Handelsblatt App
Jetzt 4 Wochen für 1 € Alle Inhalte in einer App
Anzeigen Öffnen
MenüZurück
Wird geladen.

09.10.2018

17:40

Das neue System soll den Schienenverkehr schneller und pünktlicher machen. AFP

Der „Deutschland-Takt“

Das neue System soll den Schienenverkehr schneller und pünktlicher machen.

„Deutschland-Takt“ der Deutschen Bahn

So soll der Taktverkehr auf der Schiene Wirklichkeit werden

Von: Dieter Fockenbrock

Durch das Projekt „Deutschland-Takt“ soll der Bahnverkehr pünktlicher und schneller werden. Doch dafür müssen Bund und Bahn viel Geld investieren – und die Kunden sich bis 2030 gedulden.

Berlin Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer hält den Deutschlandtakt für das „größte Vorhaben seit der Bahnreform“ vor 25 Jahren. Der Schienenverkehr werde „pünktlicher, schneller und die Anschlüsse direkter und verlässlicher“, ist der CSU-Politiker überzeugt. Auch Bahnchef Richard Lutz ist sicher, dass das Projekt keine „verschwurbelte Vision“ ist.

Weil aber die Bahn selbst bislang wenig Anstalten machte, einen solchen Deutschlandtakt im Personen- wie auch im Güterverkehr einzurichten, hat die Politik ein halbes Dutzend Experten damit beauftragt, ein Konzept zu erarbeiten. Sie sollen vor allem aber auch die Frage beantworten, ob in Deutschland möglich ist, was beispielsweise in der Schweiz längst Eisenbahnalltag ist.

Das Prinzip: An wichtigen Umsteigestationen treffen Züge ungefähr gleichzeitig ein und fahren kurz darauf wieder ab. Lange Umsteigezeiten von einer halben Stunde und mehr soll es dann nicht mehr geben. Von besser planbaren Fahrzeiten soll auch der Schienengüterverkehr profitieren. Die Gutachter glauben, dass es machbar ist.

Nach dem ersten am Dienstag in Berlin vorgelegten Konzeptentwurf würden auf allen Hauptachsen künftig Fernzüge im Dreißig-Minuten-Takt fahren. Der optimierte Fahrplan, einschließlich der Nahverkehrslinien, werde laut Gutachter auch zu kürzeren Fahrzeiten auf vielen Verbindungen führen. Zwischen Berlin und dem Rheinland könnten etwa 30 Minuten eingespart werden, von Oelde nach Dresden inklusive Umstieg sogar mehr als eine Stunde.

Damit das auch funktioniert, müssen allerdings viele Bahnhöfe um- und ausgebaut werden wie auch einige Strecken. Verlängerte Bahnsteige sind da noch die einfachste Baumaßnahme. Noch wichtiger sind kreuzungsfreie Bahnhofsausfahrten, damit die zeitgleich ankommenden und abfahrenden Züge sich nicht in die Quere kommen.

Zwischen Hamm in Westfalen und Wolfsburg müsste außerdem die Strecke aufgewertet werden, damit Züge 300 Kilometer in der Stunde fahren können. Viele Streckenabschnitte müssten auf vier Gleise erweitert werden. Die Gutachter haben schon jetzt einen ganzen Katalog an großen und kleinen Umbauten zusammengetragen.

Matthias Gastel, Sprecher für Bahnpolitik der Grünen-Bundestagsfraktion, bezweifelt, dass die Finanzierung der notwendigen Umbauten und Erweiterungen von Bahnanlagen gesichert ist: „Der Deutschland-Takt steht und fällt mit dem Ausbau der Eisenbahninfrastruktur. Im Haushaltsentwurf für 2019 und den Folgejahren stagnieren die Mittel für den Neu- und Ausbau des Schienennetzes de facto auf niedrigem Niveau, während beim Straßenbau ständig neue Mittel bereitgestellt werden. Scheuers Konzept für den Deutschland-Takt fehlt der notwendige infrastrukturpolitische Unterbau.“

Das selbstgesteckte Ziel der Regierung, die Fahrgastzahlen bis 2030 zu verdoppeln, könne mit einer „Fortsetzung jahrzehntelanger Straßenbauorgien“, so Gastel, nicht erreicht werden.

