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15.03.2023

13:49

E-Commerce

Die Auslese im Onlinehandel beginnt und starke Händler profitieren

Von: Florian Kolf, Nadine Schimroszik

Die Schließung von Mytoys ist erst der Anfang, mehr Pleiten werden folgen. Doch der Aufschwung im E-Commerce ist damit nicht gebrochen – denn starke Händler profitieren.

Die Otto Group schließt den Online-Spielwarenhändler, der auch 19 Ladengeschäfte hat. dpa

Mytoys

Die Otto Group schließt den Online-Spielwarenhändler, der auch 19 Ladengeschäfte hat.

Düsseldorf, Berlin Die Otto Group hatte alles versucht, das Tochterunternehmen Mytoys zu retten. Noch im Februar hatte Otto-Vorstand Sebastian Klauke mit dem Verweis auf die Entlassungswelle bei anderen Digitalunternehmen gesagt: „Wir werden uns nicht leichtfertig von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern trennen, die wir womöglich in einigen Monaten wieder benötigen würden.“

Doch er hatte auch hinzugefügt: „In Zeiten wie diesen ist es nicht seriös, irgendwelche Maßnahmen auszuschließen.“ Keine zwei Wochen später kam der Tag der Wahrheit. Otto schließt den Spielwaren-Onlinehändler Mytoys und die 19 angeschlossenen Filialen in Deutschland. 800 Mitarbeiter verlieren ihren Job.

Jahrelang kannten die Umsätze im Onlinehandel in Deutschland nur eine Richtung: nach oben. Doch nun kommen wöchentlich Meldungen über Geschäftsaufgaben, Händler gehen in Insolvenz, selbst Schwergewichte wie Zalando entlassen Hunderte Mitarbeiter.

Die schlechte Nachricht: Experten erwarten weitere Hiobsbotschaften. „Viele unprofitable Unternehmen werden aus dem Markt ausscheiden“, prognostiziert Alex Graf, E-Commerce-Experte und Mitgründer der Digitalberatung Etribes. Die gute Nachricht: „Die, die übrig bleiben, haben die Chance, profitabler zu wachsen“, ist sich Graf sicher.

Auch Rainer Münch, Handelsexperte der Beratung Oliver Wyman, sieht kein Ende des Aufschwungs im E-Commerce, sondern eine notwendige Bereinigung des Marktes. „Wir sehen eine Auslese im Onlinehandel“, betont er.

E-Commerce: Coronapandemie hat Probleme bei Onlinehändlern überdeckt

„Unternehmen, denen es aus Kundensicht an einem klar differenzierten Wertversprechen fehlt und die ihre Kosten nicht in den Griff bekommen, geraten jetzt in Schwierigkeiten“, beobachtet der Berater. Die gut aufgestellten Unternehmen jedoch würden von der Bereinigung profitieren und auf den Wachstumspfad zurückkehren.

Wahrscheinlich wäre diese Bereinigung sogar noch früher gekommen, hätte nicht der außergewöhnliche Boom im E-Commerce durch die Coronapandemie zwei Jahre lang viele Probleme überdeckt. Als die meisten Geschäfte in den Städten schließen mussten, machten viele Onlinehändler das Geschäft ihres Lebens – ohne viel dafür tun zu müssen.

Doch gerade dieses explosionsartige Wachstum war für manch ein Unternehmen fatal. „Offenbar haben viele Start-ups ihre Verwaltung beim Wachstum einfach mit skaliert, ohne die Strukturen und Prozesse an die neue Größe und die veränderten Erfordernisse anzupassen“, sagt Handelsexperte Münch. „Dadurch entsteht eine Ineffizienz, die das Unternehmen gefährden kann, wenn die Rahmenbedingungen schwieriger werden.“

Eine Studie von Oliver Wyman hat gezeigt, dass unter den Onlinehändlern Produktivitätsunterschiede bei den Gemeinkosten von bis zu 50 Prozent herrschen. „Das ist erheblich höher als bei stationären Händlern“, stellt Berater Münch fest. Die Produktivitätsunterschiede zeigten sich insbesondere im Ressourceneinsatz für IT und Marketing. „Bei E-Commerce-Unternehmen sind aber auch Zentralfunktionen wie Buchhaltung oder Personalwesen von überraschend vielen manuellen Prozessen geprägt, die bei Großkonzernen längst automatisiert oder outgesourct sind“, kritisiert er.

Windeln.de geht in Insolvenz, ohne je Gewinn erzielt zu haben

Ein klassisches Beispiel für einen Onlinehändler, der seine Kosten nie im Griff hatte, ist der einstige E-Commerce-Star Windeln.de. 2015 beim Börsengang wurde er noch mit einer halben Milliarde Euro bewertet, doch bis heute hat er nie Gewinn gemacht. 2021 hat er ein Minus von 13,5 Millionen Euro ausgewiesen, bei einem Verlustvortrag aus den Vorjahren von 171 Millionen Euro.

