleitungen ersetzt werden. Das Pilotprojekt „H2HoWi“ des Verteilnetzbetreibers Westnetz könnte nun beweisen: Die fossilen Netze können 100 Prozent Wasserstoff transportieren.

In Holzwickede bei Dortmund wird dafür ein halber Kilometer der Erdgasleitungen des Betreibers Westnetz umgestellt. Einen Anschluss an ein größeres Wasserstoffnetz gibt es nicht. Der Energieträger soll von vier Gewerbekunden zur Wärmeerzeugung eingesetzt werden.

Experten sind sich einig: Die Umstellung von Industrie und Verkehr auf den Energieträger kann nicht schnell genug erfolgen. Die Produktion von grünem Wasserstoff verursacht kaum CO2-Emissionen. Außerdem lässt sich das Gas besser und günstiger speichern als Batteriestrom.

Am Donnerstag wurde die Testanlage in Holzwickede eröffnet. Katherina Reiche, Vorstandsvorsitzende der Westenergie AG, deren Tochterunternehmen Westnetz ist, sagt: „Wir beschäftigen uns hier mit einem Molekül, das zwei Dinge tut: Versorgungssicherheit ermöglichen, aber klimaneutral.“ Sie sitzt auch dem nationalen Wasserstoffrat vor, ein von der Bundesregierung berufenes, unabhängiges, überparteiliches Beratungsgremium.

NRW-Energieministerin Mona Neubaur, die die Baustelle in der Nähe des Dortmunder Flughafens besuchte, erklärt: „Es wird in der Industrie in NRW viele Bereiche geben, die nicht elektrifiziert werden können.“ Die Botschaft der Grünen-Politikerin: „Wir wollen ein Investitionsklima für genau diese Projekte nutzen.“

18 Milliarden Euro Investitionen ins Wasserstoffnetz

Das Pilotprojekt „H2HoWi“ wird wissenschaftlich begleitet und hat eine Laufzeit von drei Jahren. Die Investitionssumme beläuft sich auf eine Million Euro. Der Netzentwicklungsplan der deutschen Fernleitungsnetzbetreiber sieht vor, dass Teilnetze wie das in Holzwickede „bis 2032 größtenteils zu einem Gesamtnetz zusammenwachsen“.

Grafik

Dieses würde aus Leitungen mit einer Gesamtlänge von rund 8000 Kilometern bestehen und bis 2045 auf mehr als 13.000 Kilometer wachsen. Der Netzentwicklungsplan sieht Gesamtinvestitionen von 18 Milliarden Euro vor.

Christopher Hebling, Leiter der Wasserstoff-Sparte beim Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, nennt das Pilotprojekt einen „Meilenstein“. Hebling spricht sich für einen schnellen Ausbau der Wasserstoff-Infrastruktur aus: „Zeit ist das wichtigste Argument von allen“, sagt der Physiker.

Die durch den Klimawandel bedingten Temperaturanstiege seien weltweit spürbar. „Wir müssen nach Lösungen suchen, die schnell realisierbar sind. Da haben die Pipelineumstellungen natürlich ihren Charme.“ Hebling erklärt, dass drei Viertel der vorhandenen Erdgas-Infrastruktur in Deutschland in der Lage seien, 100 Prozent Wasserstoff zu transportieren.

Benjamin Pfluger, der den Bereich Integrierte Energiestrukturen an der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie leitet, erklärt: „Der Transport von Wasserstoff scheint für viele Erdgasleitungen prinzipiell möglich – allerdings basiert diese Einschätzung meist nur auf Modellierungen, die erst noch real erprobt werden müssen. Das Projekt in Holzwickede ist insofern ein wichtiger und guter Schritt.“

Experte: Ausbaupläne sind „eher optimistisch“

Wasserstoff könnte mit einer Transportleistung von zwölf bis 14 Gigawatt durch das bereits vorhandene Erdgasnetz fließen. Zum Vergleich: Die zwei Stränge der geplanten Suedlink-Trasse, einer Hochspannungsleitung, würden jeweils eine Kapazität von zwei Gigawatt haben.

Fraunhofer-Experte Pfluger sagt: „Die Umstellung der Leitungen ist ein wichtiger Ansatz, weil sie billiger ist als der Bau neuer Netzabschnitte. Doch die Frage ist: Welche Erdgasleitungen werden wann frei? Vor dem Hintergrund der sich verändernden Gasflüsse seit Beginn des Ukrainekriegs ist es derzeit schwer, sicher zu sagen, welche Erdgasleitungen wir in fünf Jahren nicht mehr brauchen.“

Die Pläne der Fernnetzbetreiber sehen vor, dass mehr als 80 Prozent der Leitungen im zukünftigen H2-Netz durch Umwidmung entstehen sollen. Die Ausbaupläne seien in der Hinsicht „eher am optimistischen Ende von dem, was möglich sein wird“ zu verorten, erklärt er.

Die Ministerin bei einer kürzlichen Pressekonferenz zum Kohleausstieg. IMAGO/Jens Schicke

Mona Neubaur

Die Ministerin bei einer kürzlichen Pressekonferenz zum Kohleausstieg.

Außerdem fehlen derzeit noch viele Elemente des gesetzlichen Rahmens, um den Netzausbau zu planen und zu finanzieren. Eine Anpassung der Regeln empfehlen auch die deutschen Fernnetzbetreiber in ihrem Netzentwicklungsplan.

Grüner Strom ist Voraussetzung

Um grünen, also CO2-emissionsarmen Wasserstoff zu erzeugen, braucht es ausreichend Strom aus erneuerbaren Quellen. Klar sei, so Christopher Hebling, „Deutschland wird nie energieautark sein“. Dafür sei Deutschland zu klein, außerdem stimmten die meteorologischen Voraussetzungen nicht.

Falko Ueckerdt vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung erklärt: „Kurzfristig, also für die akute Energiekrise der nächsten zwei Jahre, helfen Wasserstoff und der Ausbau der H2-Infrastruktur nicht.“ Zwar sei der geplante Hochlauf angesichts von Klimaschutzzielen und Energiesicherheit „dringend nötig“. Allerdings sei die direkte Elektrifizierung mit erneuerbaren Energien – also vor allem Solar- und Windstrom – vorzuziehen.

Die Erklärung dahinter: Grüner Strom, der zur Elektrolyse verwendet wird, statt ins Netz zu fließen, wird durch Strom aus Gaskraftwerken ersetzt. Das Problem dabei ist, dass Gas aktuell teuer und knapp ist. Der Ausbau der erneuerbaren Energien könne „bereits kurzfristig sowohl die Importabhängigkeit reduzieren als auch einen Beitrag zur Bewältigung der Krise sowie zur Energiesouveränität und Energiewende leisten“, erklärt Ueckert.

Aber: „Vom Erreichen der Ausbauziele für erneuerbare Energien sind wir leider noch weit entfernt“, erklärt Benjamin Pfluger. „Vor allem die auf europäischer Ebene diskutierten Pläne sind für Wasserstoff sehr ambitioniert. Der dafür erforderliche Ausbau der Elektrolyseure liegt jenseits aller Wachstumsraten, die wir im Energiebereich bisher beobachtet haben.“

Direkt vom Startbildschirm zu Handelsblatt.com

Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.

Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.

×