Die ohnehin hohen Gaspreise sind seit weiter gestiegen. Wirtschaftsminister Habeck warnt angesichts der Gaspreisentwicklung vor bis zu 200 Prozent höheren Rechnungen für Haushalte.
Gaspreisentwicklung
Über Nord Stream 1 liefert Gazprom nur noch 40 Prozent des bestellten Volumens. Das lässt die Gaspreise in Deutschland steigen.
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Düsseldorf Seitdem Russland die Ukraine überfallen hat, unterliegt der Gaspreis starken tagesaktuellen Schwankungen, ist im Schnitt aber massiv gestiegen. Eine Megawattstunde (MWh) Erdgas für August kostete zuletzt knapp 176 Euro. Damit ist der Gaspreis so hoch wie seit drei Monaten nicht mehr. Vor einem Jahr kostete die Megawattstunde Erdgas nur 20 Euro.
Doch wie geht es jetzt weiter und was bedeutet das für Verbraucher? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.
Die Gaspreise steigen aufgrund hoher Nachfrage und verknapptem Angebot bereits seit Herbst 2021 kontinuierlich. „Die Preise sind jetzt schon hoch, und wir müssen uns auf weitere Anstiege gefasst machen“, sagte Habeck am Donnerstag.
Diese Prognose teilen Experten wie Tobias Frederico, Chef des Energiemarktforschungs-Unternehmens Energy Brainpool: „Die offizielle Bekenntnis mit Ausrufung der Alarmstufe, dass es ein Problem geben könnte, sorgt natürlich auch dafür, dass die Preise erst mal nicht sinken werden. Das Restrisiko, das wir nicht gut durch den Winter kommen, ist jetzt eingepreist.“
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Sollten sich die Gasflussmengen nach der für den 11. Juli angekündigten Wartung der Ostseepipeline Nord Stream 1 weiter reduzieren oder gar ausbleiben, „werden die Preise noch weiter steigen“, sagt Frederico. Die Wartung dauert üblicherweise zwei Wochen.
In den vergangenen Tagen floss immer weniger Gas aus Russland Richtung Deutschland und Europa. Gasexperten sprechen von einem „auffällig starken Abfall der Flüsse“. Zuletzt waren es nur noch 40 Prozent des möglichen Volumens durch die Hauptroute über Nord Stream 1.
Den sogenannten Preisanpassungsmechanismus setzt die Bundesregierung bislang noch nicht in Kraft. Dieser ist in Paragraf 24 des Energiesicherungsgesetzes enthalten und kann aktiviert werden, wenn die Regierung wie geschehen die Alarmstufe ausgerufen hat.
Das Gesetz würde den Gasversorgern gestatten, die steigenden Marktpreise direkt an die Verbraucher weiterzureichen, auch wenn diese noch laufende Verträge haben. In den Verträgen binden sich die Versorger an die mit den Kunden verhandelten Preise.
Aktuell diskutiert die Politik allerdings eine Anpassung der Klausel, um die Kosten gerechter zu verteilen. Grundsätzlich könnte das System so gestaltet werden: Jeder, der durch die Ersatzbeschaffung für russisches Gas Mehrkosten hat, könnte diese weitergeben. Die Kosten werden dann gebündelt und in regelmäßigen Abständen an alle Kunden in der gesamten Lieferkette verteilt, so die Idee.
Die Differenz könnte beispielsweise über erhöhte Netzentgelte, die von allen Gaskunden zu tragen wären, ausgeglichen werden. So ein Umlageverfahren würde nach dem gleichen Prinzip funktionieren wie beim umstrittenen Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). 20 Jahre lang hatten die Stromverbraucher den Ausbau der erneuerbaren Energien über die sogenannte EEG-Umlage bis zu deren Abschaffung zum 1. Juli finanziert.
Gasspeicher
Die Bundesregierung füllt seit Monaten die Gasspeicher, um auf einen Lieferstopp vorbereitet zu sein.
Bild: dpa
Thomas Engelke vom Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) sagte: „Im Fall von Engpässen bei der Gasversorgung träfen die Preiserhöhungen die privaten Haushalte mit voller Wucht.“ Schon heute würden viele Verbraucher das doppelte ihrer üblichen Gasrechnung zahlen. Die Preissteigerungen betragen bis zu 200 Prozent, berichtete auch Wirtschaftsminister Habeck.
Ein Musterhaushalt mit 20.000 Kilowattstunden Gasverbrauch zahlt aktuell laut Check24 durchschnittlich 2752 Euro im Jahr für Gas (Stand Juni 2022). Im Juni 2021 waren es 1290 Euro, ein Plus von 113 Prozent demnach. Bis August haben die Strom- und Gasgrundversorger in 586 Fällen Preiserhöhungen angekündigt oder bereits vollzogen. Das betrifft mehr als 7,6 Millionen Haushalte.
Eon erklärte am Donnerstag: „Vieles spricht dafür, dass wir weiterhin mit hohen oder sogar – im Falle eines vollständigen Wegfalls russischer Gasflüsse – noch weiter steigenden Preisen an den Großhandelsplätzen rechnen müssen.“ In welchem Umfang der Essener Energiekonzern 2022 seine Preise weiter anpassen könnte, lasse sich derzeit noch nicht sagen.
