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01.02.2023

13:54

Getränke

Bierbrauer ächzen unter hohen Kosten – und wollen Preise weiter erhöhen

Von: Katrin Terpitz

Der Bierabsatz hat sich nach der Pandemie zwar etwas erholt. Doch der deutsche Markt hat Überkapazitäten. Das setzt nicht nur kleine Brauereien massiv unter Druck.

Die Deutschen tranken 2022 wieder mehr Fassbier – aber immer noch weniger als vor der Pandemie. dpa

Oktoberfest

Die Deutschen tranken 2022 wieder mehr Fassbier – aber immer noch weniger als vor der Pandemie.

Düsseldorf Es klingt zunächst nach einer guten Nachricht für die Brauer: Die Deutschen trinken wieder mehr Bier. Kneipen und Restaurants haben wieder ohne Einschränkungen geöffnet. Volksfeste und Festivals finden wieder statt. Viel Sonne im Sommer und Herbst ließ vor allem die Lust auf Fassbier steigen. 7,2 Milliarden Liter Bier (ohne alkoholfrei) verkauften die deutschen Brauer im Jahr 2022 nach den jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes im Inland – vier Prozent mehr als im Vorjahr.

Doch die Lage der Bierbrauer ist angespannter, als es diese Zahlen vermuten lassen. „Die Erholung hat der Branche nach zwei rabenschwarzen Jahren gutgetan“, sagt Guido Mockel. Er führt Deutschlands größte private Braugruppe Radeberger. „Eine Rückkehr auf Vorkrisenniveau ist aber nicht in Sicht.“

Im vergangenen Jahr lag der Inlandsabsatz der deutschen Brauer immer noch fünf Prozent unter dem Vor-Corona-Niveau 2019. Und auch 2023 werde Mockel zufolge extrem fordernd für die Branche – mit massivem Kostendruck, stetig wachsenden Überkapazitäten und unsicherer Energieversorgung im nächsten Winter.

Nicht nur Energie, alles rund ums Bier ist deutlich teurer geworden: Braumalz kostete im November 90 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Bierfässer waren 60 Prozent teurer, Neuglas 70 Prozent und Kronkorken gar 120 Prozent, rechnet der Deutsche Brauerbund vor.

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Obwohl die meisten Brauereien ihre Preise auf breiter Front erhöht haben, konnten sie längst nicht alle Mehrkosten weitergeben. Die Margen der Branche sind deshalb deutlich gesunken. Nun sehen sich viele Hersteller gezwungen, die Preise das zweite Mal innerhalb von zwölf Monaten anzuheben.

Bierbrauen ist ein Energiefresser

Zuletzt warnte Stefan Fritsche vom Brauereiverband Berlin-Brandenburg vor einem Schreckensszenario für die deutschen Biertrinker: Wenn die Brauer und Gastronomen ihre Mehrkosten weitergeben würden, müsste der halbe Liter Bier in der Kneipe zum Jahresende gar 7,50 Euro kosten, so der stellvertretende Verbandssprecher.

Marktkenner Hermann Josef Walschebauer hält solche Forderungen trotz Kostensteigerungen dagegen für „maßlos überzogen“. Doch auch er sieht die Brauer in der Verantwortung, sich strategisch neu auszurichten. Nur wer Einkauf, Nachhaltigkeit und Markenpflege beherrsche, werde in Zeiten von hohen Kosten und Kaufzurückhaltung überleben.

„Corona hat den Abwärtstrend der Branche beschleunigt. In der Pandemiekrise hat sich gezeigt, welche Brauerei Bier managen kann und welche nicht“, sagt Walschebauer. Die Zahl der deutschen Braustätten war 2021 auf 1512 geschrumpft, ermittelte der Deutsche Brauerbund. Betroffen sind vor allem Brauereien, die keine höheren Preise durchsetzen können.

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Vor allem die hohen Energiekosten, die seit Beginn des Ukrainekriegs massiv gestiegen sind, belasten die Branche. „Bierbrauen ist ein Energiefresser“, konstatiert Walschebauer. Gerade kleine Brauereien, die nicht in Energieeffizienz investiert haben, hätten nun das Nachsehen.

Selbst Kohlensäure, die es zum Spannen der Fässer und Abfüllen in Flaschen braucht, kostet etwa 90 Prozent mehr als vor einem Jahr. Zeitweise war sie sogar am Markt fast vergriffen. Weil die Herstellung von Kunstdünger aus teurem Erdgas unrentabel wurde, fehlte auch das Nebenprodukt CO2. Schlimm für Brauer, die ihre Gärkohlensäure nicht auffangen und nutzen. Einzelne Betriebe wie die Apoldaer Brauerei in Thüringen mussten gar im Herbst vorübergehend die Produktion stoppen.

