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04.02.2022

13:23

E-Commerce

Arbeitskampf bei Amazon: Mitarbeiter wollen an Rekordergebnissen teilhaben

Von: Florian Kolf, Katharina Kort

Der Onlinehändler verkündet hohe Gewinne, die Aktie steigt. Doch inzwischen hat sich ein Erfolgsfaktor gewandelt: Arbeiter wissen, was sie wert sind – und fordern mehr Rechte.

Mit Plakaten und Figuren des Gründers Jeff Bezos fordern Beschäftigte das Unternehmen auf, Arbeitnehmervertretungen anzuerkennen. AP

Mitarbeiterproteste gegen Amazon

Mit Plakaten und Figuren des Gründers Jeff Bezos fordern Beschäftigte das Unternehmen auf, Arbeitnehmervertretungen anzuerkennen.

New York, Düsseldorf Amazons Wachstum scheint unaufhaltbar.  Der weltgrößte Onlinehändler hat seinen Umsatz im vergangenen Jahr um mehr als ein Fünftel auf 470 Milliarden Dollar gesteigert, den Gewinn gar um die Hälfte auf mehr als 33 Milliarden Dollar. Anleger schätzen diese Entwicklung: Nachbörslich legte der Kurs der Amazon-Aktie um 15 Prozent zu.

Dem Konzernmanagement bleibt dabei nur wenig Zeit zum Jubeln. Am Amazon-Standort Alabama startet an diesem Freitag eine Mitarbeiterumfrage zur Bildung einer Arbeitnehmervertretung. Die Angestellten begehren gegen die Arbeitsbedingungen auf, fordern höhere Löhne. Und viele Mitarbeiter haben ihre Entscheidung schon getroffen – und gekündigt. Das bedroht die Basis des Erfolgs des Weltkonzerns.

Der Arbeitskräftemangel hat den Angestellten im Niedriglohnsektor in den USA Selbstbewusstsein gegeben. In der zweiten Jahreshälfte 2021 haben jeden Monat mehr als vier Millionen Amerikaner ihren Job gekündigt – während die Unternehmen im Durchschnitt sechs Millionen pro Monat einstellten.

Das trifft auch das Geschäftsmodell Amazons, dem mit 1,4 Millionen Mitarbeitern nach Walmart zweitgrößten privaten Arbeitgeber der USA. In dem Handelskonzern samt eigener Logistikkette ist es Prinzip, große Teile der Belegschaft regelmäßig auszutauschen. So etwas hilft, die Durchschnittsgehälter und damit die Kosten niedrig zu halten. Und es erschwert die Bildung der vom Unternehmen ungeliebten Arbeitnehmervertretungen.

Laut Daten der „New York Times“ wechselte Amazon vor der Pandemie wöchentlich drei Prozent seiner nach Stunden bezahlten Mitarbeiter aus. Doch inzwischen ist es schwierig, neue Mitarbeiter zu gewinnen. Und jene, die bleiben wollen, fordern mehr Geld und mehr Rechte. Sie wollen vom Erfolg des Unternehmens profitieren.

Amazon-Mitarbeiter stimmen für Arbeitnehmer-Vertretung

Bei den Amazon-Mitarbeitern im New Yorker Stadtbezirk Staten Island herrscht bereits Partystimmung: Unter Führung der Gruppe Amazon Labor Union (ALU) hat die Belegschaft eines Lagerhauses mit 5000 Mitarbeitern diese Woche genug Stimmen gesammelt, um die Gründung einer Gewerkschaft zu beantragen. Christian Smalls ist die Erleichterung anzuhören. „Wir haben es doch geschafft“, freut sich der Initiator von ALU über seinen jüngsten Erfolg.

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Smalls ist vor 21 Monaten von Amazon entlassen worden, nachdem er in seinem Lagerhaus einen Protest für besseren Schutz vor Covid organisiert hatte. Monatelang hat er seitdem vor den Toren seines ehemaligen Arbeitsplatzes Flugblätter verteilt, um eine Gewerkschaft zu organisieren.

