PremiumErst der Warnstreik des Bodenpersonals, nun drohen die Kapitäne mit einem Arbeitskampf. Konzernchef Carsten Spohr droht den Rückhalt in der Belegschaft zu verlieren.
Lufthansa-Pilot
„Der Konzernvorstand verfolgt eine Personalpolitik, die auf ein gegenseitiges Ausspielen der Beschäftigtengruppen angelegt ist.“
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Frankfurt Nachdem am Mittwoch ein Warnstreik des Bodenpersonals nahezu den gesamten Flugbetrieb der Lufthansa lahmgelegt hat, droht nun bereits der nächste Arbeitskampf: Die Mitglieder der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) entscheiden derzeit über einen Streik. Am Sonntag endet die Urabstimmung.
Stimmen die Piloten der Kernmarke Lufthansa für einen Streik, was sie bislang immer getan haben, könnte die Gewerkschaft dort ab Montag zum Arbeitskampf aufrufen. „Wir sind redebereit, aber unsere Geduld ist begrenzt“, sagte Marcel Gröls von der VC dem „Spiegel“, „wir bluffen nicht.“
Kaum hat Europas größte Airline die Pandemie mit staatlicher Hilfe überstanden, kochen die Konflikte mit der Belegschaft wieder hoch. Seit Jahren bestimmt gegenseitiges Misstrauen das Verhältnis zwischen Management und Angestellten.
Vor allem an Vorstandschef Carsten Spohr entzündet sich die Kritik. „Der Konzernvorstand verfolgt eine Personalpolitik, die auf ein gegenseitiges Ausspielen der Beschäftigtengruppen angelegt ist“, schrieben die Personalvertreter des Konzerns kürzlich an die Mitglieder des Aufsichtsrats. Spohr hält sich in den Tarifkonflikten bisher öffentlich zurück.
Das sei Aufgabe des Personalvorstands Michael Niggemann, heißt es bei der Lufthansa. Doch der tut sich in der aufgeheizten Stimmung schwer, mit seinen juristisch gespreizten Formulierungen beim Personal durchzudringen.
Die Zeit, einen erneuten Streik zu verhindern, läuft ab. Im schlimmsten Fall wechseln sich in den nächsten Wochen Bodenmitarbeiter und Piloten mit ihren Ausständen ab.
Tarifexperte Gröls von der VC will dennoch die Zuversicht nicht aufgeben, dass es ohne Streik gehen wird. Er habe Vertrauen, dass „die Beteiligten am Verhandlungstisch Lösungen finden können“. Aus dem Umfeld der Gewerkschaft Verdi ist zu hören, dass die Chancen, sich nächste Woche zu einigen, nach dem heftigen Streik mit 1000 ausgefallenen Flügen gestiegen sein dürften.
In der Belegschaft hoffen viele, dass sie nicht erneut in den Ausstand treten müssen – in einer Zeit, in der wegen Personalmangels ohnehin vieles nicht rundläuft im operativen Geschäft. „Ich wäre froh, wenn das über Gespräche zu regeln ist, aber unser Frustpegel ist schon sehr hoch“, sagt der Pilot eines Lufthansa-Airbus A320.
Gerade der Konflikt mit der VC ist äußerst komplex und schwer zu lösen. Vordergründig geht es um Geld. 5,5 Prozent mehr Lohn für dieses Jahr und danach einen automatischen Inflationsausgleich – das steht auf dem Forderungszettel der Gewerkschaft. Während über solche Zahlen noch verhandelt werden kann, dürfte das bei einem weiteren Ziel schwierig werden. Die VC will eine einheitliche Tarifstruktur für das gesamte Cockpitpersonal in allen zehn Flugbetrieben der Lufthansa – mit den besten Vergütungen bei der Konzernmutter als Maßstab.
