Der Wursthersteller stößt durch den Veggie-Boom an seine Kapazitätsgrenzen. Der neue Chef wappnet den Marktführer gegen finanzstarke Konkurrenten.
Produkte der Rügenwalder Mühle
Erstmals haben bei der Rügenwalder Mühle Veggie-Produkte klassische Fleischprodukte überholt.
Bild: Rügenwalder Mühle
Düsseldorf Im Juli hat das Traditionsunternehmen Rügenwalder Mühle eine historische Schwelle überschritten. Erstmals in seiner 186-jährigen Geschichte macht der Wursthersteller mehr Umsatz mit vegetarischen und veganen Fleischalternativen als mit klassischem Aufschnitt oder Teewurst. Dabei ist das Familienunternehmen aus dem niedersächsischen Bad Zwischenahn erst 2014 in die Produktion von Veggie-Fleisch und -Wurst eingestiegen.
„Die Coronakrise hat dem Trend zu bewusster Ernährung mit pflanzlichen Fleischalternativen zusätzlich Schub gegeben“, sagt Michael Hähnel. Der 54-Jährige komplettierte im Januar als CEO die Geschäftsleitung und gehörte bereits zuvor dem Aufsichtsrat an. Im ersten Halbjahr konnte die Rügenwalder Mühle dann ihren Absatz von vegetarischen Frikadellen oder Mortadella um 50 Prozent steigern.
Schon 2019 hatte das Unternehmen einen Rekordumsatz von 242 Millionen Euro erzielt, das entsprach einem Plus von fast 15 Prozent zum Vorjahr – auch das getrieben vom Veggie-Boom. Damit ist die Rügenwalder Mühle die Nummer sieben unter den deutschen Wurstherstellern, Branchenprimus ist mit Abstand die Zur-Mühlen-Gruppe, die zum Großschlachter Tönnies gehört. „Unsere klassischen Produkte bilden unser Standbein – Veggie ist unser offensives Spielbein“, erklärt Hähnel, der geholt wurde, um das rasante Wachstum zu managen.
„Vor sechs Jahren wagte die Rügenwalder Mühle eine Revolution, ein Experiment mit offenem Ausgang. Die Strategie ging auf, Markt und Absatz sind dramatisch gewachsen“, erläutert Klaus-Martin Fischer, Fleischexperte und Partner der Beratung Ebner Stolz. Das Familienunternehmen beherrsche Marke und Marketing, sei offen, durchsetzungsstark und mutig. Laut Marktforscher IRI ist die Rügenwalder Mühle bei Fleischalternativen Marktführer in Deutschland – mit einem Marktanteil von rund 40 Prozent.
Die Nachfrage nach Veggie-Fleisch ist so stark gestiegen, dass die Rügenwalder Mühle an ihre Kapazitätsgrenzen gestoßen ist. „Wir konnten in diesem Jahr knapp alle Aufträge beliefern, unsere Maschinen reichen aber für weiteres Wachstum einfach nicht aus“, sagt Hähnel. Das Familienunternehmen baut seine Kapazitäten deshalb kräftig aus. In diesem und im nächsten Jahr sollen jeweils 20 Millionen Euro in zusätzliche Anlagen fließen. Die Firma ist laut Hähnel profitabel, mehr verrät er nicht. 2018 lag das Jahresergebnis bei 4,4 Millionen Euro, ist dem Bundesanzeiger zu entnehmen.
Michael Hähnel
Der neue CEO der Rügenwalder Mühle soll das rasante Wachstum managen.
Bild: Rügenwalder Mühle
Längst haben finanzkräftige Wettbewerber den vielversprechenden Zukunftsmarkt Veggie für sich entdeckt. Bis 2040 soll die tatsächliche Fleischproduktion nur noch 40 Prozent des weltweiten Fleischkonsums ausmachen, prognostiziert die Beratung AT Kearney. Das Gros entfiele dann auf Fleischalternativen. Pionier Rügenwalder Mühle konkurriert nun mit Konzernen wie Nestlé (Sensational Burger, Garden Gourmet) und Unilever (The Vegetarian Butcher) sowie US-Start-ups wie Beyond Meat und Impossible Foods. Allerdings: „Heute sieht man viele Marketing-Gags in den Regalen“, kommentiert Branchenexperte Fischer den Boom.