Es wäre das erste Mal, dass der Großkonzern es mit einer organisierten Arbeitnehmervertretung im eigenen Haus zu tun hat. Aber es wäre wohl nicht das letzte Mal. Nicht nur in Alabama sammeln Gewerkschaftsbefürworter derzeit Unterschriften, andere Standorte wollen folgen. „Ich bin von 18 verschiedenen Zentren in zwölf verschiedenen Bundesstaaten kontaktiert worden“, berichtet Staten-Island-Organisator Smalls.

„Wie jedes Unternehmen spüren auch wir die Makrotrends“, räumt eine Amazon-Sprecherin in den USA in Hinblick auf den Arbeitermangel ein. Auch der Vorstandschef Andy Jassy sprach bei der Vorstellung der Ergebnisse von „höheren Kosten durch den Arbeitskräftemangel“.

Die eigene Logistik ist das Rückgrat des Erfolgs

„Amazons Herausforderung im vierten Quartal bestand darin, genügend Personalkapazitäten aufzubauen, um den Investitionen in die Auftragsabwicklung gerecht zu werden“, beobachtet Handelsexperte Julian Skelly vom Beratungshaus Publicis Sapient. Das Unternehmen „musste dafür aber erhebliche Gewinneinbußen hinnehmen“.

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Der Unternehmensgründer und ehemalige CEO Jeff Bezos hat in seinem jüngsten Brief an die Aktionäre versprochen, sich besser um die Mitarbeiter zu kümmern: „Wir wollten immer das Kunden-fokussierteste Unternehmen der Welt sein“, schreibt Bezos darin. Und jetzt wolle Amazon auch „der beste Arbeitgeber und sicherste Arbeitsplatz der Welt sein“.

Diese Wende hat Kalkül, denn Amazon trifft der Arbeiteraufstand im Kern. „Die eigene Logistik macht Amazon nicht nur unabhängig, sondern hilft dank höherer Flexibilität auch schneller zu skalieren“, erklärt Eva Stüber, Mitglied der Geschäftsleitung des Handelsforschungsinstituts IFH. Ohne den eigenen Auslieferungsservice auch für die Marktplatzhändler hätte das Amazon-Wachstum diese Ausmaße nicht erreichen können, sagt die Handelsexpertin.

Und das Wachstum ist in der Branche beispiellos. Der weltweite Umsatz hat sich von 48 Milliarden Dollar im Jahr 2011 bis heute fast verzehnfacht. Mit 279 Milliarden Dollar setzt Amazon den Großteil immer noch in den USA um. Aber auch international konnte der Konzern den Umsatz steigern. Im vergangenen Jahr betrug der Anteil 127 Milliarden Dollar.

Auch der Amazon-Gründer hat erkannt, dass sich das Unternehmen mehr um die Belange der Mitarbeiter kümmern muss. AP

Jeff Bezos

Auch der Amazon-Gründer hat erkannt, dass sich das Unternehmen mehr um die Belange der Mitarbeiter kümmern muss.

Ging der rasante Zuwachs lange Jahre auf Kosten der Profitabilität, schreibt Amazon inzwischen längst schwarze Zahlen. Einen großen Teil dazu bei trägt das Cloud-Geschäft Amazon Web Service (AWS). Mit dieser ertragreichen Vermietung von Serverleistung an andere Unternehmen wie Adidas und Best Buy können die Investitionen in die eigene Infrastruktur quersubventioniert werden. Die Sparte lieferte im vergangenen Jahr drei Viertel des Gewinns zum Konzerngewinn, obwohl sie mit 62 Milliarden nur 13 Prozent des Umsatzes ausmachte.

In Deutschland laufen 50 Prozent des Onlinehandels über Amazon

Auf diese Weise kann es sich das Unternehmen leisten, ständig neue Ideen auszuprobieren, ohne dass diese sofort Gewinn abwerfen müssen. Diese Innovationskultur sei neben der totalen Kundenzentrierung ein wesentliches Erfolgsgeheimnis Amazons, sagt Expertin Stüber: „Das Gegebene wird ständig hinterfragt sowie neue Produkte und Leistungen eingeführt – auch solche, mit denen das Unternehmen sich zunächst selbst kannibalisiert.“

Gleichfalls in Deutschland hat sich Amazon damit eine Dominanz erarbeitet, die den Rest der Branche das Fürchten lehrt. Nach Analysen des IFH hat Amazon bereits 2020 mehr als 50 Prozent des deutschen Onlinehandels auf sich vereint. Sie spricht von der „Amazonisierung“ des Konsums.

