Handelsblatt App
Jetzt 4 Wochen für 1 € Alle Inhalte in einer App
Anzeigen Öffnen
MenüZurück
Wird geladen.

04.12.2022

14:21

Espresso-Unternehmer

Bedroht durch den Klimawandel: Andrea Illy fordert Hilfsfonds für die Kaffeebauern

Von: Christian Wermke

50 Prozent der Kaffeeanbaufläche könnten bis Mitte des Jahrhunderts dem Klimawandel zum Opfer fallen. Der Verwaltungsratschef der Kaffeedynastie Illycaffè aus Italien will den Bauern helfen.

Bis 2026 soll das Unternehmen aus Norditalien an die Börse gehen. Bloomberg

Espresso-Tasse von Illy

Bis 2026 soll das Unternehmen aus Norditalien an die Börse gehen.

Rom Schwere Kerzenständer auf den Tischen, die Decke voller Fresken, an den Wänden von Gold umrahmte Kunst. Die Hauptdarsteller des Abends, zu dem Andrea Illy in einen der schönsten Palazzi Roms geladen hat, gehen in all dem Pomp fast unter: Kaffeebauern aus aller Welt, die hier für ihre Bohnenernte prämiert werden. Sie kommen aus Brasilien, Kolumbien, Indien, insgesamt sind es neun Länder, aus denen Illy und seine gleichnamige Espresso-Firma ihren Rohstoff importieren.

Der Familienfirma aus dem Nordosten Italiens geht es gut, trotz Pandemie und Ukrainekrieg, trotz steigenden Energie- und Transportkosten. Im Jahr 2021 lag der Umsatz bei einer halben Milliarde Euro, ein Plus von 17,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Und auch die erste Jahreshälfte 2022 lief stark, der Umsatz stieg verglichen mit dem Vorjahreszeitraum um 21 Prozent.

Die Sparte für Gastronomie und Hotellerie erlebt ein Comeback, ist allein in Italien um 30 Prozent gewachsen. Auch die Home-Sparte, seit Corona immer wichtiger, legte weiter zu. In China kletterten die Gesamtumsätze um 16 Prozent. In den USA um rund ein Drittel – dank einer Kooperation mit Amazon.

Beim Gewinn, davon geht Illy kurz vor Jahresende aus, wird das Unternehmen sogar 2019 übertreffen, also die Zeit vor der Pandemie. Doch der 58-Jährige, dessen Firma im kommenden Jahr ihren 90. Geburtstag feiert, schaut trotzdem mit Sorge in die Zukunft – und das vor allem wegen des Klimas.

„Kaffee ist eine tropische Kulturpflanze, wird also ausschließlich in Ländern unterhalb des Äquators angebaut und leidet sehr unter dem Klimawandel“, sagt Illy, der seit 2005 den Verwaltungsrat führt. Der Kaffeeanbau müsse dringend an den Klimawandel angepasst werden.

>> Lesen Sie hier: Wie der Ex-Chef der Kaffeemarke Illy im Hintergrund die Strippen zieht

Das Problem: Die Hälfte der Anbauflächen für Kaffee können bis 2050 als Folge des Klimawandels nicht mehr bewirtschaftet werden. „Wir haben erkannt, dass wir die Investitionen in die Widerstandsfähigkeit erhöhen müssen“, sagt Illy.

Es brauche bessere Bewässerung, Beschattung, biologische Vielfalt. „Die zweite Erkenntnis ist, dass wir neue Hybridsorten entwickeln müssen, die besser an die Ökosysteme angepasst sind, hohe Temperaturen und Dürreperioden überstehen können.“

25 Millionen Familien arbeiten im Kaffeeanbau

Illy arbeitet direkt vor Ort mit den Kaffeebauern zusammen, hat eine „Kaffee-Universität“ mit mehr als 20 Standorten gegründet, bei der das gesammelte Know-how beim Anbau weitergegeben wird. „Und wir zahlen einen erheblichen Aufpreis, etwa 30 Prozent, um Investitionen der Kaffeebauern in nachhaltige Qualität zu honorieren“, betont Illy.

Nachhaltigkeit nennt er seine „Obsession“.  Illycaffè S.p.A.

Verwaltungsratschef Andrea Illy

Nachhaltigkeit nennt er seine „Obsession“.

Doch das Unternehmen aus Triest kann nicht die ganze Industrie umkrempeln. Verglichen mit US-Kaffeeriesen wie Starbucks mit rund 29 Milliarden Dollar Umsatz oder Italiens Branchenprimus Lavazza mit 2,3 Milliarden Euro Umsatz, ist Illy ein mittelgroßer Player.

