PremiumDie Branche hat das Jahr noch nicht ganz abgeschrieben. Doch weil Aussteller und Besucher zögern, werden bereits für 2021 immer mehr Messen verschoben.
IFA 2020 in Berlin
An den drei separaten Live-Events dürfen maximal je 750 Personen gleichzeitig teilnehmen.
Bild: dpa
Düsseldorf Am Freitag öffnet der Caravan Salon in Düsseldorf seine Tore für das Publikum. Die Reisemobilschau ist die erste größere Messe in Deutschland, die nach einem halben Jahr Corona-Zwangspause mit Publikum stattfindet. Die ganze Branche schaut deshalb voller Erwartungen an den Rhein. Selbst die Koelnmesse – sonst Erzrivale der Düsseldorfer – schaltete eine Glückwunschanzeige in der „Rheinischen Post“ – mit persönlicher Unterschrift der Kölner Messechefs.
Die Messewirtschaft hat den Neustart lange herbeigesehnt, auch wenn der Caravan Salon an gewohnte Dimensionen nicht annähernd heranreicht. Mit rund 350 statt 645 Ausstellern kommt nur etwas mehr als die Hälfte wie im Vorjahr. Branchengrößen wie die Erwin Hymer Group, Pössl oder Concorde haben ihre Teilnahme abgesagt.
Statt Gedränge in überfüllten Hallen herrschen Mindestabstand und Maskenpflicht. Nur 20.000 Besucher sind pro Tag zugelassen. Wolfram Diener, Chef der Messe Düsseldorf, will mit dem Caravan Salon trotzdem ein Signal setzen: „Messen können auch in Corona-Zeiten funktionieren.“
Seit September sind Messen deutschlandweit wieder erlaubt, wenn auch je nach Bundesland und lokalen Behörden mit unterschiedlichen Beschränkungen. Am Donnerstag startete bereits die Internationale Funkausstellung (IFA) in Berlin, allerdings im Miniformat und ohne Publikum. Kamen 2019 noch rund 245.000 Gäste, um die neuesten Fernseher und vernetzten Kühlschränke zu bewundern, sind dieses Jahr nur Fachbesucher zugelassen.
An den drei separaten Live-Events dürfen maximal je 750 Personen gleichzeitig teilnehmen. „Für die Messe Berlin ist die IFA dieses Jahr nicht profitabel – sie zahlt aber auf die Zukunft der Marke ein“, sagt IFA-Direktor Jens Heithecker.
Corona hat der deutschen Messebranche stark zugesetzt. 345 internationale und regionale Messen waren hierzulande für 2020 eigentlich geplant. Rund 170 finden nicht statt, etwa 20 davon werden aber 2021 nachgeholt. Der gesamtwirtschaftliche Schaden summiert sich inzwischen auf fast 19 Milliarden Euro, schätzt der Messeverband Auma.
Die globale Messewirtschaft ist von der Corona-Pandemie so schwer getroffen wie kaum eine andere Branche: Die Umsätze sind weltweit im ersten Halbjahr im Schnitt um zwei Drittel eingebrochen. Für das Gesamtjahr werden lediglich 39 Prozent der Umsätze von 2019 erwartet. Das ergibt sich aus dem Global Exhibition Barometer des Weltmesseverbands UFI. Dazu wurden Ende Juli 459 Firmen in 62 Ländern befragt.
Sonst finden weltweit im Jahr etwa 32.000 Fachmessen mit 303 Millionen Teilnehmern statt. Von Ausstellern und Besuchern werden direkt 116 Milliarden Euro ausgegeben, das schafft global 1,3 Millionen Jobs. Rechnet man indirekte Ausgaben hinzu, die von Messen generiert werden, ergibt dies eine jährliche Wertschöpfung von 275 Milliarden Euro.
„Die Messebranche ist ein unsichtbarer Riese“, sagt Kai Hattendorf, Geschäftsführer des Weltmesseverbands. „Da sie sehr kleinteilig ist, wird ihre volkswirtschaftliche Bedeutung oft unterschätzt.“ Nach Corona werde die Messewelt anders aussehen. „Nicht alle Akteure werden die lange Durststrecke überstehen können, schon gar nicht eine eventuelle zweite Welle“, fürchtet der UFI-Mann.