Hierzulande spürt Amazon ebenfalls Widerstand der Arbeitnehmervertretungen. So organisiert die Gewerkschaft Verdi regelmäßig Streiks in den Lagern, um das Unternehmen zum Abschluss eines Tarifvertrags zu zwingen. Gebremst hat sie den US-Konzern damit allerdings nicht.

Mit zahlreichen Maßnahmen hat Ralf Kleber, der als Deutschlandchef nach 22 Jahren gerade an Rocco Bräuniger übergeben hat, rechtzeitig dafür gesorgt, dass es trotz des rasanten Ausbaus der Kapazitäten bisher keine Knappheit an Arbeitskräften gibt. Für Amazons deutsche Infrastruktur arbeiten mehr als 20.000 Festangestellte in 17 großen Logistikzentren, einigen Sortierzentren sowie rund 60 Verteilzentren. In den vergangenen 14 Monaten wurden dort 4000 neue unbefristete Stellen geschaffen.

Ein wichtiger Faktor ist, dass Amazon im vergangenen Jahr einen Einstiegslohn in Höhe von zwölf Euro plus Zusatzleistungen eingeführt hat, „um auch da ein Zeichen zu setzen“, wie Kleber jüngst im Interview mit dem Handelsblatt sagte. „Wir bieten Einstiegschancen und Karrieremöglichkeiten für jeden“, betonte er.

Amazon kommt Arbeitern mit höheren Löhnen entgegen

Wenn Amazon neue Logistikstandorte in Betrieb nimmt, wie dieses Jahr in Hof und in Helmstedt, eröffnet das Unternehmen eigene Bewerberbüros in den Innenstädten. Den Fachkräftemangel spüre das Unternehmen in Deutschland insbesondere in den technischen Berufen und in der IT, sagt ein Amazon-Sprecher. Deshalb bilde das Unternehmen verstärkt selbst aus und werde bis Ende 2022 voraussichtlich 300 Auszubildende und dual Studierende in der Logistik haben.

Auch in den USA hat der Konzern mittlerweile verstanden, dass er den Mitarbeitern mehr bieten muss. So zahlt Amazon in einigen Regionen Boni von 3000 Dollar, wenn Leute einen Arbeitsvertrag unterschreiben. Die Stundenlöhne wurden auf durchschnittlich 18 Dollar zum Einstieg angehoben. Nach Medienberichten hat das Unternehmen auch größtenteils sein sogenanntes „Pay to quit“-Programm abgeschafft, das Mitarbeitern nach der Weihnachtssaison 5000 Dollar bot, damit sie das Unternehmen verlassen.

„Die Mitarbeiterfluktuation ist immer noch extrem hoch bei Amazon, trotz des Arbeitermangels“ beobachtet die Arbeitssoziologin Ruth Milkman von der City University of New York. Die Lage hänge aber stark davon ab, wo sich die Amazon-Arbeitsplätze befinden. „In Alabama sind die Jobs besser bezahlt als andere Arbeitsplätze vor Ort“, sagt sie und bezieht sich auf die Strukturschwäche der Region. Es werde schwieriger sein, in Staten Island New Yorker zu rekrutieren.

„Amazon war immer stur in seiner Vision, aber flexibel in den Details“, beschrieb Amazon-Vice-President Dharmesh Mehta kürzlich auf einer Konferenz vor sogenannten Marktplatzhändlern aus dem Netzwerk des Konzerns. Und so wird Amazon auch flexible Lösungen für das Arbeitskräfteproblem finden müssen, um seine Expansionsmaschine nicht noch stärker zu gefährden.

Strategieberater Brendan Witcher von Forrester Research ist von der Problemlösungsfähigkeit des Unternehmens überzeugt:. „Wer glaubt, Amazon habe den Zenit erreicht, der hat Amazon nicht verstanden. Amazon kommt immer mit etwas Neuem um die Ecke.“

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