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29.02.2020

17:52

Corona-Gefahr

Immer mehr Großveranstaltungen werden verschoben

Von: Katrin Terpitz

Der Krisenstab der Bundesregierung rät von internationalen Großevents ab. Die Reisemesse ITB wurde komplett abgesagt. Fußballspiele und Konzerte stehen auf der Kippe.

Wegen des Coronavirus wird die internationale Tourismus Messe abgesagt. Reuters

ITB Berlin

Wegen des Coronavirus wird die internationale Tourismus Messe abgesagt.

Düsseldorf Der Standaufbau auf dem Messegelände in Berlin war schon in vollem Gange. Am Mittwoch sollte die weltgrößte Tourismusmesse ITB beginnen. Rund 10.000 Aussteller aus etwa 180 Ländern und 160.000 Besucher waren erwartet worden. Doch die Messe wird ihre Tore nicht öffnen. Am Freitagabend entschied die Messegesellschaft Berlin, nachdem der öffentliche Druck und die Auflagen des Gesundheitsamts immer höher geworden waren: Die diesjährige ITB fällt komplett aus.

Am Abend hatte der Krisenstab der Bundesregierung die Empfehlung ausgegeben, bei der Risikobewertung eines Events unverzüglich Prinzipien des Robert-Koch-Instituts (RKI) zu berücksichtigen. Somit sollten „unmittelbar bevorstehende internationale Großveranstaltungen wie die ITB abgesagt werden“. In den Leitlinien des RKI heißt es: „Die Risiken sind nicht bei allen Veranstaltungen gleich groß.“ Daher sollten die Verantwortlichen eine sorgfältige Abwägung treffen.

Höhere Risiken könnten etwa vorliegen, wenn Menschen aus bekannten Risikogebieten oder Ältere mit Vorerkrankungen teilnehmen. Zu prüfen sei, ob eine „enge Interaktion“ wie Tanzen vorgesehen ist oder Räume schlecht belüftet sind. Zudem könne es auf Desinfektionsmöglichkeiten für Besucher ankommen - oder darauf, ob Kontaktpersonen notfalls rasch ausfindig zu machen wären. Möglich sei, Veranstaltungen mit Auflagen zu erlauben, Teilnehmer auszuschließen - und Veranstaltungen zu verschieben oder abzusagen.

Ob eine Veranstaltung stattfinden darf, entscheiden letztlich die zuständigen Behörden vor Ort, meist die Gesundheitsämter. So kann es sein, dass Messen, Konzerte oder Sportveranstaltungen in einigen Städten stattfinden können, in anderen nicht. Die Behörden prüfen jeden Einzelfall. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach sich für ein Vorgehen mit „Maß und Mitte“ beim Umgang mit dem Virus aus. Es sollten nicht alle Veranstaltungen deshalb abgesagt werden.

Untersagt das zuständige Amt ein Event, kann sich der Veranstalter auf „höhere Gewalt“ berufen und ist aus der Haftung draußen. Sagen Veranstalter Messen eigenmächtig ab, drohen ihnen Schadenersatzforderungen. Auf der Reisemesse ITB schloss die Branche 2019 Geschäfte für rund sieben Milliarden Euro ab, ergab eine Umfrage der Veranstalter. Teilweise kommen Aussteller trotz Messeabsage nach Berlin, um Verträge abzuschließen. Das gehe auch im Hotel.

Schweiz und Frankreich verbieten Großevents generell

Deutschlands Nachbarländer greifen zu deutlich drastischeren Maßnahmen. Frankreich untersagte am Samstagnachmittag alle Großveranstaltungen mit mehr als 5000 Menschen. Diese Entscheidung sei vom Verteidigungs- und Ministerrat getroffen worden, teilte Gesundheitsminister Olivier Véran mit. Die wichtige Immobilienmesse Mipim in Cannes wurde auf Juni verschoben.

Die Schweiz geht noch einen Schritt weiter und untersagt seit Freitag sämtliche Veranstaltungen ab 1000 Teilnehmern. Das Verbot soll bis am 15. März gelten und betrifft öffentliche wie private Events. Veranstaltungen mit weniger als 1000 Teilnehmern unterliegen einer Genehmigungspflicht. Der Schweizer Bundesrat verspricht sich von dieser einschneidenden Maßnahme einen „wirksamen Schutz für die Menschen im Land und für die öffentliche Gesundheit“.

