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17.07.2022

13:37

Chaos bei der Bahn

Gewerkschaften: „Das Neun-Euro-Ticket macht krank“

Von: Jens Koenen

Überfüllte Züge, defekte Toiletten: Arbeitnehmervertreter kritisieren die Überlastung des Staatskonzerns und beklagen eine steigende Krankenquote.

Das Neun-Euro-Ticket bringt das System Bahn auf einigen Strecken an die Belastungsgrenze. Immer häufiger sind Züge defekt. dpa

Voller Bahnsteig in Norddeich

Das Neun-Euro-Ticket bringt das System Bahn auf einigen Strecken an die Belastungsgrenze. Immer häufiger sind Züge defekt.

Frankfurt Mit deutlichen Worten haben die beiden Gewerkschaften der Deutschen Bahn den aktuellen Zustand des Staatsunternehmens kritisiert. „Ich habe bei einem Zug von Rostock nach Hamburg gesehen, wie Menschen buchstäblich aus dem Zug gefallen sind, als die Türen geöffnet wurden“, sagte Martin Burkert, der stellvertretende Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), der Zeitung „Welt am Sonntag“. Er habe Zustände wie in diesem Sommer noch nie erlebt.

Auch der Vorsitzende der Lokführergewerkschaft GDL, Claus Weselsky, sprach gegenüber der Zeitung von einem bisher „noch nie da gewesenen Chaos“. „Das ist der absolute Super-GAU“, sagte er. Und wiederholte einen lange bekannten Vorwurf: Der Staatskonzern sei „durch jahrelanges Kaputtsparen“ in diesen katastrophalen Zustand geraten.

Beide Arbeitnehmervertreter machen unter anderem das Neun-Euro-Ticket für die schwierige Situation des Schienenunternehmens verantwortlich. Der dadurch ausgelöste Ansturm lege die starke Abnutzung des gesamten Systems offen. „Wir stellen schon sehr frühzeitig Schäden durch die starke Nutzung des Neun-Euro-Tickets fest: Aufzüge sind defekt, Toiletten in Zügen funktionieren nicht mehr, es wird einfach alles sehr stark belastet“, sagte Burkert.

Viele Mitarbeiter seien bereits an der Belastungsgrenze, sagte Burkert weiter. Die Krankenstände würden steigen. „Wir merken: Das Neun-Euro-Ticket macht krank.“ Nach Angaben der Bahn fuhren im Juni nur noch etwa 58 Prozent der Fernzüge pünktlich, im Regionalverkehr waren es 88,5 Prozent der Züge. Der Bahn-Vorstand weiß um die prekäre Situation für viele Kunden und die Belegschaft. „Glauben Sie mir: Ich leide wie ein Hund“, hatte Konzernchef Richard Lutz kürzlich gesagt.

Der Staatskonzern kämpft vor allem mit zwei Herausforderungen: Zum einen ist das Schienennetz wegen eines jahrelangen Investitionsstaus in einem desolaten Zustand. Immer wieder bremsen defekte Signale oder Weichen den Zugverkehr aus. Gleichzeitig wird an so vielen Stellen gebaut wie niemals zuvor. Das sorgt für Umleitungen.

Zum anderen hat das von der Regierung beschlossene Neun-Euro-Ticket für einen zusätzlichen Ansturm auf die Züge gesorgt. Die Bahn fährt derzeit mit ihrem gesamten verfügbaren Material. Das hat Folgen: Obwohl mehr Personal bereitgestellt wurde, kommt das Unternehmen mit der Wartung und der Versorgung der Züge kaum nach. Auch fehlen Reservezüge, sollte einmal ein Zug stehen bleiben.

Schnelle Abhilfe gibt es nicht. Erst 2024 wollen Bahn und Bund mit einem neuen Konzept das marode Netz nachhaltig auf Vordermann bringen. Statt ständig am Schienennetz zu arbeiten, sollen alle auf längere Sicht geplanten Baumaßnahmen auf einer Strecke gebündelt werden, um diese dann generalzusanieren. Das hat allerdings zur Folge, dass diese Strecken dann über mehrere Monate gesperrt und umfahren werden müssen.

Doch der Vorstand der Bahn und der Eigentümer, der Bund, sehen keine andere Möglichkeit, das deutsche Schienennetz endlich dauerhaft zukunftsfähig zu machen. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat die Sanierung und Modernisierung des Netzes mittlerweile zur Chefsache erklärt: „Ich erwarte, dass wir in Zukunft wieder die Uhr nach der Bahn stellen können.“

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