Siemens Gamesa schreibt hohe Verluste, beim Marktführer Vestas in Deutschland verweigert die Belegschaft die Arbeit. Die Industrie fordert finanzielle Hilfe aus Brüssel.
Windkraftanlagen-Industrie
Windkraft ist für die Energiewende unverzichtbar. Doch die Hersteller der Windkraftanlagen schreiben Verluste, müssen die Preise deutlich erhöhen – und könnten so ihre Kunden verlieren.
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Düsseldorf Mitten in der Energiekrise brechen die Auftragseingänge der europäischen Windturbinenhersteller ein. Um mehr als ein Drittel gingen die Bestellungen im dritten Quartal im Vergleich zum Vorjahr zurück, zeigt ein Blick in die neuesten Zahlen der heimischen Marktführer. Siemens Gamesa und Vestas stecken tief in den roten Zahlen, mussten ihre Prognosen kappen und bauen Tausende Stellen ab.
Siemens Gamesas CEO Jochen Eickholt forderte deswegen finanzielle Unterstützung aus Brüssel. „Ich würde den EU-Politikern raten, ähnliche Stützungsmaßnahmen für die notleidende Windkraftindustrie einzuführen wie die USA“, sagte er am Donnerstag bei der Vorstellung der Quartalszahlen. In Nordamerika lenkt die Regierung unter US-Präsident Joe Biden gerade 400 Milliarden Euro in die klimaneutrale Industrie, allein 260 Milliarden Dollar in den Ausbau von Solar-, Wind- und Wasserkraft.
In Europa dagegen sieht Eickholt die Energiewende durch Unsicherheiten, Lieferkettenprobleme und die Inflation gefährdet. Die europäische Windkraftkraftindustrie steckt nicht erst in der Krise, seit Rekordrohstoffpreise, Lieferkettenprobleme und der Ukrainekrieg das Geschäft belasten. Die Turbinenproduzenten verdienen schlicht kein Geld.
Die Unternehmen versuchen mit Kosteneinsparungen gegenzusteuern. Sie schließen ganze Werke wie Nordex in Rostock, entlassen Tausende von Mitarbeitern wie Siemens Gamesa und fordern ein Ende des ruinösen Preiswettkampfes untereinander wie Vestas-Chef Henrik Andersen.
Dabei sei die Stimmung auf dem weltweiten Windkraftmarkt eigentlich gut, sagt Experte Dirk Briese von der Marktforschungsagentur Trendresearch, die Nachfrage sei riesig. „Das Problem: Die Hersteller bekommen die Aufträge immer noch nicht mit den Kosten abgearbeitet, die sie eigentlich haben müssten. Zuletzt kamen zu den technischen Problemen noch die der Lieferketten und Corona dazu. Und bei Vestas der Streik“, erklärt der Branchenkenner.
Beim weltgrößten Windkraftanlagen-Hersteller Vestas aus Dänemark geht ein Teil der deutschen Mitarbeitenden seit Tagen auf die Barrikaden. Um die Geschäftsführung zum Einstieg in Tarifverhandlungen zu zwingen, hatte die IG Metall die Beschäftigten am vergangenen Montag zu einem fünftägigen Streik aufgerufen. Es ist das erste Mal, dass Angestellte eines Turbinenherstellers streiken. Für einen besseren Lohn.
Vestas will stattdessen eine Vereinbarung mit dem Betriebsrat schließen. „Die Lohn-Preis-Spirale ist, auch vor dem Hintergrund des immer größeren Fachkräftemangels, ein weiteres Dilemma, in das die Turbinenhersteller jetzt kommen“, erklärt Windexperte Briese.
Wie ernst die Lage ist, zeigt ein Blick auf die aktuellen Quartalszahlen. Siemens Gamesa machte im vergangenen Geschäftsjahr (bis 31. Oktober) fast eine Milliarde Euro Nettoverlust. Der Umsatz ging um vier Prozent auf 9,8 Milliarden Euro zurück. Der als Sanierer angetretene Vorstandschef Eickholt sagte, der Bestand an Projekten müsse angesichts des veränderten Umfelds und der Kostensteigerungen überprüft werden. Nachhaltige Fortschritte stellt Eickholt derweil erst für 2025 in Aussicht.