Damit kann auch der Genfer Autosalon, der vom 5. bis 15. März stattfinden sollte und zuletzt rund 600.000 Besucher aus aller Welt anlockte, nicht stattfinden. Volkswagen begrüßte die Absage des Autosalons. „Dies ist eine Entscheidung im Sinne der Sicherheit aller Teilnehmer wie auch unserer Mitarbeiter“, teilte der Autobauer mit. Die Aussteller wollen ihre automobilen Neuheiten nun im Internet präsentieren. Die Marke Volkswagen wird am Dienstag in einem Online-Stream unter anderem den neuen Touareg R und den Golf GTI2 vorstellen.

Die Furcht vor dem neuartigen Coronavirus lähmt das weltweite Messegeschäft immer mehr. Stand Freitag waren rund um den Globus bereits 367 Messeveranstaltungen abgesagt oder verschoben worden, ermittelte das Messemedium „M+A Report“. Darunter sind 80 Veranstaltungen in Europa mit dem Schwerpunkt Italien. Die wirtschaftlichen Auswirkungen seien unabsehbar, erklärte Chefredakteurin Christiane Appel.

In Deutschland wurde vor der Empfehlung des Krisenstabs, auf internationale Großveranstaltungen besser zu verzichten, bislang ein gutes Dutzend Messen von den Veranstaltern verschoben. Dazu zählt die Messe Light + Building in Frankfurt und die Eisenwarenmesse in Köln. In Nürnberg wurde die internationale Waffenmesse IWA Outdoor-Classics verschoben, auch die Fitnessmesse Fibo in Köln wurde vom Veranstalter Reed Exhibitions verlegt.

In Düsseldorf wurde die Metallbearbeitungsmesse Metav vom veranstaltenden Verband vertagt. Die Messe Düsseldorf kündigte am Samstagnachmittag an, ihre Messen Beauty, Top Hair, Energy Storage Europe, ProWein, Wire and Tube zu verschieben.

Höhere Gewalt entbindet von Haftung

Der Druck auf Messeveranstalter war zuletzt extrem gestiegen. Viele wichtige Aussteller verlangten eine Absage der Messen, weil sie um das Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter bangen. „Manche Beteiligten sprechen von Hysterie, alle sind sich jedoch einig, dass die Gesundheit der Teilnehmer einer Messe Vorrang haben muss“, sagt Messeexperte Udo Traeger von Exhibition Doctors. „Die Stimmung in der Messebranche ist angespannt, die Sars-Epidemie war harmlos dagegen“, konstatiert Harald Kötter, Sprecher des Verbands der deutschen Messewirtschaft Auma.

Die Verunsicherung ist groß. Schließlich geht es um viel Geld. Nicht nur für die Veranstalter, auch für die Aussteller, Standbauer und andere Messedienstleister. Auch die Hotels, Restaurants, Taxis und Einzelhändler vieler Städte machen ihren Hauptumsatz zu Messezeiten.

Laut ifo-Institut sichern Messen hierzulande 231.000 Jobs. 14,5 Milliarden Euro geben Aussteller und Besucher für Messen aus – in Hotels, Restaurants oder im Einzelhandel. Hinzu kommen Produktionseffekte von rund 28 Milliarden Euro.

Nun entbrennt der Streit, wer die Kosten trägt, wenn Events nicht stattfinden. „Rein rechtlich müssen Messeveranstalter bei einer Verlegung infolge höherer Gewalt ihren Kunden nichts erstatten – weder Standgebühr noch Ticketkosten“, sagt Rechtsanwalt Martin Glöckner von der Kanzlei Glöckner Keller in Nürnberg. Der Experte für Veranstaltungsrecht ist Justiziar des Fachverbands Messen und Ausstellungen (Fama). „In der Regel bemühen sich Veranstalter daher gegenwärtig um einen neuen Termin. Dann bieten sie ihre vertragliche Leistung auch weiterhin an, nur eben später.“

Eine Verschiebung ist aber alles andere als einfach. „Es ist für viele Messen sicher herausfordernd, einen Ausweichtermin zu finden“, räumt Kötter vom Verband ein. Eine Verschiebung in den Herbst, wenn die Auslastung der Gelände meist geringer sei, mache mehr Sinn als ein neuer Termin in zwei Monaten. „Denn noch ist ja offen, wie sich das Virus weiter ausbreitet“, meint der Auma-Sprecher.