Energiemarktforscher Frederico warnt: „Der Verbraucher profitiert jetzt tatsächlich noch von den günstigeren Beschaffungspreisen im letzten Jahr. Die wahren Auswirkungen der aktuellen Gaspreise werden Verbraucher erst im nächsten Jahr zu spüren bekommen.“
Ähnlich äußerte sich Steffen Suttner, Chef des Vergleichportals Check24: „Wenn die bereits vor der Krise beschafften Energiemengen der Energieversorger verbraucht sind, werden sie noch mehr zu den aktuell teuren Börsenpreisen einkaufen müssen.“ Die Preise für Verbraucher werden also weiter steigen.
Wirtschaftsminister Habeck warnte am Donnerstag: „Wenn die Preissprünge so groß sind, dass die Unternehmen umfallen, droht ein Lehman-Effekt im ganzen System.“ Die Pleite der US-Bank Lehman Brothers 2008 hatte zu einem Dominoeffekt geführt und die Weltfinanzkrise ausgelöst.
„Die wahren Auswirkungen der aktuellen Gaspreise werden Verbraucher aber erst im nächsten Jahr zu spüren bekommen.“ Tobias Frederico, Chef des Energiemarktforschungs-Unternehmens Energy Brainpool
Erst vor kurzem hatte Deutschlands größter Gashändler Uniper um staatliche Hilfen gebeten. Der Konzern aus Düsseldorf beliefert tausende Unternehmen, Stadtwerke und Verbraucher mit Energie. Von Milliardenkrediten bis hin zur teilweisen Verstaatlichung liegen deswegen alle Optionen auf dem Tisch. Wie dem Unternehmen am besten zu helfen ist, will die Politik in den kommenden Tagen entscheiden.
Ähnliches könnte bei weiter steigenden Gaspreisen anderen Energieunternehmen drohen. Sie würden aufgrund der hohen Preise, die sie im Großhandel zahlen müssten, in Existenznot geraten und könnten am Ende auch keine Energie mehr liefern. Die Versorgung würde zusammenbrechen. Das will die Bundesregierung verhindern – mit dem bereits erwähnten Umlagesystem.
Kerstin Andreae, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), sagte: „Es besteht das Risiko, dass Energieversorger diese extrem teuren Zukäufe finanziell nicht mehr stemmen können und letztlich die Gewährleistung der Energieversorgung bedroht wäre.“ Ob ein solches Umlagesystem kommt, muss die Bundesregierung in den nächsten Tagen entscheiden.
Ab welchem Gaspreis Unternehmen einen kritischen Zustand erreichen, ist dem Gasexperten Frederico zufolge schwer zu sagen: „Erdgaspreise sind ab dann nicht mehr haltbar, wenn Unternehmen sie wirtschaftlich nicht mehr tragen können. Diese Höhe ist aber bei jedem Unternehmen individuell.“ Würde der Preis allerdings auf 300 Euro die Megawattstunde steigen, „wäre das für viele Unternehmen problematisch“, sagt er.
Aufgrund der allgemein hohen Inflation, forderte Frank Werneke, Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi unter anderem einen „Gaspreisdeckel auf Vorkrisenniveau für ein Volumen von 12.000 Kilowattstunden pro Haushalt, damit die Versorgung mit bezahlbarer Heizenergie gesichert bleibt“.
Die Chefin des SPD-Arbeitnehmerflügels, Cansel Kiziltepe, sieht das ähnlich: „Weder beim Wohnen noch bei der Energieversorgung können die Menschen etwas für die gestiegenen Preise. Sie können auch nicht von jetzt auf gleich ihre Heizung austauschen oder ihre Wohnung verlassen“, sagte die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesbauministerium dem Handelsblatt. Ein „Gaspreisdeckel für den Grundverbrauch“ könne hier helfen.
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Seit Monaten wird über eine gesetzliche Deckelung der Gaspreise diskutiert. Unternehmen und Verbraucher mit Markteingriffen vor den Preisspitzen zu schützen galt in Berlin lange als tabu. Möglich wäre es nach den EU-Regeln aber. Frankreich hat bereits im Oktober die Gaspreise für viele Verbraucher eingefroren.
Solche Maßnahmen würden deutsche Versorger jedoch schnell in Schwierigkeiten bringen. Denn im Einkauf haben sie keine andere Wahl, als den hohen Preis zu zahlen. Anders als beim Großhandel für Strom gibt es auf den Handelsplattformen für Gas keine technische Obergrenze.
Außerdem versucht Europa derzeit aus verschiedenen Quellen Flüssiggas zu beziehen, um die russischen Energieimporte zu senken. Ein Preisdeckel würde dazu führen, dass die Flüssiggas-Tanker auf dem Weg nach Europa wieder nach Asien abdrehen könnten. Eben dorthin, wo am meisten gezahlt wird.
Erstpublikation: 24.06.22, 15:14 Uhr.
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