Wettbewerber und Onshore-Marktführer Vestas musste seine Prognose senken und hat nach neun Monaten im laufenden Jahr nur 9,7 Milliarden Euro umgesetzt. 2021 waren es im gleichen Zeitraum elf Milliarden Euro. In den ersten drei Quartalen 2022 hat Vestas knapp eine Milliarde Euro Verlust gemacht. Im Vorjahreszeitraum konnten die Dänen noch einen Nettogewinn von 135 Millionen Euro ausweisen.
Windkraftanlagen-Hersteller Vestas
Das dänische Unternehmen ist Marktführer bei Windkraftanlagen auf dem Land (Onshore). (Archivfoto von 2016 aus Mecklenburg-Vorpommern)
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Seit Jahren herrscht auf dem Markt ein harter Preiskampf. Vor allem die Umstellung von festen staatlichen Vergütungen auf freie Ausschreibungssysteme, in denen nur noch der Günstigste den Zuschlag bekommt, hat die Turbinenhersteller in einen ruinösen Wettbewerb getrieben. Gleichzeitig ist der deutsche Markt, einer der Hauptabsatzmärkte, in den vergangenen Jahren eingebrochen. Der einst größte Windmarkt der Welt ist heute ein schwieriges Umfeld für die global aktiven Hersteller Vestas, Siemens Gamesa, Nordex und Enercon.
So hatten sich auf das Förderprogramm für den Ausbau der Windkraft an Land im September gerade einmal 87 Bieter mit Windparks für 772 Megawatt beworben. Damit schöpfen sie nicht einmal 60 Prozent der verfügbaren Fördergelder aus. „Das Wirtschaftsministerium hat viele wichtige Dinge auf den Weg gebracht, aber die neuen Verordnungen sind noch nicht in der Praxis angekommen“, berichtet ein Brancheninsider. Es herrsche Verunsicherung in ganz Europa.
Vor allem mit Blick auf die Pläne der EU-Kommission zur Gewinnabschöpfung der Unternehmen, die an den hohen Strompreisen aktuell gut verdienen, seien neue Projekte derzeit schwierig zu finalisieren. „Wir werden uns auf die Märkte konzentrieren, wo die Nachfrage ist“, betonte Siemens-Gamesa-CEO Eickholt angesichts der aktuellen Situation in Europa. Es sei noch nichts entschieden, aber er sehe eine zusätzliche Internationalisierung in der neuen Strategie des Marktführers für Windanlagen auf See (Offshore).
>> Lesen Sie hier: Energiewende in Gefahr – Übergewinnsteuer alarmiert die Strombranche
Die Hersteller verlagerten die Herstellung personalintensiver Produktionen immer mehr ins Ausland, um Geld zu sparen, erklärt Windexperte Briese. Zuletzt war das bei der Rotorblattwerksschließung von Nordex in Rostock zu beobachten. Gleichzeitig hatten Hersteller wie Nordex und Enercon in den vergangenen Monaten immer wieder mit Qualitätsproblemen in ihren Anlagen zu kämpfen.
Briese ist daher überzeugt: Um aus der Verlustzone zu kommen, „müssen die Preise weiter steigen; und das unter einem ständigen Wettbewerbs- und Entwicklungsdruck.“ In den vergangenen Monaten sind die Preise für Windanlagen an Land bereits zwischen 15 bis 20 Prozent gestiegen. Wo vor zwei Jahren noch knapp 800.000 Euro pro Megawatt fällig wurden, sei man nun bei über einer Million Euro, berichten Brancheninsider. Windenergie, die seit zwanzig Jahren immer günstiger geworden ist, wird also wieder teurer.
Von einzelnen Projektierern ist allerdings jetzt schon zu hören, dass man nicht jeden Preis bezahlen werde. Ein echtes Dilemma .
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