Viele steigen in der Coronakrise aufs Rad um. Das beflügelt die Hersteller. Nicht nur der Onlinehändler Bike24 hat ambitionierte Wachstumspläne.
Große Sprünge
Die Fahrradindustrie boomt in Zeiten von Corona. Davon profitiert nicht nur der Onlinehändler Bike24.
Bild: Bike24
München In der Pandemie haben während der Lockdowns viele Menschen das Fahrradfahren für sich wiederentdeckt. Die Branche erlebte – auch dank der hohen Nachfrage nach E-Bikes – einen Boom. „Der Markt hat ein neues Niveau erreicht und wird auch nach Corona weiter wachsen“, ist Andrés Martin-Birner, Chef des seit Sommer börsennotierten Onlinehändlers Bike24, überzeugt.
Die Fahrradbranche werde sich weiter professionalisieren – und konsolidieren. In den vergangenen Monaten hatte es bereits eine Reihe von größeren Übernahmen gegeben.
Mehr als fünf Millionen Fahrräder und E-Bikes wurden im vergangenen Jahr in Deutschland verkauft – 17 Prozent mehr als im Vorjahr. Der Umsatz erreichte einschließlich Zubehör zehn Milliarden Euro. „Der Trend zum Fahrrad ist in der breiten Gesellschaft angekommen“, sagt Martin-Birner.
Im ersten Halbjahr 2021 sank der Absatz zwar um 14 Prozent auf 2,75 Millionen verkaufte Räder. Das lag aber an der fehlenden Verfügbarkeit von Fahrrädern. Kunden müssen auf neue Modelle und Komponenten oft monatelang warten. Die Produktion von Fahrrädern in Deutschland stieg in den ersten sechs Monaten leicht auf 1,4 Millionen Stück.
Viele Großstädte richteten ihre Infrastruktur stärker auf das Fahrrad aus. Dadurch sei eine lebendige Szene entstanden – mit Kunden, die oft bereit sind, viel Geld für Rad, Kleidung und Zubehör auszugeben.
Den Trend bestätigte auch der neue Fahrrad-Monitor 2021, den Verkehrsminister Andreas Scheuer zu seinem Abschied vorlegte. Demnach denken aktuell rund 16 Millionen Menschen in Deutschland über den Kauf eines Fahrrads nach.
Zudem wollen 41 Prozent der 14- bis 69-Jährigen künftig häufiger mit dem Rad fahren. „Für immer mehr Menschen ist das Fahrrad das Verkehrsmittel der Wahl und das nicht nur während der Pandemie“, sagte Scheuer.
Auch beim Branchenverband ZIV ist man optimistisch: „Gerade die Beliebtheit von E-Bikes wächst seit Jahren dynamisch und hat inzwischen alle Modellgruppen erfasst.“ Der Bestand vergrößere sich jedes Jahr um mehr als eine Million Räder mit Elektromotor.
Martin-Birner hat das Potenzial der Branche früher erkannt als andere. Schon vor knapp 20 Jahren gründete er gemeinsam mit Lars Witt den Onlineshop Bike24 in Dresden. Hier verkaufte er bislang vor allem Ersatzteile und Zubehör, der Anteil von Kompletträdern wächst aber stark. In den vergangenen drei Jahren wuchs das Unternehmen im Schnitt um jeweils 30 Prozent auf zuletzt knapp 200 Millionen Euro Umsatz.
Trotz der Teileknappheit konnte Bike24 den Umsatz auch in den ersten neun Monaten dieses Jahres um 30 Prozent auf 192 Millionen Euro steigern. Zwar hätte auch Bike24 ohne die Knappheiten noch mehr verkaufen können. Doch der Händler profitierte von seiner sehr breiten Produktpalette. War die Komponente eines Anbieters ausverkauft, konnte er den Kunden in der Regel Alternativen anbieten.
Das operative Ergebnis (Ebitda) der Firma mit inzwischen rund 800.000 Kunden legte von Januar bis September um 8,4 Prozent auf 18,8 Millionen Euro zu.
„Wir wollen auch in den kommenden Jahren prozentual zweistellig wachsen“, kündigte Martin-Birner an. Der Markt werde im Schnitt im mittleren einstelligen Bereich zulegen. Bike24 wolle aber Marktanteile gewinnen und neue Auslandsmärkte erobern.
Demnächst eröffnet der Konzern ein neues Lager in Barcelona. „Wer vorne mitspielen will, muss heute in 24 bis 48 Stunden liefern“, sagt Martin-Birner. Daher baue Bike24 die Infrastruktur im Ausland kontinuierlich aus. Ziel sei es, der führende Fahrrad-Onlinehändler auf dem Kontinent zu werden.
Die Auslandsmärkte bieten viel Potenzial. Laut einer Studie der europäischen Fahrradverbände könnte der Absatz in Europa bis 2030 um knapp die Hälfte auf 30 Millionen verkaufte Fahrräder steigen. Mit der höheren installierten Basis wachse automatisch auch der Markt für Kleidung und Zubehör mit, sagt Martin-Birner.
Das sieht man zum Beispiel beim Taschenspezialisten Ortlieb ähnlich. „Wir mussten die Ware zuteilen und haben den Händlern Wochen- und Monatslimits für ihre Bestellungen gesetzt“, sagt Vertriebschef Martin Esslinger. Dieses Jahr sei der Umsatz erneut zweistellig gestiegen, und die Bestellungen fürs kommende Frühjahr liegen Unternehmensangaben zufolge um 30 Prozent über denen von 2021.
Der Onlinehändler Bike Components, einer der Hauptkonkurrenten von Bike24, erweiterte kürzlich sein Geschäftsmodell: Künftig werden die Teile nicht nur Privatkunden, sondern auf einem neuen Profi-Portal auch Geschäftskunden angeboten. So soll es den Fahrradhändlern ermöglicht werden, ihren Kunden schnell Teile anzubieten. Bike Components kam zuletzt auf rund 108 Millionen Euro Umsatz.
Seit die Fahrradbranche aus der Nische herausgewachsen ist, ist sie auch stärker in den Fokus von Investoren gerückt. Beim Börsengang wurde Bike 24 mit 660 Millionen Euro bewertet. Seither ist der Kurs von 15 auf 19 Euro gestiegen.
Auch andere Unternehmen in der Branche lockten Investoren an. So übernahm die Investmentgesellschaft GBL für dem Vernehmen nach 800 Millionen Euro den deutschen Fahrradproduzenten Canyon, der stark auf den Internetvertrieb setzt.
Zuletzt kaufte der niederländische Konzern Pon Holdings (Gazelle, Urban Arrow) für 700 Millionen Euro die Fahrradtochter des kanadischen Mischkonzerns Dorel Industries. Damit sicherte sich Pon Holdings Marken wie Cannondale und Schwinn und verdoppelt den Umsatz im Fahrradgeschäft auf etwa 2,3 Milliarden Euro.
Corona, Fahrradboom und Börsengang: „Es war ein Wahnsinnsjahr“, sagte Martin-Birner. Nur zum Fahrradfahren sei er in diesem turbulenten Jahr fast nicht gekommen.
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