Nach zwei Jahren Verkaufspause kann Europas größter Pyrotechnik-Spezialist seine hohen Lagerbestände abbauen. Die Dauerkritik am Silvester-Böllern erlischt nicht, doch Weco gibt sich kämpferisch.
Privat gekauftes Feuerwerk wieder erlaubt
Nach dem Verkaufsverbot hofft nicht nur Hersteller Weco auf starke Nachholeffekte.
Bild: dpa
Düsseldorf Nach zwei Jahren Coronastille in der Silvesternacht haben es die Deutschen wieder krachen lassen. Bei Thomas Schreiber, Chef von Europas größtem Feuerwerkshersteller Weco, löst das große Erleichterung aus: „Unser Unternehmen hat ums Überleben gekämpft, ich hatte viele schlaflose Nächte.“
In der Pandemie war der Verkauf von Feuerwerk zu Silvester gesetzlich verboten worden, damit mögliche Verletzte nicht die Notaufnahmen überlasten. Das führte die deutsche Branche mit rund 3000 Mitarbeitern an den Rand des Ruins.
Auf dem Familienunternehmen lasten trotz Coronahilfen dreistellige Millionenkredite, die Produktion im sächsischen Freiberg mit 100 Mitarbeitenden musste schließen. Um die Finanzierung künftig zu erleichtern, sucht der Unternehmer aus Eitorf bei Bonn nun einen Investor.
Seit Anfang Dezember liefert Weco 130.000 Paletten mit Feuerwerk an den Handel aus. Die Raketen, Knallfrösche und Böller waren zweieinhalb Jahre eingelagert. „Uns entstanden Zusatzkosten in achtstelliger Höhe“, sagt Schreiber. „Zum Glück haben Feuerwerkskörper kein Verfallsdatum. Deutschland hätte auch keine ausreichenden Kapazitäten für eine sachgemäße Vernichtung.“
Raketen und Böller sind Gefahrgut und benötigen spezielle Lager und Transportfahrzeuge. Deshalb beliefert Weco jede Filiale von Discountern, Bau- und Supermärkten einzeln. „Ein großer logistischer Aufwand.“
Mehr als 90 Prozent des Geschäfts machen Weco und die deutsche Pyrobranche an den drei letzten Tagen des Jahres. „Vor Corona waren wir immer profitabel mit einer Umsatzrendite von etwa fünf Prozent“, erläutert der Unternehmer. Infolge des Verkaufsverbots brach der Umsatz von 104 Millionen auf 15 Millionen Euro im Geschäftsjahr 2020/21 ein.
Erst durch viel Lobbyarbeit in Berlin sei es gelungen, Coronahilfen in Höhe von 15 Millionen und 18 Millionen Euro für 2020 beziehungsweise 2021 zu erhalten, ärgert sich Schreiber. „Das ist noch nicht einmal die Hälfte der Verluste, die wir erlitten haben.“
Ein Jahr habe es bis zur ersten Auszahlung der Hilfen gedauert. Dankbar ist er der Politik trotz der Kapitalspritzen nicht: „Das Verkaufsverbot war völlig unverhältnismäßig.“
Fast alle der verbliebenen 200 Mitarbeiter waren 2021 in Kurzarbeit. Um die Finanzierung von Produktion und Einlagerung zu stemmen, hat Weco seit zweieinhalb Jahren einen Kredit über 150 Millionen Euro laufen. Die Mehrkosten waren nicht an den Handel weiterzugeben. „Wir sind ja an die alten Konditionen von 2019 gebunden.“ Höhere Preise für Feuerwerk dürfte es also erst im nächsten Jahr geben.
Schreiber hält 2023 Preissteigerungen von mindestens 30 Prozent für nötig, bei einigen Artikelgruppen auch deutlich darüber. Besonders die höheren Frachtraten aus China schlügen zu Buche. 75 Prozent der Pyrotechnik importiert Weco aus dem Ursprungsland des Feuerwerks.
Unternehmer Thomas Schreiber
Der Weco-Chef ist erleichtert, dass er wieder Feuerwerk verkaufen kann: „Unser Unternehmen hat ums Überleben gekämpft, ich hatte viele schlaflose Nächte.“
Bild: Weco
Weco begann 1948 mit Wunderkerzen, die Gründer Hermann Weber in Eitorf herstellte. Später folgten Knallbonbons und Kanonenschläge. Erst belieferte Weber den Großhandel, später auch Discounter direkt. Weil der Betrieb solche Mengen nicht selbst herstellen konnte, musste er aus China Feuerwerk beschaffen.
