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12.01.2022

11:58

Geschlossen: Für viele Händler war der Lockdown eine existenzielle Bedrohung. imago images/Ralph Peters

Rolltor

Geschlossen: Für viele Händler war der Lockdown eine existenzielle Bedrohung.

Bundesgerichtshof

Einzelhändler dürfen bei Lockdown Mieten kürzen – aber nicht pauschal um die Hälfte

Von: Florian Kolf, Kerstin Leitel

Geschäftsinhaber haben nach Corona-Lockdowns grundsätzlich Anspruch auf eine Anpassung der Mieten. Das vom Handel erhoffte Grundsatzurteil blieb jedoch aus.

Düsseldorf, Frankfurt Der Bundesgerichtshof hat entschieden: Wenn durch einen staatlich angeordneten Lockdown Geschäfte geschlossen werden müssen, können Händler einen Anspruch auf eine Kürzung der Miete haben. Da Mieter und Vermieter durch die Coronamaßnahmen betroffen seien, sei keine Seite allein in der Verantwortung.

Viele Händler jedoch wird dies enttäuschen, denn als Grundsatzentscheidung taugt das Urteil nicht. Der BGH hat zugleich betont, dass über die konkrete Höhe der Mietminderung nur im Einzelfall entschieden werden kann. Eine Reduzierung der Miete um die Hälfte, wie es das Oberlandesgericht Dresden in vorheriger Instanz entschieden hatte, sei zu pauschal.

Geklagt hatte der Textildiscounter Kik, der vergeblich auf eine Musterentscheidung gehofft hatte. Im konkreten Fall ging es um die Miete für eine Kik-Filiale im Raum Chemnitz in Höhe von 7854 Euro im April 2020. Der Vermieter hatte eine Reduzierung der Miete abgelehnt. Der BGH hat den Fall jetzt an das Oberlandesgericht Dresden zurückverwiesen.

Auch wenn es im Einzelfall um eine vergleichsweise geringe Summe geht: Die Frage, ob Händler bei einem staatlich verordneten Lockdown die Miete kürzen dürfen, hat für die Branche zentrale Bedeutung. Denn in der Summe dürfte es um Zahlungen in Milliardenhöhe gehen – insbesondere, wenn man noch andere betroffene Betriebe wie Restaurants oder Fitnessstudios mitrechnet.

Allein der Textildiscounter Kik hat monatliche Mietausgaben von 13,5 Millionen Euro, wie Kik-Chef Patrick Zahn in einem Interview mit dem Handelsblatt in der zweiten Lockdown-Phase im Februar 2021 betonte. Er klagte damals, er fühle sich von der Politik alleingelassen, und verwies auf das Beispiel Polen: Dort sei gesetzlich geregelt, dass bei einem Lockdown Händler nur die halbe Miete zahlen müssten.

Jeder Einzelfall muss vor Gericht entschieden werden

Der deutsche Bundestag hatte im Dezember 2020 eine Gesetzesänderung beschlossen, nach der erhebliche Nutzungseinschränkungen infolge der Pandemie eine schwerwiegende Veränderung der Geschäftsgrundlage darstellen können. Das sollte die Verhandlungen zwischen Mietern und Eigentümern vereinfachen, aber in der Praxis zeigte sich, dass daraus kein automatisches Recht auf Mietreduzierung folgt.

Deshalb muss jeder Einzelfall weiter vor Gerichten entschieden werden – und dort herrscht keine einheitliche Rechtsauffassung, ob eine staatlich angeordnete Schließung eine Mietminderung rechtfertigt. In zahlreichen Entscheidungen gab es die ganze Bandbreite möglicher Einschätzungen – von einer grundsätzlichen Ablehnung der Mietminderung bis hin zur pauschalen Reduzierung um die Hälfte.

Das zeigte sich auch im Fall der Kik-Filiale, über den jetzt der BGH entschieden hat. Dort hatte in der ersten Instanz das Landgericht den Händler dazu verurteilt, die komplette Miete für den Monat April 2020 zu zahlen. Das Oberlandesgericht Dresden dagegen entschied in der nächsten Instanz, dass nur die halbe Miete gezahlt werden müsse.

Auch wenn der BGH nun keine Grundsatzentscheidung getroffen hat, fühlt sich der Händler durch das Urteil bestätigt. „Wir sehen uns in unserer Position bestärkt, dass durch die Lockdowns im Frühjahr 2020 eine Störung der Geschäftsgrundlage bestanden hat und die zu zahlende Kaltmiete deshalb nicht allein von uns gedeckt werden muss“, betont Kik-Chef Zahn.