Gerade Veranstalter und Dienstleister, die sich auf Märkte konzentrierten, in denen lange kein Geschäft möglich sei, würden ohne staatliche Unterstützung kaum überleben können.
Langsam löst sich die Messebranche allerdings aus ihrer Schockstarre, beginnend mit Asien, wo die Pandemie abgeebt ist. „In China brummt das Messegeschäft wieder, allerdings aktuell ausschließlich mit nationalen Veranstaltungen“, sagt Hattendorf. In Hongkong und Singapur gebe es für Veranstalter und Aussteller staatliche Subventionen, um Fachmessen wieder anzukurbeln.
In China konnten auch deutsche Messegesellschaften wieder Veranstaltungen abhalten. Die Messe Frankfurt, die sonst rund 40 Prozent ihres Geschäfts im Ausland macht, hielt bereits Messen wie die Toy & Edu China oder die Intertextile in Shenzhen ab. Die Möbelmesse Interzum in Guangzhou Ende Juli war die erste physische Veranstaltung der Koelnmesse. Eigene Messen in der Domstadt dagegen sind bis Ende Oktober abgesagt.
In Deutschland sind von September bis Dezember 84 vom Auma gelistete Messen geplant, davon 47 mit internationaler oder nationaler Bedeutung. Dazu gehört die Interboot in Friedrichshafen, die Frankfurter Buchmesse, die Exporeal in München und die Art Cologne. „Es wird sicher kein goldener Messe-Herbst, aber einer, der in einer schwierigen Situation Mut macht“, sagt Hans-Joachim Erbel, Vorsitzender des Fachverbands Messen und Ausstellungen (Fama).
Der Auma-Vorsitzende Philip Harting räumt ein, dass die Messewirtschaft nur schwer wieder in Gang kommt. Zwar sei die Einreise aus Ländern wieder problemlos möglich, die für rund 70 Prozent des Volumens der Auslandsbesucher auf deutschen Messen stehen, betont Harting. Trotzdem warte manch einer lieber, bis sich die Branchenkonjunktur erholt habe – weil dann der Messeerfolg vermutlich höher sei. Tatsache ist auch: Viele Unternehmen müssen sparen.
Das Zögern und Zaudern der Aussteller hat Folgen: Etliche Messen, die vom Frühling in den Herbst verschoben wurden, sind nun komplett gestrichen wie die Frankfurter Light+Building oder die Umwelttechnologiemesse Ifat in München. „Nach dem Branchen-Feedback wäre eine Ifat zum geplanten Zeitpunkt nicht nur für die Messe München, sondern auch für die Messeteilnehmer unzumutbar“, teilte die Messe München mit.
Andere Messen wie die Hannover Messe oder die Kölner Gamescom fanden abgespeckt nur im virtuellen Raum statt. Die Digitalmesse Dmexco im September ist diesmal ebenfalls rein digital. Gleiches gilt im Oktober für die Fitnessmesse Fibo, die ursprünglich für April in Köln geplant war.
„Unser Ziel ist es, mit der [email protected] ein Veranstaltungsformat zu bieten, das die Branche gerade in dieser außergewöhnlichen Situation sicher zusammenbringt, um die dringend nötigen Impulse für einen Neustart zu setzen, sobald die Krise nachlässt“, sagte Erbel als CEO des Veranstalters Reed Exhibitions Deutschland.
Da das Ende der Pandemie nicht absehbar ist, verschieben erste Veranstalter bereits ihre Frühjahrsmessen in den Frühsommer. Die Leipziger Buchmesse soll 2021 statt im März Ende Mai stattfinden. Das neue Datum in der wärmeren Jahreszeit gebe den Messemachern in der Corona-Pandemie mehr Flexibilität, erklärte Direktor Oliver Zille. So könne etwa der Außenbereich des Messegeländes mitgenutzt werden.
Auch die Domotex in Hannover wird vom Januar in den Mai verlegt. Dann findet die Weltleitmesse für Bodenbeläge als hybrides Event statt. Denn zuletzt kamen 70 Prozent der Besucher aus dem Ausland. Es sei nicht sicher ist, ob sich die Reisesituation bis Januar 2021 signifikant verbessern werde, begründet Andreas Gruchow vom Vorstand der Deutschen Messe AG die Verlegung. Sicher ist nur: Bis zur Normalisierung des Messebetriebs wird es noch eine ganze Weile dauern.
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