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Schwer vorstellbar, dass Konzernchef Spohr hier nachgibt. Zwar ist der Wirtschaftsingenieur selbst gelernter Pilot, weshalb die VC bei seiner Berufung zunächst zuversichtlich war, dass hier einer aus dem eigenen Lager das Ruder übernimmt. Doch das änderte sich rasch. Spohr fühlt sich von den Gewerkschaften erpresst. „Das hat er von Jürgen Weber mitgenommen, als er Referent des damaligen Vorstandschefs war“, sagt ein langjähriger Wegbegleiter des Unternehmens. Der ehemalige Lufthansa-Chef Weber war für eine harte Linie gegenüber den Piloten bekannt.
Die Folgen bekamen die Pilotinnen und Piloten 2016 zu spüren. Fast fünf Jahre hatte die VC mit dem Management um neue Tarifverträge gerungen, begleitet von immer neuen Streikwellen. Am Ende einigte man sich zwar, doch die Piloten im sogenannten Konzerntarifvertrag – um ihn geht es auch im aktuellen Konflikt – mussten die Flüge jenseits der Drehkreuze Frankfurt und München an die Konzerntochter Eurowings abgeben.
Die Lufthansa-Spitze droht offen damit, dieses Muster im aktuellen Tarifstreit zu wiederholen. Gelingt keine Einigung, werde aus der Kernmarke Lufthansa eine reine Langstrecken-Airline. Dort seien hohe Pilotengehälter in der Kostenrechnung zu vernachlässigen. Die Zubringerflüge nach Frankfurt und München würden dann an die neue Konzerntochter Cityline 2.0 gehen, deren Piloten für weniger Geld fliegen sollen. „Wir haben in den zurückliegenden Jahren einen überwiegend konfrontativen Kurs erlebt“, sagt ein Pilot der Kernmarke.
Auch wenn Spohr die eigentlichen Verhandlungen den zuständigen Personalern überlässt, die Richtung gibt der Konzernchef vor. Das macht die Sache für die Verhandlungsführer nicht immer einfach. Eine bereits vom Vorstand der Lufthansa Cargo abgesegnete Einigung mit VC über ein Programm zum freiwilligen Ausscheiden bei der Frachttochter habe Spohr vor einiger Zeit wieder einkassiert, wird in VC-Kreisen erzählt.
Lufthansa-Pilot beim Streik 2016
Von 2012 bis 2016 dauerte damals der Tarifstreit zwischen der Gewerkschaft VC und dem Management. Droht nun eine Wiederholung des Dauerkonflikts?
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Zwar will sich ein Sprecher des Unternehmens nicht zum aktuellen Tarifkonflikt äußern und verweist auf die noch laufenden Verhandlungen. Doch im Umfeld des Vorstands hält man gegen und argumentiert: Es gehe bei Cityline 2.0 vor allem darum, die zu hohen Kosten auf der Kurzstrecke, sprich den Zubringerflügen nach Frankfurt und München, in den Griff zu bekommen.
Deutlich über 200.000 Euro könne ein A320-Pilot im Konzerntarifvertrag verdienen. Damit könne man nicht gegen Billiganbieter wie Easyjet oder Ryanair bestehen. Bei Eurowings würde der gleiche Pilot 80.000 Euro weniger verdienen als bei Lufthansa und habe dennoch genug zum Leben. Zudem sei auffällig, dass es immer die Piloten des gut dotierten Konzerntarifvertrags seien, die sich beklagten. Von den Flugzeugführern der anderen Gruppen-Airlines höre man selten was, sagt eine Führungskraft.
Es ist ein emotionaler Streit, der durch eine in der Rückschau übereilte Aktion des Managements befeuert wird. Ende vergangenen Jahres kündigte Lufthansa die sogenannte Perspektivvereinbarung. In ihr hatten Lufthansa-Spitze und VC festgelegt, dass für die Piloten des Konzerntarifvertrags mindestens 325 Flugzeuge bereitgehalten werden.