Aufseiten des Immobilienverbands zeigte man sich jedoch auch zufrieden. Es sei „ein gutes und gerechtes Urteil, weil es sowohl die Anliegen der Mieter als auch der Vermieter sowie die unterschiedlichen Situationen der betroffenen Akteure berücksichtigt“, erklärte der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA), der Spitzenverband der Immobilienwirtschaft. „Wir haben immer gesagt, dass Mieter und Vermieter eine Schicksalsgemeinschaft sind. Das heißt, wir müssen durch die Härten der Pandemie gemeinsam gehen – das gilt auch in Zukunft.“ Der ZIA verweist dabei auf einen Branchenkodex, der diese Fälle behandelt und zu partnerschaftlichen Lösungen rät.

Während des Lockdowns waren wie hier in Oldenburg nur wenige Menschen in den Fußgängerzonen deutscher Innenstädte unterwegs. dpa

Geschlossene Geschäfte

Während des Lockdowns waren wie hier in Oldenburg nur wenige Menschen in den Fußgängerzonen deutscher Innenstädte unterwegs.

Für viele Händler war der Lockdown eine existenzielle Bedrohung. Während auf einen Schlag fast die kompletten Einnahmen wegbrachen, lief ein Großteil der Kosten unvermindert weiter. Der größte Posten dabei sind die Mietkosten.

Deshalb hatten relativ viele Vermieter ohne großen Streit entweder Mieten gestundet oder gleich auf einen Teil der Zahlung verzichtet. So hatte beispielsweise der Shoppingcenterbetreiber ECE die Miete um die Hälfte reduziert. Über die zwei Lockdown-Phasen gerechnet hat er damit auf deutlich mehr als 150 Millionen Euro an Mietzahlungen verzichtet.

Zahlreiche Vermieter von Handelsimmobilien hätten sich kulant gezeigt, berichtet auch Einzelhandelsexperte Dirk Wichner vom Immobiliendienstleister JLL. „90 Prozent der Vermieter haben eingesehen, dass sie Zugeständnisse machen müssen“, sagt er, daher seien viele den Mietern mehr oder weniger notgedrungen entgegengekommen.

Außergerichtliche Einigung in überwiegendem Teil der Fälle

Auch Kik konnte sich nach eigenen Angaben im überwiegenden Teil der Fälle mit seinen Vermietern außergerichtlich auf eine Teilung der Mietkosten oder anderweitige Kompensation einigen. „Der Bundesgerichtshof hat mit seiner heutigen Stellungnahme Kik in seiner Praxis bestätigt, mit allen Vermietern in Einzelgesprächen über Kompensationen zu verhandeln“, erklärte Kik-Chef Zahn.

Doch in vielen Fällen hatten die Händler keinen Erfolg mit der Forderung nach einer Mietminderung. Gerade Fondsgesellschaften, denen viele größere Immobilien in bester Innenstadtlage gehören, haben das Problem, dass sie bei einer Reduktion der Miete das Risiko eingingen, dass dadurch der Wert ihrer Immobilie gemindert werde, was sich unmittelbar auf das Fondsvermögen auswirke.

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Bei Fondsgesellschaften hinterließ die Coronakrise tatsächlich Folgen: Sie vermeldeten gesunkene Mieteinnahmen. Ob diese allerdings aus Einschränkungen für die Hotel- oder Einzelhandelsimmobilien resultierten, ist nicht ersichtlich.
Auf Anfrage erklärte Esteban de Lope, Geschäftsführer von Deka Immobilien, dass die coronabedingten Belastungen „begrenzt“ geblieben seien. Auch Mieter der Deka-Immobilien aus dem Einzelhandelsbereich seien aber an die Fondsgesellschaft herangetreten mit dem Wunsch, über ihre Mietvertragskonditionen zu verhandeln.

„Wir haben durch den laufenden Dialog mit unseren Mietern konstruktive Lösungen gefunden, um vorteilhafte Mietverhältnisse auch langfristig für die Fonds zu sichern. Dabei kam es in Ausnahmefällen auch vorübergehend zu Mietreduktionen im Gegenzug für beispielsweise eine Verlängerung des Mietvertrags“, sagte der Deka-Geschäftsführer. Doch er stellte auch klar: „Wir sind als Treuhänder von Anlegergeldern verpflichtet, über Forderungen der Sondervermögen ausschließlich im besten Interesse der Anleger zu entscheiden“, betonte de Lope.