Drei von vier Bierkästen sind Sonderangebote

Selbst wenn die Brauer im Handel höhere Preise durchsetzen können. Sie riskieren, dass der Bierdurst der Deutschen abflaut. Denn beim Bier sind die Deutschen nicht erst seit der Inflation Sparfüchse. Drei von vier Bierkästen werden hierzulande als Sonderangebot verkauft, ermittelte Marktforscher GfK. 2003 wurde erst einer von vier Kästen verramscht. Verbraucher haben sich immer mehr an Aktionen gewöhnt.

Damit pushen Brauer zwar den Umsatz, verdienen aber kaum etwas. „Der Handel spielt die Brauer gegeneinander aus und befördert Preisdumping“, meint Walschebauer. Der 20er-Kasten mit 0,5-Liter-Flaschen Bier kostete im November in der Aktion unter zehn Euro. Im Schnitt war er 3,46 Euro günstiger als der Normalpreis.

„Der Preisdruck wird von Premiummarken bis an die unteren Preissegmente weitergegeben, die besonders leiden“, beobachtet der Branchenexperte. So musste auch die schwäbische Großbrauerei Oettinger die Produktion kräftig zurückfahren. Das Werk in Gotha wurde kürzlich an Wettbewerber Paulaner verkauft, der dort wohl vor allem Limo herstellen möchte. Oettinger selbst stellt zudem acht seiner Biersorten wie Bock und Urtyp ein.

Die Konsolidierung auf dem deutschen Biermarkt schreitet unaufhaltsam voran. Etliche regionale Biermarken sind bereits verschwunden. So ging die pfälzische Brauerei Bischoff in die Insolvenz. Ein Investor fand sich nicht. Auch die hessische Privatbrauerei Pfungstädter von 1831 steht wohl vor dem Aus. Auf dem Brauereigelände sollen nun Wohnungen entstehen.

Selbst Marktführer Radeberger, eine Tochter des Bielefelder Oetker-Konzerns, sah sich gezwungen, die traditionsreiche Binding-Brauerei aufzugeben. Der Betrieb am Stammsitz Frankfurt mit 150 Beschäftigten wird bis Oktober geschlossen. Er sei schon lange nicht mehr ausgelastet, heißt es. Die Marken sollen an anderen Standorten gebraut werden.

Die Radeberger Gruppe schließt die traditionsreiche Brauerei bis Oktober. IMAGO/brennweiteffm

Binding-Brauerei in Frankfurt

Die Radeberger Gruppe schließt die traditionsreiche Brauerei bis Oktober.

„Wir passen unsere Kapazitäten vorausschauend auf den sich verändernden Markt an“, erklärt der Radeberger-Chef. Für Branchenexperte Walschebauer ist die Schließung ein Zeichen dafür, dass der Oetker-Konzern die Pflege der Traditionsmarken Binding und Henniger vernachlässigt habe. „Konzerne wie AB Inbev (Diebels, Hasseröder) oder Oetker beherrschen die Markenführung regionaler Biere nicht richtig“, meint er. „Das spüren Verbraucher und wandern ab.“

Alkoholfrei und Hellbier im Trend

Doch im deutschen Biermarkt gibt es durchaus Segmente, die wachsen. Dosenbier erlebt derzeit ein Comeback, berichten etwa Warsteiner und Veltins. Das liegt auch am Comeback von Festivals. Auch alkoholfreies Bier liegt im Trend. Radeberger (Jever Fun) ist der größte Anbieter hierzulande. Bier ohne Alkohol legte beim Marktführer zum Vorkrisenjahr 2019 überdurchschnittlich um mehr als 15 Prozent zu.

Nach dem Hype um Weizenbier ist nun Helles angesagt. Das Helle Pülleken von Veltins etwa war mit einem Plus von über 25 Prozent ein Wachstumstreiber der Sauerländer. Warsteiner nennt seine neue Hellbiermarke Oberbräu einen „vollen Erfolg“. Auch für Radeberger war das Oberdorfer Helles ein Mengentreiber.

Die Privatbrauerei trotzt der Bierflaute. Sie braute 2022 so viel Bier wie nie in ihrer fast 200-jährigen Geschichte. picture alliance/dpa

Veltins-Chef Michael Huber

Die Privatbrauerei trotzt der Bierflaute. Sie braute 2022 so viel Bier wie nie in ihrer fast 200-jährigen Geschichte.

Die Privatbrauerei Veltins zeigt, dass es auch im schwierigen Umfeld noch möglich ist, kräftig zu wachsen. Die Sauerländer füllten 2022 so viel Bier ab wie nie zuvor in ihrer fast 200-jährigen Geschichte – 336 Millionen Liter entsprechen einem Plus von 8,4 Prozent zum Vorjahr. Der Umsatz legte um fast 16 Prozent auf 419 Millionen Euro noch mehr zu. „Wir sind zufrieden, aber keineswegs euphorisch“, sagt der Generalbevollmächtigte Michael Huber.

Denn auch Veltins hat mit Mehrkosten in zweistelliger Millionenhöhe zu kämpfen. Und auch bei den Preisen sehen die Sauerländer wenig Spielraum. „Der Sorgen- und Sparreflex der Verbraucher bleibt unwägbar“, meint Huber.

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