Auf Fachebene wird nun das Konzept weiterentwickelt, bis Frühjahr soll der Plan stehen. Gebaut wird ab 2020, sagt Scheuer. Und: „Bis zum Jahr 2030 soll der Deutschland-Takt voll umgesetzt sein.“

Branche bewertet „Deutschland-Takt“ unterschiedlich

Immerhin hat die Regierungskoalition die Deutsche Bahn dazu verpflichtet, bis 2030 die Fahrgastzahlen zu verdoppeln. Das hieße dann 280 Millionen Kunden allein im Fernverkehr. Ein „sportliches Ziel“, wie Lutz einmal sagte.

Der Bahnchef und das von ihm geleitete Staatsunternehmen spielen beim Deutschland-Takt zwar eine wichtige Rolle. Doch den Takt gibt die Politik vor. Das zeigte sich bei der Präsentation des Konzeptes an einer kleinen Panne.

Verkehrsminister Scheuer orderte nach seinem Vortrag den Staatssekretär und Bahnkoordinator Enak Ferlemann auf die Bühne. Dabei stand erst mal Bahnchef Lutz auf dem Programm. Er muss das alles schließlich umsetzen, denn die Bahn verwaltet das Streckennetz und die Bahnhöfe im Auftrag des Bundes. Immerhin freute sich Lutz über die „Rückendeckung des Eigentümers“.

In der Branche wird der „Deutschland-Takt“ unterschiedlich bewertet. Die Verbraucherzentrale Bundesverband begrüßte das Modell. Branchenexperte Gregor Kolbe sagte, davon könne der Fahrgast profitieren. Die „Reisekette“ könne sehr zügig und verbraucherfreundlich werden. Die Einführung sei aber ein langfristiges Thema, es müsse Infrastruktur geplant und gebaut werden. Ein „Deutschland-Takt“ könne vielleicht in zehn, 15 oder 20 Jahren funktionieren, wenn er heute auf den Weg gebracht werde. „Dafür braucht man viel Geld und einen langen Atem.“

Ticketpreise: Deutsche Bahn erhöht zum 9. Dezember die Fahrpreise im Fernverkehr

Ticketpreise

Deutsche Bahn erhöht zum 9. Dezember die Fahrpreise im Fernverkehr

Flex-Tickets werden im Schnitt fast zwei Prozent teurer. Und wer sein Ticket erst im Zug kauft, muss mit einem deutlich höheren Extra-Entgelt rechnen.

Der private Verkehrsanbieter Flixmobility dagegen sieht das Fahrplan-Modell skeptisch. „Das ist ein politischer Fahrplan“, sagte Geschäftsführer André Schwämmlein. „Es ist nicht kriegsentscheidend, ob jemand nach einer ICE-Fahrt zum Beispiel in München den Anschluss nach Rosenheim bekommt.“

Viel wichtiger sei, die Hauptstrecken auszubauen, sagte Schwämmlein. „Wir haben ein riesiges Problem bei der Bahn-Infrastruktur und bei der Kapazität des Netzes. Es gibt zu viele Engpässe. Die Infrastruktur muss ausgebaut werden.“ Entscheidend sei, attraktive Angebot für die Passagiere zu schaffen. Dies gehe nur über mehr Wettbewerb. Flixmobility ist durch seine Fernbusmarke Flixbus bekannt, bietet aber unter dem Namen Flixtrain auch Zugverbindungen etwa zwischen Hamburg und Köln sowie Berlin und Stuttgart an.

Derzeit liegt Flixtrain im Streit mit der Bahn-Tochtergesellschaft DB Netz um weitere Streckenrechte. Das Start-up mit den grünen Zügen will zusätzliche Züge zwischen Stuttgart und Berlin und eine neue Verbindung zwischen Köln und Berlin fahren.

Doch die von DB Netz angebotenen Zeiten gefallen den Münchenern nicht. Zumal Großbaustellen der Bahn im kommenden Jahr zu erheblichen Verkehrseinschränkungen, etwa auf der Linie Berlin-Stuttgart, führen werden. Jetzt muss die Bundesnetzagentur entscheiden, wie es weitergeht.

Direkt vom Startbildschirm zu Handelsblatt.com

Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.

Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.

×