PremiumDer 70-Jährige bestimmt öffentlich die Geschicke der französischen Supermarktkette – ist aber gar nicht ihr Chef. Seine Nachfolge regelt er offenbar trotzdem schon.
Michel-Edouard Leclerc
Der Unternehmer ist in Frankreich noch immer das öffentliche Gesicht der Supermarktkette.
Bild: IMAGO/PanoramiC
Paris Michel-Edouard Leclerc ist für die meisten Franzosen so präsent wie sonst nur Politiker, Musiker oder Sportstars. Der Sohn des Gründers der Supermarktkette Leclerc ist ständig im Fernsehen zu sehen. MEL, wie er genannt wird, spricht über Kaufkraft und Inflation, setzt sich für Verbraucher ein und preist dabei die günstigen Produkte der Handelskette an.
Die Medienpräsenz des immer braun gebrannten Franzosen ist größer als die der meisten Firmenchefs, manchmal taucht er viermal am Tag im Radio oder Fernsehen auf. Er hat auch einen eigenen Blog. Für das vergangene Wochenende, das letzte der Schulferien, hat er Benzin in den Tankstellen seiner Kette zum Selbstkostenpreis angekündigt.
Er nimmt kein Blatt vor den Mund, verkündet seine Meinung zu Wirtschaft und Politik. Immer wieder kritisiert er Nahrungsmittelhersteller, die die Preise zu sehr erhöht haben. Mit seiner Medienpräsenz steuert er das Unternehmen. „Solange ich nicht total alt bin, werde ich die Gruppe in den Medien repräsentieren“, betonte Leclerc zuletzt entschieden.
Dabei scheint der Einfluss des 70-Jährigen formell überschaubar: Seine Familie hat ihren Namen schon 2004 an die Kooperative der Leclerc-Läden verkauft, sie hält keine Aktien mehr und besitzt keine Läden.
Leclerc selbst arbeitet nur noch auf Rechnung für die Gruppe. Seit 2019 ist er Präsident des Strategie-Komitees und damit mehr Berater als Chef. Trotzdem wurde der charismatische Leclerc in einem Ranking des „Forbes"-Magazins noch zum „beliebtesten Chef der Franzosen“ gewählt. Seine Macht zieht er aus der medialen Aufmerksamkeit. „Die Öffentlichkeit denkt immer noch, ich bin der Chef der Centres E. Leclerc“, amüsiert er sich.
Das Magazin „Marianne“ nennt ihn scherzhaft, den „Robin Hood der Kaufkraft“. Die Tageszeitung „Liberation“ zitierte einen nicht genannten Konkurrenten, der sagte: „Der einzige Job von Leclerc ist die Kommunikation, in der er exzellent ist.“
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Obwohl die Familie sich von ihren Anteilen getrennt hat, weist der Patriarch aus dem Schatten die Richtung für die 16 Regionalchefs der Gruppe mit 140.000 Angestellten und rund 50 Milliarden Euro Umsatz im Jahr. Die Kooperative setzt sich aus unabhängigen Märkten zusammen, die sich auf eine gemeinsame Strategie geeinigt haben. Das Strategie-Komitee mit MEL an der Spitze hält das Ensemble zusammen.
Angesichts seines fortgeschrittenen Alters arbeitet Leclerc aber hinter den Kulissen offenbar schon daran, den Einfluss der Familie zu bewahren, berichtete zuletzt die französische Wirtschaftszeitung „Challenges“. Seine vier Kinder sind der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt, zwei von ihnen sollen in der Unternehmensgruppe aktiv sein. Da die Familie keine Anteile mehr hat, hat sie aber eigentlich auch kein Stimmrecht. Doch solange Leclerc weiter das Gesicht der Gruppe ist, kann er sich dafür einsetzen, dass seine Kinder sein „Erbe“ antreten.