Durch Importe konnte Weco seinen Marktanteil in Deutschland immer weiter vergrößern. Er liegt heute bei 65 Prozent, vor Comet aus Bremerhaven. Hierzulande produziert Weco vor allem Raketen und Batterien, weil sich die Herstellung gut automatisieren lässt.
Der Silvesterumsatz mit Feuerwerk in Deutschland erreichte 2017 mit 137 Millionen Euro seinen Höhepunkt, zeigen Zahlen des Verbands der pyrotechnischen Industrie (VPI). Innovationen wie Verbundbatterien befeuerten den Umsatz. Schon 2019 war das Geschäft auf 122 Millionen Euro deutlich gesunken. Schreiber zufolge fehlt es an Innovationen.
Hinzu kommt, dass immer mehr Deutsche aufs Böllern verzichten. Unter dem Hashtag #böllerciao fordert ein Bündnis aus Umwelt-, Ärzte-, Tierschutzverbänden und Gewerkschaft der Polizei sogar ein endgültiges Verbot. Die Deutsche Umwelthilfe will der „sinnlosen Knallerei“ dauerhaft ein Ende bereiten. Böller und Raketen auf Schwarzpulverbasis seien umwelt- und gesundheitsschädlich.
Für Millionen von Asthmatikern beginne jedes Jahr mit mehrtägigen Beschwerden, führt Norbert Mülleneisen aus, Facharzt für Lungenheilkunde und Umweltmedizin. „Denn an keinem anderen Tag im Jahr ist die Feinstaubbelastung so hoch wie Silvester.“
>> Lesen Sie hier: Feuerwerksbranche befürchtet „Todesstoß“
Weco-Chef Schreiber hält dagegen. Zum einen sei Feuerwerk ein Kulturgut. „Zum anderen ist unser Feinstaub hygroskopisch und verbindet sich mit Wassertropfen. Er richtet weniger Schaden an als Autoabgase oder Industrie – und das nur an einem Tag im Jahr.“ Das Silvesterfeuerwerk erzeugt einer Studie zufolge, die das Umweltbundesamt bestätigt, etwa 1400 Tonnen Feinstaub. Das entspricht zwar weniger als einem Prozent aller Feinstaubemissionen hierzulande. Das Umweltbundesamt spricht allerdings auch davon, dass die Feinstaubbelastung an Neujahr vielerorts höher sei als an jedem anderen Tag des Jahres.
Der Verband VPI will nicht nur die Menge an Feinstaub reduzieren, sondern auch Plastikmüll künftig vermeiden. „Umweltschutz hat heute einen anderen Stellenwert, vorher gab es keinen Handlungsdruck“, räumt Schreiber ein.
Weco hat alle Maschinen für die nächste Saison bereits umgestellt. Spitzkappen werden dann aus Pappe statt aus Kunststoff geformt. China-Importe haben ab 2023 Kappen aus gehärtetem Papierschaum, der sich in Wasser auflöse. Verpackungen werden auf Faltschachteln aus Papier umgestellt.
Mittelfristig will Weco unabhängiger vom Saisongeschäft werden. Als zweites Geschäftsfeld fertigt eine Tochterfirma auf dem Gelände in Freiberg Zündtabletten für Airbags. Bisher wurden mehr als 100 Millionen Sicherheitssysteme bestückt. „Allerdings haben wir mit dem US-Airbag-Hersteller Joyson nur einen Kunden und sind abhängig von dessen Auftragslage“, erläutert Schreiber. Um breiter aufgestellt zu sein, will sich Weco als Logistikdienstleister etablieren. „Schon heute kommissionieren wir abseits der Feuerwerkssaison Waren für andere Firmen.“
Ob Weco auf Dauer ein Familienunternehmen bleibt, ist ungewiss. Geschäftsführer Schreiber übernahm 2003 46 Prozent der Anteile, 44 Prozent hält sein Ex-Kollege Dieter Kuchheuser, zehn Prozent teilen sich zwei aktuelle Geschäftsführer. „Unsere Kinder werden die Firma später nicht führen“, stellt der 58-Jährige klar. „Dafür braucht es starke Nerven. Als Unternehmer muss man neunstellige Beträge vorfinanzieren und hoffen, sie in nur drei Tagen wieder reinzuholen.“
Weco will sich vor allem von den Hausbanken unabhängiger machen. Nach der Coronakrise sei der Wunsch gewachsen nach einem starken Investor, der die Finanzierung übernehme. „Wer Interesse hat an der Tradition Silvesterfeuerwerk, soll sich gerne melden.“
Erstpublikation: 29.12.2022, 04:11 Uhr.
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×
Kommentare (3)