Beyond Meat wird nach dem Börsengang derzeit mit 7,7 Milliarden Dollar bewertet. Obwohl der Umsatz 2019 am Unternehmenswert gemessen bei bescheidenen 300 Millionen Dollar lag, entspricht das einem Zuwachs von 240 Prozent. Damit hat Beyond die Rügenwalder Mühle deutlich überholt. Impossible Foods wiederum hat gerade 200 Millionen Dollar Kapital eingesammelt.
Diesbezüglich kann und will die Rügenwalder Mühle, die zu 100 Prozent Familienunternehmen bleiben möchte, nicht mithalten. „Wir können uns nur als regionaler Mittelständler abheben“ , weiß Hähnel. Das Unternehmen habe sich seit Jahrzehnten das Vertrauen der Verbraucher erarbeitet.
„Diese Glaubwürdigkeit besitzt kein anderer Hersteller von Pflanzenfleisch“, ist Hähnel, selbst Flexitarier, überzeugt. „Ein Konzern kann uns nicht einfach so vom Teller stoßen. Schließlich entscheiden die Verbraucher, ob sie Multis und Start-ups aus Amerika oder lieber einen deutschen Mittelständler unterstützen wollen“, meint auch Geschäftsführer Godo Röben. Der 51-Jährige arbeitet seit 26 Jahren bei Rügenwalder.
Das Familienunternehmen wurde 1834 vom Fleischermeister Carl Müller im pommerschen Rügenwalde gegründet. 1956 zog der Betrieb nach Niedersachsen um. Seit 2017 leiten erstmals familienfremde Manager die Geschäfte. Gesellschafter Gunnar Rauffus vertritt als aktiver Aufsichtsrat in siebter Generation die Familie.
Diplom-Kaufmann Hähnel wurde geholt, um neue Strukturen beim stark wachsenden Mittelständler zu etablieren, bei dem zuvor viel auf Zuruf entschieden wurde. Die Zahl der Mitarbeiter stieg seit Anfang 2019 um fast 200 auf 728. „Godo ist Visionär, der für die Sache brennt“, sagt Hähnel über Röben. „Ich brauche einen Analytiker mit Leidenschaft wie Michael, damit ich nicht überreiße“, setzt Röben augenzwinkernd entgegen.
Hähnel bringt Erfahrung in der Arbeit in einem Konzern wie in einem mittelständischen Familienunternehmen mit. Fast 16 Jahre war er bei Beiersdorf tätig, zuletzt als Landeschef Polen. Dann arbeitete er seit 2013 beim Kekshersteller Bahlsen, davon zwei Jahre im Vorstand der Bahlsen-Gruppe. Dort war er unter anderem verantwortlich für Deutschland, Asien und IT.
„Butterkeks und Fleischpflanzerl haben mehr gemeinsam als man denkt“, meint Hähnel. Die Firmenstrategie hat er bereits geschärft, die Pläne, mit Veggie-Fleisch ins Ausland zu expandieren, aber erst einmal abmoderiert: „Man kann nicht alles machen, wenn der Markt explodiert.“ Stattdessen setzt er den Fokus auf den deutschsprachigen Raum. „Wir wollen überall vertreten sein – nicht nur im Supermarkt, sondern auch an der Tankstelle, in der Systemgastronomie oder im Kino, Hotel oder Stadion“, erklärt Hähnel, der Röbens Leidenschaft für Fußball teilt.
Das Volumen im deutschen Markt für Veggie-Fleisch wird sich in diesem Jahr laut aktuellen Prognosen auf rund 400 Millionen Euro verdoppeln, in zehn Jahren auf drei Milliarden Euro steigen, so Röben. „Auch wenn wir unseren Marktanteil nicht halten, werden wir trotzdem wahnsinnig wachsen.“
Dabei will die Rügenwalder Mühle Innovationsführer bleiben. Bei Lidl sind Tiefkühlprodukte im Test, darunter vegane Fischstäbchen. In der Frischetruhe gibt es veganes Hack. Von vegetarisch mit Ei soll immer mehr auf rein pflanzlich umgestellt werden. 35 Produkte sind im Sortiment, 19 davon vegan. Dafür lässt die Rügenwalder Mühle jetzt eigenes Soja in Deutschland anbauen und forscht an Rohstoffen wie Lupinen „rund um den Kirchturm“.
Zusatzstoffe will der Hersteller weiter verbannen. „Wir müssen unser Innovationstempo beibehalten und den Wettbewerbern immer einen Schritt voraus sein. Größe allein ist nicht entscheidend“, ist Hähnel überzeugt.
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