„Er hält sich, weil seine Botschaft zu niedrigen Preisen und der Verteidigung der Kaufkraft konstant ist“ Magali Picard, Wirtschaftsjournalistin
Seinen öffentlichen Einfluss nutzt der Firmenerbe weiterhin, um Werbung für Leclerc zu machen. „Er hält sich, weil seine Botschaft zu niedrigen Preisen und der Verteidigung der Kaufkraft konstant ist“, schreibt die Wirtschaftsjournalistin Magali Picard, die ein Buch über Leclerc veröffentlicht hat. Die Leitfrage: „Lässt er uns wirklich Geld sparen?“ Leclerc sei kein Geschäftsmann und kein Chef: „Aber er hat weiter Einfluss, das ist klar.“ Sie beschreibt ihn als sympathisch, aber auch kalkuliert.
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Allein durch seine Präsenz nehme er Einfluss auf die weitere Strategie bei Leclerc. Er selbst sieht das ähnlich: „Ich bin freundlich, wohlwollend, aber wenn man mich im Kampf herausfordert, bin ich ein guter Kämpfer und gewinne“, sagte er einmal.
Medienwirksam verkündete Michel-Edouard Leclerc vor einem Jahr, das Baguette für 29 Cent zu verkaufen, um die Kaufkraft zu erhalten. Bäcker, die meist mehr als einen Euro fürs Baguette verlangen, reagierten wütend und zogen sogar vor Gericht – und verloren dort gegen ihn.
Der Erfolg der Supermarkt-Gruppe, die 1949 gegründet wurde, geht vor allem auf die aggressive Preisstrategie zurück. Lange vor den Discountern verhandelte Leclerc hart mit ihren Lieferanten, um Preissenkungen durchzusetzen. Diese müssen ihre Produkte oft günstiger als an andere Gruppen liefern.
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Mehr als 700 Geschäfte in Frankreich, aber auch in Polen, Italien und Spanien sorgen für die nötige Einkaufsmacht. Bis heute rühmen sich die Leclerc-Supermärkte damit, mindestens vier Prozent günstiger zu sein als die Konkurrenz im unmittelbaren Umfeld.
Dieses Image, das auch der Firmengründer in den Medien pflegt, zahlt sich aus: Laut den Daten des Marktforschungsunternehmens Kantar im Januar 2023 war die Gruppe in Frankreich mit 22,4 Prozent Anteil der Marktführer, weit vor Intermarché, U und Carrefour und noch weiter vor den deutschen Discountern Lidl oder Aldi. Der Marktanteil ist seit 15 Jahren um mehr als fünf Prozent gestiegen.
Nicht nur bei den Preisen nimmt Leclerc Einfluss. Er setzte sich auch früh für den Umweltschutz ein. Schon 1996 entschied er, dass es keine Wegwerf-Plastiktüten mehr in den Läden der Gruppe geben sollte – in Frankreich sind diese erst seit Juli 2016 offiziell verboten. 2006 hat Leclerc als erster Supermarkt in Frankreich Produkte aus fairem Handel angeboten.
Sein Privatleben hält der Multimilliardär trotz seiner medialen Präsenz weitgehend geheim. Er hat eine große Vorliebe für Kultur und sponserte zahlreiche Kulturfestivals in Frankreich, darunter das Comicfestival in Angoulême. Außerdem ist er begeisterter Segler, Tennisspieler und Wanderer.
Leclerc, der Politik, Wirtschaft und Philosophie an der Pariser Universität Panthéon-Sorbonne studiert und einen Doktor in Wirtschaftswissenschaften hat, wollte ursprünglich Journalist werden. 1978 begann er dann aber bei der Leclerc-Gruppe – zunächst mit Lobbyarbeit. Von 1988 bis 2005 war er Co-Präsident, zusammen mit seinem Vater Edouard. 2006 übernahm er das Amt allein
Zuerst wurde er als Sohn des Firmengründers belächelt. Doch seine Erfolge gegen mächtige Gegner verschafften ihm konzernintern Respekt: Leclerc brach in Frankreich die Monopole für Benzin, rezeptfreie Arzneimittel und Kulturprodukte. Seine vorausblickende Strategie und Medienpräsenz machen ihn bis heute für Leclerc unverzichtbar. Auch seine Nachfolge wird er kaum dem Zufall überlassen.
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