Zwar ist eine solche Perspektivvereinbarung nicht tariffähig. Für ihren Erhalt darf also nicht gestreikt werden. Aber die von vielen Piloten als Affront empfundene Kündigung überlagert nun den Streit um andere Tarifverträge.
Eurowings-Maschinen in Düsseldorf
Eine weitere Konzernspaltung, wie bereits mit Eurowings geschehen, ist das Drohszenario der Konzernseite.
Bild: imago images/Rüdiger Wölk
Auf Lufthansa-Seite heißt es zwar, man habe damals keine andere Möglichkeit gehabt. Die Pandemie habe den Konzern dazu gezwungen, die Flotte zu verkleinern.
Aber selbst Spohr hat jüngst eingeräumt, dass die Kündigung bei einer etwas optimistischeren Flottenplanung wohl vermeidbar gewesen wäre. An seinem grundsätzlichen Kurs will er dennoch nichts ändern. Die Produktion, also der Flugbetrieb, werde dorthin gehen, wo sie am billigsten ist, gibt er intern die Linie vor.
Doch selbst auf Managementebene scheint nicht jeder davon überzeugt zu sein, dass dieser Kurs auf Dauer durchzuhalten ist. Schließlich würden die Gehälter der Piloten nur zwischen drei und fünf Prozent der gesamten Kosten eines Flugs ausmachen, sagen manche. Andere halten dagegen: Das gelte nur für die Langstrecke, auf der Kurzstrecke sei der Anteil der Gehälter deutlich höher.
In Führungskreisen des Unternehmens wird auch darauf hingewiesen, dass es andere, viel relevantere Kostentreiber gebe, die vor allem durch die Komplexität des Unternehmens entstehen. Etwa bei der Konzernstruktur: Einerseits ist die Lufthansa eine Art Holding, unter der die einzelnen Flugbetriebe hängen. Andererseits ist die Kernmarke Lufthansa nach wie vor Teil des übergeordneten Konzerns, sie soll erst in Zukunft herausgelöst werden.
Ein weiteres Problem: Die Flotten der einzelnen Flugbetriebe sind nicht so weit harmonisiert, wie es eigentlich geplant ist. Gleichzeitig gibt es zwischen den vielen Flugbetrieben keine klare Abgrenzung der Aufgaben. Hinzu kommt die fehlende IT-Integration der einzelnen Flugbetriebe.
Flughafen München
In Bayern beginnen die Sommerferien, in denen auch Carsten Spohr Urlaub nehmen dürfte – wenn der Tarifstreit nicht eskaliert.
Bild: IMAGO/ZUMA Wire
Es ist eine Kritik, die immer wieder auch aus dem Umfeld des Aufsichtsrats zu hören ist. Lufthansa sei über Zukäufe in den zurückliegenden Jahren deutlich gewachsen, habe es aber bisher nicht geschafft, in dem großen Reich vorhandene Synergien zu heben, heißt es dort.
In den aktuellen Tarifkonflikten helfen solche Hinweise freilich nicht. Wie schnell die Tarifparteien hier eine Lösung finden und ob überhaupt, das kann aktuell keiner wirklich abschätzen – weder bei Lufthansa noch auf Gewerkschaftsseite.
Cockpit eines Airbus der Lufthansa
„Der Konzernvorstand verfolgt eine Personalpolitik, die auf ein gegenseitiges Ausspielen der Beschäftigtengruppen angelegt ist.“
Bild: imago images/Aviation-Stock
Auch wenn Konzernchef Spohr krisenerprobt ist, die nächsten Wochen dürften für ihn eine Herausforderung werden. In Bayern beginnen am Wochenende die Schulferien. Es ist für den zweifachen Vater die Zeit, irgendwann in den nächsten Wochen eine Auszeit zu nehmen. Gut möglich, dass er seinen Urlaub wie schon häufiger in der Vergangenheit unterbrechen muss, um eine völlige Eskalation in den Tarifkonflikten zu verhindern.
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