PremiumDie Beratung Accenture hat Testbestellungen bei 55 Händlern und Marken durchgeführt. Oft brauchte das Paket länger als versprochen. Überraschungen gibt es auch bei den Gebühren.
Amazon-Logistikzentrum
Viele Onlinehändler schaffen es nicht, ihre versprochenen Lieferzeiten einzuhalten.
Bild: dpa
Düsseldorf Gerade im Weihnachtsgeschäft ist die schnelle Lieferung für viele Onlinehändler ein wichtiges Verkaufsargument. Das bestellte Paket soll am besten schon am folgenden Tag eintreffen. Doch die Wirklichkeit sieht meist anders aus. Das zeigt eine Untersuchung der Unternehmensberatung Accenture mit Testkäufen bei 55 Onlinehändlern, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt.
Im Schnitt lieferten die Händler in diesem Jahr einen Tag später als bei der Bestellung versprochen und brauchten 3,7 Tage, bis das Paket bei der Kundin oder dem Kunden ist. Bereits im sechsten Jahr in Folge führt Accenture diese Untersuchung jeweils Anfang Dezember durch.
Bei den Modemarken ist die Diskrepanz zwischen Versprechen und Wirklichkeit besonders groß. Dort liegt die Lieferzeit im Schnitt bei 4,9 Tagen, versprochen haben diese Unternehmen eine Lieferung von im Schnitt 3,7 Tagen. Doch es gibt große Unterschiede: Einige Unternehmen benötigen sechs bis acht Tage, manche sogar noch länger.
Die Händler hätten offenbar die schwierigen Rahmenbedingungen unterschätzt, beobachtet Sven Kromer, Managing Director von Accenture Retail Strategy & Consulting. „Sie sind davon ausgegangen, dass der große Coronaboom vorbei ist und sie wieder bessere Lieferzeiten versprechen könnten“, sagt er. Doch viele Händler hätten es nicht geschafft, dieses Versprechen einzulösen.
Bei den Testkäufen handelte es sich um normale Artikel, die als verfügbar angegeben waren, keine Angebotsware, die häufig schon mal vergriffen ist. „Man hätte erwarten können, dass sich die Lieferzeiten gegenüber dem Vorjahr verbessern, das war jedoch nicht der Fall“, sagt Kromer. Dabei gebe es von Unternehmen zu Unternehmen auch große Schwankungen.
Das gilt überraschenderweise insbesondere für einige reine Onlinehändler wie den US-Riesen Amazon, der eigentlich die Maßstäbe im E-Commerce setzt. Bei der Stichprobe für Pakete, die nicht über den Abo-Dienst Prime bestellt wurden, kam es zu Lieferzeiten von bis zu sieben Tagen.
Und bei Zalando kam das Paket erst elf Tage nach der Bestellung an – obwohl der Onlinehändler für Standardlieferungen in der Regel eine Lieferzeit von zwei bis vier Tage in Aussicht stellt.
Die Händler können sich diese Lieferzeiten aus der Untersuchung nicht erklären. Eine Zalando-Sprecherin räumt ein, dass das Unternehmen Anfang Dezember durch die Shopping-Hochsaison ein erhöhtes Bestellaufkommen verzeichnet habe. Aber sie betont: „Der vorliegende Wert deckt sich nicht mit den durchschnittlichen Lieferzeiten, die wir für denselben Zeitraum für Standardlieferungen in Deutschland gemeinsam mit unseren Versandpartnern ermittelt haben.“
In der Kalenderwoche 49, der ersten Woche im Dezember, habe die durchschnittliche Lieferzeit bei 3,79 Tagen gelegen, berichtete sie. Das bedeutet aber auch, dass viele Pakete offenbar nicht im versprochenen Lieferzeitraum eingetroffen sind. Auch die Zalando-Sprecherin sagt: „In Einzelfällen kann es bedingt durch beispielsweise Wetterverhältnisse oder Engpässe bei unseren Versandpartnern zu höheren Lieferzeiten kommen.“
Amazon nennt keine Zahlen zu den Lieferzeiten Anfang Dezember. Ein Sprecher sagte jedoch auf Nachfrage, dass das Unternehmen überzeugt sei, „dass die uns vorgelegten Behauptungen kein korrektes Bild unseres Business darstellen“. Die durchschnittliche Lieferzeit in dem beobachteten Zeitraum sei deutlich besser gewesen als angegeben.
Kundinnen und Kunden könnten sich darauf verlassen, dass das Unternehmen alles für eine pünktliche Lieferung der Weihnachtsgeschenke tue. „Amazon ist gut vorbereitet, Tausende Saisonkräfte unterstützen uns dieses Jahr zusätzlich beim Packen und Zustellen der Pakete“, erklärte der Sprecher.
