Viele Kommunen kämpfen gegen das Ladensterben, immer mehr Geschäfte schließen. Jetzt soll eine neue digitale Plattform Leerstände verhindern.
Bremer Innenstadt
Die Hansestadt will auf drohende Leerstände mithilfe von digitalen Tools und Daten schneller reagieren können.
Bild: imago images/Eckhard Stengel
Düsseldorf Der Unternehmer Ingo Müller-Dormann nennt sich selbstbewusst den „Punk in der Modebranche“. Jahrelang hatte er Punkbands aus Großbritannien und den USA auf Tournee nach Deutschland geholt, jetzt verkauft er in Pop-up-Stores wechselnde Kollektionen junger europäischer Modedesigner.
Seit Anfang Oktober hat er auch einen Shop in der Bremer Innenstadt. Jeden Samstag sind dort Designerinnen und Designer zu Gast, präsentieren ihre Mode persönlich in einer Liveshow den Kunden und erzählen von ihrer Arbeit.
Dass dieses innovative Shoppingkonzept ausgerechnet nach Bremen gekommen ist, ist kein Zufall. Denn die Stadt lockt mit einem regelmäßigen Wettbewerb Concept- und Pop-up-Stores in die Innenstadt. Dazu mietet die Stadt leer stehende Flächen in der City an. Händler, die mit ihren Ideen überzeugen, bekommen sie dann für ein Jahr mietfrei.
Ein großes Ladensterben lässt viele deutsche Innenstädte veröden, das Handelsforschungsinstitut IFH rechnet damit, dass in den kommenden Jahren 80.000 Geschäfte schließen. Doch während viele Kommunen diesem Desaster hilflos zusehen, gehen immer mehr Städte mit guten Ideen dagegen an.
14 Städte, darunter auch Bremen, wollen jetzt noch einen Schritt weiter gehen und zusammen mit dem IFH in einem Pilotprojekt eine digitale Plattform für ein proaktives Ansiedlungsmanagement entwickeln. „Wir wollen eine Art Tinder für Innenstadtimmobilien schaffen“, sagt Eva Stüber, Mitglied der Geschäftsleitung des IFH.
„Es geht darum, auf drohende Leerstände mithilfe von digitalen Tools und Daten schneller reagieren zu können und für sie einen passenden Nutzer zu finden“, sagt Kristina Vogt, Wirtschaftssenatorin von Bremen, dem Handelsblatt. „Fast alle Städte stehen vor der Herausforderung, sich neu aufzustellen und vor allem den Entwicklungen im Bereich Digitalisierung stärker Rechnung zu tragen“, betont sie. Der zunehmende Leerstand, der durch Corona noch beschleunigt werde, sei der Anlass, nun neue Wege zu gehen.
Ziel des Projekts „Stadtlabore“ ist es, die Kommunen mit Vermietern, Händlern und anderen Interessenten zu vernetzen und den Datenaustausch zu erleichtern. Dazu ist es in einem ersten Schritt wichtig, einen Überblick zu bekommen: Wie sieht der Bestand an Handelsformaten aus, und wo herrscht Leerstand? Erst dann ist ein wirkliches Ansiedlungsmanagement überhaupt möglich.
Das Problem: „Wenn diese Daten vorhanden sind, befinden sie sich heute in der Regel in Excel-Listen“, sagt Handelsexpertin Stüber. Damit sind sie aber nur begrenzt nutzbar. „Wir bauen eine digitale Plattform und schaffen damit neue Standards“, so Stüber.
„Man kann nicht immer nur zugucken, die Stadt muss den Mut haben, in eine aktivere Rolle zu kommen“, sagt Stefan Krappa, Projektleiter Innenstadtentwicklung und Leerstandsmanagement bei der Wirtschaftsförderung der Stadt Lübeck. „Uns verbindet die Herausforderung, die Innenstädte zu reparieren“, sagt er.
Seit Jahren schon betreibt Lübeck ein Monitoring, erfasst einmal pro Jahr, welche Leerstände es gibt und was im Handel verschwunden ist. Doch von der Teilnahme an dem Pilotprojekt für die digitale Plattform erhofft sich Krappa eine ganz neue Qualität. Denn erst damit ist der permanente Austausch mit Vermietern und Händlern möglich.
„Entscheidend ist es, mit den Eigentümern der Immobilien früh in einen engen Dialog zu kommen“, erklärt Wirtschaftsförderer Krappa. „Wir brauchen ein Frühwarnsystem, das uns rechtzeitig alarmiert, bevor es zum Leerstand kommt.“ Denn auch in Lübeck stehen trotz aller Bemühungen 15 Prozent der Handelsfläche in der Innenstadt leer. Zusätzlich hat die Schließung des Karstadt-Sports-Hauses die Stadt hart getroffen.
Dabei kennen die Verantwortlichen der Kommunen auch ihre Grenzen beim Ansiedlungsmanagement. „Letztlich entscheiden immer private Unternehmen darüber, ob Mietverträge zustande kommen und wie die Höhe der Mieten und die Dauer der Laufzeiten sind. Und das ist in den meisten Fällen auch gut so“, sagt die Bremer Wirtschaftssenatorin Vogt. „Allerdings kann unsere Wirtschaftsförderung unterschiedliche Interessen zusammenbringen und einen solchen Prozess qualitativ hochwertig begleiten“, ergänzt sie.