Für Messen, die im Zwei- oder Dreijahresrhythmus stattfinden, ist eine Verschiebung sicher kein großes Problem. Anders sieht es bei Jahresmessen aus, wenn die Termine zu dicht liegen. „Verschieben oder absagen hängt auch davon ab, ob sich über Jahre ein fester Oderrhythmus entwickelt hat etwa für das Weihnachtsgeschäft“, gibt Branchenexperte Traeger zu bedenken. Dann mache eine Verschiebung um ein halbes Jahr wenig Sinn.

Sportevents und Konzerten droht Absage

Nicht nur Messen, auch Großevents wie Konzerten, Sportveranstaltungen und Kongressen droht nun ein Verbot durch die Behörden. Deutschland ist nach den USA das wichtigste Tagungsland der Welt. „Die Absage oder Verschiebung von Veranstaltungen ist je nach Größe und Veranstaltungsformat eine komplexe Aufgabe, in die viele Akteure eingebunden sind“, konstatiert Matthias Schultze, Chef des GCB German Convention Bureau.

Europas führender Tickethändler und Veranstalter CTS Eventim ist wegen des Coronavirus an der Börse stark unter Druck geraten. In nur einer Woche brach die Aktie des MDax-Unternehmens aus Bremen um rund 20 Prozent auf 47,52 Euro ein. CTS Eventim gehört seit 2018 auch der italienische Konzert- und Show-Veranstalter Vivo Concerti. In vielen Gegenden Italien können Veranstaltungen wegen der Epidemie nicht stattfinden.

In Deutschland stehen demnächst Mammutkonzerte von Peter Maffay und Andrea Berg an oder Zirkusveranstaltungen des Cirque du Soleil. Über eine Absage entscheiden jeweils die lokalen Behörden. „In dem Fall würden wir die Veranstaltung verschieben, auch wenn das sicher nicht einfach wird“, sagte ein Eventim-Sprecher auf Anfrage. Das Ticket behalte die Gültigkeit.
Die Deutsche Bahn will Tickets für den Fernverkehr kostenfrei erstatten, etwa wenn eine Messe, ein Konzert oder ein Sportereignis wegen des Virus offiziell abgesagt wird.

Auch Sportevents wurden weltweit wegen der Corona-Ausbreitung gestoppt - vor allem in Asien. Die Olympischen Sommerspiele in Japan stehen auf der Kippe. Die Analysten von Jeffries schätzen die Versicherungssumme rund um Olympia 2020 auf mehr als zwei Milliarden Dollar.

Noch gut 100 Tage sind es bis zum Beginn der Fußball-Europameisterschaft. Sie findet diesmal in zwölf europäischen Ländern statt. Anpfiff ist am 12. Juni in Rom. In Italien sind bereits Erstliga-Spiele wegen des Corona-Ausbruchs abgeblasen worden, am Donnerstagabend fand ein Geisterspiel ohne Zuschauer zwischen Inter Mailand und Ludogorez Rasgrad statt. Laut Uefa soll die EM nicht verschoben werden.

Fifa-Präsident Gianni Infantino allerdings hält eine Absage der Fußball-Länderspiele im März aufgrund des Coronavirus nicht für undenkbar. „Ich würde im Moment nichts ausschließen“, sagte er am Freitagabend. Es stehen Millionen-Einnahmen auf dem Spiel.

Begegnungen der Fußball-Bundesliga finden weiter statt. Die Entscheidung, ob ein Spiel ohne Zuschauer stattfindet oder überhaupt nicht, treffen letztlich die jeweiligen lokalen Gesundheitsbehörden. Die Stars des FC Bayern allerdings sollen auf Empfehlung des Clubs wegen des Coronavirus bis auf Weiteres keine Autogramme mehr schreiben. Auch Selfies mit Fans soll es nicht mehr geben.

Die Kirchen haben ebenfalls auf die Corona-Gefahr reagiert. Die Deutsche Bischofskonferenz rät zur Vorsicht bei jedwedem Körperkontakt - etwa dem Handreichen beim Friedenszeichen. Auch bei der Nutzung von Weihwasser in den Kirchen sei vorübergehend Zurückhaltung angebracht. Die Evangelische Kirche gab die Anweisung aus, beim Abendmahl nicht aus einem Kelch zu trinken.

Korrektur: In einer früheren Version des Artikels stand fälschlicherweise, dass die Messe Logimat in Stuttgart nicht wie geplant stattfindet. Das ist nicht korrekt. Die Messe Logimat findet nach aktuellem Stand unverändert statt. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

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