Auch Windeln.de hatte seine Kosten nicht im Griff. dpa

Windeln.de

Auch Windeln.de hatte seine Kosten nicht im Griff.

Durch die Pandemie rettete sich Windeln.de noch mit Ach und Krach, am 30. Januar 2023 eröffnete das Amtsgericht München das Insolvenzverfahren. Da der Insolvenzverwalter Ivo-Meinert Wilrodt keinen Investor finden konnte, wird die restliche Ware abverkauft und dann der Betrieb geschlossen.

In Probleme bringt die aktuelle Kaufzurückhaltung auch stationäre Händler, die den E-Commerce nur halbherzig betreiben und den Kunden keinen Mehrwert gegenüber den reinen Onlinehändlern bieten. Sie haben die Kosten für den Digitalaufbau – aber kaum Nutzen daraus. Das hat bei Unternehmen wie Galeria und Peek & Cloppenburg zum Weg ins Insolvenzverfahren beigetragen.

Abseits von solchen Extrembeispielen macht jedoch das Gros der Onlinehändler trotz der jüngsten Abschwächung der Wachstumszahlen noch ein gutes Geschäft. „Der Onlinehandel hatte zuletzt ein Wachstumsjahr nach dem anderen“, sagt E-Commerce-Experte Graf. Jetzt werde er zum ersten Mal konsolidiert. „Aber egal wie schlecht es läuft im E-Commerce – im stationären Handel läuft es schlechter“, betont er.

Das zeigen auch die Zahlen des Onlinehandelsverbands BEVH. So lag der Gesamtumsatz im vierten Quartal 2022 um 24 Prozent über dem Umsatz im vierten Quartal 2019. Insgesamt wurden im Onlinehandel in Deutschland 90,4 Milliarden Euro umgesetzt. Bei Waren des täglichen Bedarfs stieg der Umsatz sogar um 94 Prozent im Vergleich zum Niveau vor der Pandemie. Selbst bei der Bekleidung war er noch 14 Prozent höher.

„Die Konsolidierung im E-Commerce wird erst einmal weitergehen, besonders Spontankäufe werden derzeit zurückgestellt“, sagt Martin Groß-Albenhausen, Hauptgeschäftsführer beim BEVH. Die schlechte Verbraucherlaune treffe aber den gesamten Handel. „Sobald sie sich wieder verbessert, rechnen wir im E-Commerce wieder mit einem schnelleren Wachstum als im Gesamtmarkt.“

Onlinehandel: Zalando profitiert von seinem Marktplatzgeschäft

Das dürfte auch für den zuletzt so gescholtenen Modehändler Zalando gelten. Zwar kämpft auch er aktuell mit der Konsumflaute. Doch seit 2019 hat er beim Umsatz um 80 Prozent zugelegt und ist damit Zahlen des Marktforschers Euromonitor zufolge deutlich stärker gewachsen als der Onlinemodehandel in Europa.

Als Pluspunkt bei Zalando sehen Experten, dass das Geschäftsmodell deutlich über den eigentlichen Handel hinausgeht. Ähnlich wie Amazon bietet Zalando inzwischen anderen Händlern und insbesondere auch Markenherstellern seine Infrastruktur mit Warenhäusern und Versand gegen Gebühr an.

Außerdem verbündet das Unternehmen sich mit Handelspartnern, die die Zalando-Plattform als zusätzlichen Absatzkanal wählen. 2022 machten Partner 36 Prozent des auf dem Modeportal erzielten Bruttowarenvolumens aus. Der Anteil soll bis 2025 auf 50 Prozent klettern.

E-Commerce-Experte Stefan Wenzel hält das für die richtige Strategie und begründete diese Einschätzung damit, dass ohne eigenes Bestandsrisiko Umsatz generiert wird und Abschriften nicht die eigene Bruttomarge belasten. Auch wachsen so das Sortiment und die Auswahl für die Kunden, was Zalando seinem Ziel näherbringt, erste Anlaufstelle für Mode im Internet zu werden.

Geschafft hat das der Münchener Modehändler MyTheresa – zumindest für sein Marktsegment der Luxusmode. Kaum eine Top-Marke kommt mehr darum herum, über MyTheresa zu verkaufen, das Partnerprogramm wächst stark. Entsprechend stieg der Gesamtumsatz über die Plattform im Geschäftsjahr 2021/22 um 21,3 Prozent auf 747,3 Millionen Euro.

Auch Mytoys wollte sich retten, indem sich der Händler zum Marktplatz wandelte. Doch ihm fehlte sowohl die relevante Größe, um zum ersten Anlaufpunkt für Marken wie Kunden zu werden, und zum anderen konnte er seinen Partnern keine relevanten zusätzlichen Services bieten. Angesichts des harten Wettbewerbs gab es für Otto daraus nur eine Folgerung: „Der Erfolg eines unbedingt erforderlichen Turnarounds, verbunden mit weiteren hohen Investments und steigendem Kosten- und Marktdruck, ist vor diesem Hintergrund weder seriös planbar noch realistisch.“

Erstpublikation: 13.03.2023, 04:00 Uhr.

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