Um aktiver eingreifen zu können, haben etliche Städte mittlerweile eine Vorkaufsrechtssatzung erlassen, die Immobilienbesitzer verpflichtet, vor einem Verkauf das Gebäude der Stadt anzubieten. Claus Kaminsky, Oberbürgermeister von Hanau, beispielsweise nutzt dies ganz gezielt als Instrument, um die Ansiedlung von Händlern zu steuern.
„Wir müssen wissen: Wem gehört die Innenstadt?“, erklärt er. Die Eigentümer seien zum Teil über die Welt verstreut, sie interessiere mehr, ob sie jeden Monat ihre Einnahmen aus der Miete erhalten, als was tatsächlich in Hanau passiert. „Die Rechte aus der Satzung bringen uns erstmals ins Gespräch mit vielen Eigentümern.“
Das Ergebnis ist dann in der Regel keine Übernahme durch die Stadt, sondern ein Kompromiss. „Die Eigentümer müssen erkennen, dass der Wert ihrer Immobilie auch davon abhängt, wie attraktiv die Innenstadt als Ganzes ist“, hofft Kaminsky. Und dafür sind auch originelle Geschäfte förderlicher als der zehnte Handyladen.
In ein aufgegebenes Schuhgeschäft konnte in der Nürnberger Straße in Hanau so vorübergehend ein Kaufhaus für regionale Kunst einziehen, das Tacheles. Der Hauseigentümer verzichtete auf einen Teil der Miete, die Stadt wurde Mieter, und das Tacheles als Untermieter zahlt zehn Prozent der Verkaufserlöse an die Stadt. Nach dem gleichen Modell hat schräg gegenüber ein Secondhandladen aufgemacht, der zuvor nur online aktiv war.
Kaminsky sieht die Stadt dabei in der Rolle eines „Nomaden“, wie er es nennt, der die Zwischennutzung organisiert und so auch möglichen Leerstand verhindert. „Wenn sich eine andere sinnvolle Nutzung für das Ladenlokal findet, ziehen wir weiter.“
Der Bedarf für eine solche Unterstützung ist groß. „Wir sehen einen Rückgang der inhabergeführten Fachgeschäfte, der schon lange vor Corona begonnen hat“, berichtet Frank Mentrup, Oberbürgermeister von Karlsruhe. „Doch heute stehen deutlich mehr Flächen leer, als wir es vor Corona kannten – und das nicht nur in den Schmuddelecken, sondern auch in den guten Lagen.“
Die Stadt Karlsruhe hat deshalb bestimmte Bereiche der Innenstadt zu Sanierungsgebieten erklärt. „Dadurch haben wir die Möglichkeit, Kaufverträge für Immobilien zu verbieten, wenn es sich um offensichtlich spekulative Preise handelt“, erklärt Mentrup.
Auch hat die Stadt damit ein Vorkaufsrecht, wenn der Eigentümer die ausgeschriebenen Sanierungsziele des Gebiets nicht erfüllt. So ist dort beispielsweise festgelegt, dass es keine neuen Ein-Euro-Shops oder Spielhallen geben darf. „Wenn sich ein Käufer zudem den Sanierungszielen verpflichtet, haben wir schon viel erreicht“, sagt Mentrup.
Was auch Mentrup beobachtet: Die Coronakrise hat viele Eigentümer und Händler kooperativer gemacht. Kein Immobilienbesitzer könne sich mehr sicher sein, sein Ladenlokal schnell zu einer hohen Miete neu zu vermieten. „Deshalb sind viele jetzt sehr viel gesprächsbereiter, mit uns gemeinsam Ideen zu entwickeln, welche Mietnutzungen auch der langfristigen Entwicklung des Quartiers dienen und nicht nur ihrer kurzfristigen eigenen Rendite“, so Mentrup.
IFH-Expertin Stüber ist davon überzeugt, dass die geplante digitale Plattform die Kommunen dabei unterstützen kann. „Die Kommunen müssen in einen permanenten und intensiven Dialog mit der Immobilienwirtschaft kommen“, sagt sie. Von der Logik her sei es ein bisschen wie in einer Shoppingcenter-Verwaltung, allerdings für die gesamte Innenstadt. Die Standorte würden zentral und datenbasiert ausgesteuert.
„Im zweiten Schritt werden die Standorte mit zusätzlichen Daten wie Passantenfrequenzen, verfügbaren Parkplätzen, Ladesäulen oder Ähnlichem ergänzt“, erklärt die Handelsexpertin. Ziel sei es, „dass das Thema Innenstadt strategisch weitergedacht werden kann“.
Auch ihr ist klar, dass die Voraussetzungen in vielen Kommunen dafür noch nicht die besten sind. „Manche haben sehr früh begonnen, Leerstand aktiv entgegenzutreten, andere sind noch ganz am Anfang“, beobachtet sie. Da biete das Projekt Stadtlabore einen weiteren Vorteil: „Es entsteht damit auch ein Netzwerk der Städte für den Austausch von Wissen.“
„In Krisenzeiten gilt für uns umso mehr, dass wir uns mit anderen, denen es genauso geht wie uns, zusammentun und gemeinsam Lösungen aus der Krise entwickeln“, betont die Bremer Wirtschaftssenatorin Vogt. Sich auszutauschen spare Zeit und Geld und bringe Ideen, hat auch Hanaus Oberbürgermeister Kaminsky erkannt. „Wir müssen ja nicht die Fehler machen, die andere schon gemacht haben.“
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