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03.03.2022

18:11

E-Commerce

Amazon schließt die eigenen Buchläden

Von: Florian Kolf, Katharina Kort

Der Onlinehändler will seine Buchläden, Vier-Sterne-Shops und Pop-up-Stores weltweit schließen. Damit wandelt sich Amazon noch stärker zum Technologiekonzern.

Der Online-Großhändler schließt seine physischen Geschäfte. Reuters

Amazon Books

Der Online-Großhändler schließt seine physischen Geschäfte.

New York Amazons Abschied kommt überraschend. Am Mittwochabend teilte der Weltmarktführer im Onlinehandel aus Seattle mit, dass man alle eigenen physischen Buchläden, Four-Star-Shops und Pop-up-Läden schließen will. Betroffen sind 66 Läden, mit denen Amazon in den vergangenen Jahren weltweit experimentiert hat.

Damit will sich das Unternehmen nach eigenen Angaben auf das Lebensmittelgeschäft von Amazon Fresh, Whole Foods und Amazon Go sowie auf die neuen Modeläden von Amazon Style konzentrieren.

Vom Onlinehändler wird Amazon damit noch stärker zum Technologie-, Werbe- und Plattformunternehmen. Das Unternehmen lässt schon länger auch andere Händler Produkte über die eigene Plattform und Infrastruktur verkaufen. Das meiste Geld macht Amazon ohnehin inzwischen mit dem Cloud-Geschäft Amazon Web Services (AWS) und Werbung.

Obwohl AWS 2021 mit 62,2 Milliarden Dollar nur 13 Prozent der insgesamt 470 Milliarden Dollar Umsatz einbrachte, erwirtschaftete die Cloud-Ssparte mehr als drei Viertel der Gewinne. Dass Amazon-Gründer Jeff Bezos den ehemaligen AWS-Chef Andy Jassy als Nachfolger in der CEO-Position des Gesamtkonzerns gewählt hat, zeigt deutlich die Bedeutung der Sparte. Auch das Werbegeschäft ist rasant gewachsen und brachte Amazon 31 Milliarden Dollar Umsatz ein. 

Das Umsatzwachstum im klassischen Onlinehandel wuchs dagegen zuletzt immer langsamer. Im dritten Quartal 2021 machte der eigene Onlinehandel gar einen operativen Verlust von 31 Millionen Dollar.

Die Schließung der Läden ist auch die erste große Entscheidung, seit der frühere Chief Operating Officer der britischen Supermarktkette Tesco, Tony Hoggett, im Januar Leiter der stationären Handelssparte von Amazon wurde.

Amazon: Keine Kapitulation vor dem stationären Handel

Als Misserfolg der Buchläden, Vier-Sterne-Shops und Pop-up-Geschäfte werten Beobachter den Rückzug nicht. Amazon ist bekannt dafür, viele Geschäftsideen gleichzeitig auszuprobieren, von denen sie nur wenige langfristig beibehalten.

Ohnehin war der Einstieg Amazons in das stationäre Geschäft Experten zufolge ein Experiment mit neuen Formen des Handels und neuen Technologien, kein Beleg, dass es ohne physische Läden nicht geht. „Deswegen wäre es auch falsch, den Rückzug von Amazon als Kapitulation vor der hohen Kunst des Analogen zu interpretieren“, urteilt der Handelsberater und ehemalige Ebay-Deutschland-Chef Stefan Wenzel.

Dort seien „Batterien an Tests“ gelaufen, etwa für kassenloses Einkaufen oder die Steuerung des Sortiments durch Algorithmen, sagt Wenzel. „Viele Wetten gehen nicht auf, ein paar gute reichen aber.“ Und als digitales Unternehmen sei Amazon mutig genug, erfolglose Tests wieder zu beenden. „Man hängt nicht am Medium, sondern am Effekt.“

Und auch wenn das Gesamtprojekt nun beendet wurde: Erfolgreich getestete Technologien könnte Amazon an Dritte weiterverkaufen.

Auch der E-Commerce-Experte Mark Steier sieht die Shops von Amazon nicht als eigenes Geschäftsmodell, sondern als Medium, um Innovationen auszuprobieren – möglicherweise sogar reine Showcases. Es sei auffällig gewesen, dass Amazon von Anfang an angekündigt habe, die dort erprobte Technologie anderen Händlern anbieten zu wollen, sagt Steier.

Die sogenannte „Just Walk Out“-Bezahltechnologie etwa, die Amazon für seine kassenlosen Läden entwickelt hat, nutzt Starbucks seit einigen Monaten in seinem Concept-Store in New York. Im kommenden Jahr will man die Technologie in drei weiteren Läden erproben. Außerdem hat Amazon die Technologie an die britische Supermarktkette Sainsbury lizenziert.

In die Strategie passt, dass Amazon das stationäre Geschäft nicht komplett einstellt. Verschiedene Lebensmittelgeschäfte wie die Kette Whole Foods und das kassenlose Konzept Amazon Go werden weiterbetrieben und auch technologisch weiterentwickelt.

In Kürze startet das Unternehmen mit Amazon Style sogar ein neues Ladenkonzept für Mode. Auch dort wird in erster Linie Technologie erprobt. So gibt es an jedem Kleiderständer einen QR-Code, mit dem Kunden per Smartphone prüfen, welche Größen verfügbar sind. Die passenden Kleidungsstücke können sie sich dann in die Umkleidekabine bringen lassen. Der Algorithmus ermittelt dazu passende Artikel, die dem Kunden ebenfalls in die Kabine geliefert werden.

Amazon wird zum Plattformunternehmen

Insgesamt wandelt sich Amazon von einem Verkäufer zu einem technologischen Plattformanbieter für den Handel. Auffällig ist das auf dem Onlinemarktplatz, wo mittlerweile der größte Teil des Umsatzes von Dritthändlern gemacht wird. Amazon stellt die immer weiter entwickelte Technologie, bietet den Händlern umfangreiche Analysetools und kassiert Verkaufsprovisionen.

Der Marktplatz werde immer mehr zu einer Werbe- und Promotionplattform, beobachtet Handelsexperte Wenzel. „Die Werbeerlöse in beeindruckender Höhe und jenseits der eigenen Marketingausgaben sprechen eine klare Sprache“, sagt er.

Seinen Ausflug in den klassischen Handel mit physischen Läden hatte Amazon vor fünf Jahren unternommen. Die Übernahme der amerikanischen Bioladenkette Whole Foods im August 2017 für 13,2 Milliarden Dollar war die größte Akquisition in der Geschichte von Amazon – und leitete eine neue Phase im Konzern ein. Wenige Monate später eröffnete das Unternehmen seinen ersten „Amazon Go“-Laden in seiner Zentrale in Seattle. Dort können Kunden vor allem Snacks kaufen, dank Sensoren und App auf ihrem Handy automatisch bezahlen und den Laden einfach verlassen, ohne an eine Kasse zu gehen.

2018 kamen die „Four-Star“-Geschäfte hinzu. Dort bot Amazon einen bunten Mix aus Produkten an, die von den Kunden online mit mindesten vier Sternen bewertet wurden. Oft in angesagten Gegenden wie Soho in New York gelegen, glichen die Geschäfte jedoch oft einem bunten Sammelsurium, wo von Serviettenringen über ein Puzzle bis zur Sicherheitstechnik alles zu haben war.

Nachdem Amazon vor einigen Jahren noch oft für das Aussterben klassischer Buchläden verantwortlich gemacht worden war, eröffnete Amazon in den letzten Jahren in einigen Innenstädten auch selbst welche. Zumindest deren Schließung hat Amazon nun zu verantworten.

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