„Mietminderungen versucht man daher bis zuletzt zu vermeiden und gewährt stattdessen lieber Stundungen oder Zuschüsse, etwa bei der Renovierung der Ladenfläche“, beobachtet Immobilienmanager Wichner. „Damit läuft man nicht Gefahr, dass die Immobilie abgewertet wird.“

Nachfrage nach Einzelhandelsflächen in Innenstädten hoch

Folglich sind in vielen Statistiken die Mieten nicht gesunken – im Gegensatz zum Profit der Vermieter. Zudem sei die Nachfrage nach Einzelhandelsflächen in den Innenstädten überraschend hoch: „Einige Unternehmen, die anfangs mit dem Wettbewerb durch den Onlinehandel zu kämpfen schienen, haben die Veränderung dann doch unerwartet gut gemeistert und wollen sich nun vergrößern.“

Aber gerade im internationalen Vergleich ist die Eigentümerstruktur in deutschen Großstädten speziell: Zwar gehören viele große Immobilien in Innenstadtlage und fast sämtliche Shoppingcenter Fondsgesellschaften, aber es gibt daneben viele private Vermieter. Auch diese hätten in den meisten Fällen Zugeständnisse gemacht, sagt Wichner. „Viele der privaten Immobilienbesitzer haben oder hatten ein Business, die wissen, wie die Lage ist.“

Doch natürlich gab es auch andere Fälle: Immobilienbesitzer, die aus einer Erbengemeinschaft hervorgingen und schon wegen tiefsitzendender Streitigkeiten innerhalb der Familie nicht schafften, sich auf ein Vorgehen zu einigen. Oder Vermieter, die seit Jahrzehnten im Ausland leben und die Vermietung über einen Anwalt laufen lassen, der gar kein Interesse hat, sich bei seinem Mandanten oder seiner Mandantin für den Mieter einzusetzen.

Das passierte etwa einem ehemaligen Ladenbesitzer in Frankfurter Innenstadtlage, dessen Vermieter seinen Erzählungen zufolge eine deutschstämmige, sehr betagte Dame ist, die in New York lebt. Sie habe keinerlei Zugeständnisse gemacht, beklagte er sich. Die Folge: Er musste sein Geschäft schließen. „Es kamen einfach zu wenige Kunden“, berichtet er, „und die Miete betrug mehrere Zehntausend Euro. Das habe ich irgendwann nicht mehr geschafft.“

Eine andere Ladenbetreiberin hatte da mehr Glück: Die außerhalb der Innenstadt gelegene Immobilie, in der sich ihr kleines Geschäft befindet, ist im Besitz einer Frankfurter Bankiersfamilie, erzählt sie. „Die Vermieterin hat mich eines Tages angerufen und eine Mietminderung angeboten. Mir sind echt die Tränen gekommen.“

Etwas mehr Klarheit für Vermieter

Für Maximilian Clostermeyer, Partner der Kanzlei McDermott Will & Emery, hat das BGH-Urteil aber zumindest ein wenig mehr Klarheit gebracht. „Für Vermieter ist nun klar, dass es – abhängig von den Umständen des Einzelfalls – Fälle gibt, in denen sie einer zeitweisen Minderung oder Stundung der Miete für die Dauer eines Lockdowns zustimmen müssen“, erklärt der Immobilienrechtsexperte. „Sie können solche Forderungen der Mieter nicht mehr pauschal ablehnen.“

Doch auch er betont, dass das Urteil nicht die von vielen erhoffte endgültige Klärung der Frage anhand einer pauschalen Lösung gebracht habe. „Unterm Strich bleiben viele Fragen offen“, sagt er.

Christoph Allmendinger, Partner der Kanzlei SZA Schilling, Zutt & Anschütz in Frankfurt und auf Immobilienthemen spezialisiert, schätzt ein: „Ich rechne nicht damit, dass jetzt viele Fälle vor Gericht landen, sondern mehr Vergleiche geschlossen werden.“ Es handele sich schließlich um eine langfristige Beziehung zwischen Mieter und Vermieter, und die wirtschaftlichen Interessen beider Seiten gingen ja weit über eine Monatsmiete hinaus.

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