Die größten Verbesserungen bei den Lieferzeiten gab es bei Produkten wie Möbeln, Verbraucherelektronik und Baumarktartikeln. „Da haben sich die durchschnittlichen Lieferzeiten von 5,2 auf 3,1 Tage reduziert“, so Experte Kromer. Besonders hervorgetan haben sich bei den Testkäufen in diesem Segment Media Markt, der Möbelhändler XXXLutz und die Baumärkte Obi und Bauhaus mit Lieferzeiten von jeweils zwei Tagen.
Jeder Händler ist gesetzlich verpflichtet, im E-Commerce transparent über die Lieferzeit zu informieren. Dabei sind Einschränkungen wie „voraussichtlich“ oder „in der Regel“ nicht zulässig. Erlaubt ist aber die Angabe eines Lieferzeitraums. Diese wird dann Bestandteil des Kaufvertrags, mit Verstreichen dieser Frist gerät der Händler also in Verzug.
Immer mehr Händler trauen sich gar nicht mehr, feste Lieferzeiten anzugeben, weil sie Sorge haben, die Kunden zu enttäuschen. „Nur 20 Prozent der Anbieter geben bei der Bestellung schon einen exakten Liefertermin an“, sagt Kromer. Die meisten nannten nur einen Zeitraum, der teilweise recht großzügig bemessen war. Weitere 25 Prozent geben einen Liefertermin an, wenn die Ware versandfertig ist.
„Bei den meisten Händlern bleibt die Lieferzeit ein Glücksspiel“, kritisiert der Accenture-Experte. „Manche geben Spannen von zwei bis sieben Tagen an, eine Angabe, die aus Sicht der Kunden praktisch wertlos ist.“
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Engpass ist in der Regel die sogenannte letzte Meile, also die Auslieferung durch den Paketdienst an den Kunden. Auch nicht optimierte Abläufe in den Lagern können zu Verzögerungen führen. Viele Händler klagen aber auch über Lieferprobleme der Hersteller, die zu Nachschubproblemen führen.
Einer Umfrage des Ifo-Instituts aus dem Juli zufolge fürchten die Einzelhändler, dass die Lieferprobleme noch bis Mitte 2023 anhalten könnten. Betroffen seien davon insbesondere Fahrräder, elektrische Haushaltsgeräte, Baumarktartikel, Konsumelektronik und Möbel.
Wie wichtig den Verbrauchern die Lieferzeit ist, zeigt eine Untersuchung von Sendcloud, einem Anbieter von Software für den Versand. Er befragte Kunden, die einen geplanten Onlinekauf kurz vor dem Abschluss abgebrochen hatten, wobei Mehrfachnennungen möglich waren. Dabei gaben 44 Prozent an, dass ihnen die geschätzte Lieferzeit zu lang war. Noch entscheidender aber waren zu hohe Liefergebühren. Dies gaben 68 Prozent der Befragten für den Kaufabbruch an.
Genau da können Verbraucher in dieser Weihnachtssaison eine böse Überraschung erleben. Denn die Untersuchung von Accenture zeigt, dass die kostenlose Lieferung immer seltener wird. Hatten diese im vergangenen Jahr noch 21 Prozent der Unternehmen standardmäßig angeboten, sind es in diesem Jahr nur noch sieben Prozent.
Prominentes Beispiel dafür ist Zalando, der seit Mitte des Jahres für Bestellungen unter 29,90 Euro eine Liefergebühr verlangt. Beim Konkurrenten About You dagegen bleibt die Lieferung kostenlos.
Die Hälfte der untersuchten 55 Händler verlangt mittlerweile einen Mindestbestellwert für Gratislieferung. Und dieser ist erneut leicht gestiegen – im Schnitt von 73,13 auf 76,50 Euro.
„Der Druck auf die Händler durch die Kostensteigerung ist sehr hoch“, beobachtet Handelsexperte Kromer. Sie hätten sich aber gescheut, die Gebühren noch stärker anzuheben. Im Schnitt sind sie zum Vorjahr von 3,97 auf 4,07 Euro angestiegen.
Viele Händler hätten sich das Geld allerdings durch die Veränderung der Gebührenstruktur wieder reingeholt – eben durch die Abschaffung der kostenlosen Lieferung und durch höhere Mindestbestellwerte. „Das sind die zwei großen Hebel, mit denen die Anbieter die Gebühren versteckt erhöht haben und die Kostensteigerungen zumindest etwas kompensieren wollen“, sagt Kromer.
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