Aber einer, der weiterwachsen will: Bis 2026 soll das Unternehmen an die Börse gehen, das ist der Plan der neuen Vorstandschefin Cristina Scocchia, seit Anfang des Jahres im Amt. Für 2023 prophezeit sie „zunehmende Unsicherheit und Volatilität“, wegen der stockenden Weltwirtschaft und geopolitischer Konflikte. Das kommende Jahr werde „komplex und herausfordernd“.

Laut der Internationalen Kaffeeorganisation (ICO) sind rund 25 Millionen Familien in mehr als 50 Ländern im Kaffeeanbau tätig. Täglich werden mehr als drei Milliarden Tassen Kaffee auf dem Globus getrunken.

Um die Klimaanpassung der gesamten Industrie zu ermöglichen, schlägt Andrea Illy nun einen internationalen Fonds vor. Der „Coffee Resilience Fund“ soll Geld bei Institutionen und der Privatwirtschaft einsammeln, um die nötigen Investitionen zu finanzieren. Illy beschäftigt sich schon seit 40 Jahren mit Nachhaltigkeit, nennt sie seine „Obsession“. Der Italiener ist eigentlich Chemiker, nahm sich vor Kurzem ein Sabbatical, um sich mit der „Virtuous Agriculture“ zu beschäftigen, zu Deutsch: „moralische Landwirtschaft“.

Es geht darum, den Anbau nachhaltig zu betreiben, Ackerflächen zu regenerieren, mit organischem Kohlenstoff anzureichern und gleichzeitig Schadstoffe zu reduzieren. „Der Boden wird fruchtbarer, widerstandsfähiger, braucht weniger Mineraldünger und Pestizide“, erklärt Illy.

Auf drei Plantagen wendet er das neue Konzept schon an. Die Ergebnisse der Farmen sollen über die Kaffee-Universität an die Partnerbauern weitergegeben werden. „Der nächste Schritt wird sein, die Bauern mit einem höheren Preis für ökologische Leistungen zu entlohnen.“ Illy glaubt, dass auch die Konsumenten dafür bereit sind – trotz der hohen Inflation. „Biolebensmittel sind ein Nischenmarkt, aber die Verbraucher zahlen zwischen zehn und 20 Prozent mehr für die Umwelt.“

Sie ist seit Anfang 2022 im Amt.  Illycaffè S.p.A.

Illy-Vorstandschefin Cristina Scocchia

Sie ist seit Anfang 2022 im Amt.

Vor zwei Jahren gründete Illy gemeinsam mit anderen italienischen Firmen die Regenerative Society Foundation. Illy führt die Stiftung zusammen mit dem US-Ökonomen und Nachhaltigkeitsexperten Jeffrey Sachs.

Ihr Idealmodell ist der Natur nachempfunden: Jedes neue Produkt muss auch wieder kompostierbar sein, eine ewige Kreislaufwirtschaft. „Wir müssen die Weltwirtschaft nach diesen Prinzipien entwickeln, um die Biosphäre zu regenerieren“, meint Illy. Denn davon hinge alles ab: die Luft, das Trinkwasser, die Lebensmittel. „Ohne biologische Vielfalt gibt es Krankheiten, wir haben das bei Corona gesehen.“

Illy sieht schnelle Lernkurve bei der neuen Meloni-Regierung

Illy glaubt nicht an die Rhetorik, dass der ökologische Wandel große Kosten verursacht. „Ja, er ist eine große Investition, aber die zahlt sich aus“, ist er überzeugt. Er sieht immer mehr Bewegung in seiner Industrie, bei der einige Unternehmen vorangingen, auch finanziell – sich aber alle für das Thema engagieren. „Wer den ökologischen Wandel nicht vollzieht, gefährdet sein Überleben.“

Auf Italiens neue rechte Regierung um Premierministerin Giorgia Meloni blickt Illy gelassen. „Vor ein paar Wochen war ich noch viel besorgter als jetzt“, gibt er zu. Das Bündnis habe eine schnelle Lernkurve durchlaufen. Viel werde davon abhängen, welche Art von Reformen Meloni und Co. anstreben werden. „Wenn diese nicht der Sicherheit und Stabilität des Landes dienen, sondern die politische Vorherrschaft zum Ziel haben, könnte das das Land weiter destabilisieren.“

Italienische Unternehmer müssten sich ob der häufigen Regierungswechsel ohnehin sehr flexibel zeigen. Italiens größte Schwäche, die politische Instabilität, könne man auch als Stärke sehen. „Wenn es ein Land trotzdem schafft, sich als eine der größten Weltmächte zu halten, obwohl es seit 60 Jahren alle 18 Monate eine neue Regierung gibt, dann scheint das Land grundlegend zu funktionieren.“

Direkt vom Startbildschirm zu Handelsblatt.com

Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.

Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.

×