Der Einzelhandel erlebt durch die Corona-Pandemie neue Ansprüche der Kunden. Besonders gefragt sind Kreativität und Service. Eine Verbraucherbefragung zeigt, welchen Anbietern das am besten gelingt.
Zeil in Frankfurt
Der stationäre Handel in den Städten muss Erlebnisse bieten, will er Kunden in die Zentren locken.
Bild: dpa
Köln Ob Boutique oder Möbelgeschäft – im Handel sind die Corona-Beschränkungen Geschichte. Doch viele Unternehmen darben weiter. Laut Umfrage des Handelsverbands Deutschland (HDE) liegen aktuell die Umsätze im stationären Non-Food-Handel noch um 13 Prozent unter dem Vorkrisenniveau von 2019.
Die Besucherfrequenz in den Innenstädten ist um ein Fünftel gesunken. Als Ursachen nennt der HDE neben der nicht beendeten Pandemie den Krieg in der Ukraine. Um einer drohenden Verödung der Stadtzentren zu begegnen, fordert der Verband ein Sonderprogramm zur Innenstadtentwicklung mit staatlicher Förderung von 500 Millionen Euro pro Jahr.
Johannes Berentzen, Geschäftsführer der Münchener Handelsberatung BBE, verweist jedoch auch auf veränderte Gewohnheiten, die Menschen vom Gang in die Fußgängerzonen abhalten. „Erleben die Kunden ein erzwungenes Verhalten als zufriedenstellend, dann bleiben sie dabei“, sagt er.
Kunden, die im Lockdown ins Netz abgewandert sind, seien nicht leicht zurückzugewinnen. „Diese Leute brauchen einen echten Zusatznutzen, um sich auf den Weg in die Stadt zu machen.“ Die Geschäfte müssten durch exzellente Beratung punkten und ein Erlebnis bieten.
Doch wer schafft das besonders gut? Das Kölner Analyse-Institut Servicevalue hat im Auftrag des Handelsblatts untersucht, welche Händler zuletzt stationär und online überzeugen konnten.
Im April wurden Tausende Verbraucher befragt. Unter 542 stationären Händlern aus 52 Branchen erreichte die Fitnessgeräte-Kette Hammer Sport die höchste Prozentzahl an Nennungen als „Bester Händler“ in ihrer Branche. Als im Lockdown die Fitnessstudios schließen mussten, explodierte die Nachfrage nach Laufbändern für zuhause.
Die Analysten berechneten für jedes Unternehmen auch einen Mittelwert der Präferenzurteile. Hier schnitten vor allem die großen Drogerieketten dm und Rossmann sowie die Lebensmittelriesen Edeka und Rewe stark ab.
„Die Anbieter des täglichen Bedarfs konnten in der Pandemie punkten, da sie auch im Lockdown geöffnet hatten und beim Kunden präsent waren“, sagt Claus Dethloff, Studienleiter bei Servicevalue. Entscheidend sei aber auch die schlichte Größe des Filialnetzes der Ketten.
Die Pandemie habe in den Branchen extrem unterschiedlich gewirkt, sagt Handelsexperte Berentzen. Einige Sparten wie der stationäre Möbel- oder Fahrradhandel erleben bis heute eine extreme Sonderkonjunktur. Großer Verlierer der Pandemie sei der stationäre Modehandel mit vielen Insolvenzen. Die Verlagerung zum Onlinehandel scheint ungebrochen. Der stationär erzielte Umsatz im Modebereich werde 2025 um ein Drittel niedriger liegen als 2019, schätzt Berentzen.
Mit Kreativität könne man sich aber gegen den Trend stemmen. So könnten Modehändler auf ihren Flächen auch Workshops anbieten, etwa zum Stylen der Haare. Man könne Social-Media-Influencer für Produktpräsentationen einladen oder VIP-Beratungen in abgetrennten Ladenbereichen ermöglichen – bei einem guten Getränk. „Mittelständische Unternehmen sind hier oft schon kreativer als große Ketten“, sagt Berentzen.
Auch ließen sich Pop-up-Stores von jungen Designern in klassische Modeläden integrieren. „Im Idealfall hat der Kunde das Gefühl, etwas zu verpassen, wenn er ein Geschäft länger nicht aufsucht.“ Gleichzeitig müsse man bei Annehmlichkeiten des Onlinekaufs ebenfalls bieten, etwa Rückgaberechte und Warenlieferung nach Hause.
Es komme in Zukunft gar nicht auf eine möglichst große Warenauswahl vor Ort an – da sei der Onlinehandel ohnehin überlegen. „Stattdessen könnte man auf dem Tablet zeigen, welche Farben und Größen es sonst noch gibt – und diese dann per Expressversand direkt zum Kunden schicken lassen“, sagt Berentzen. „Es kann auch gut wirken, einmal einem Einzelstück viel Raum zu geben und es richtig in Szene zu setzen.“ Weniger sei bei der Warenpräsentation oft mehr.
In der Servicevalue-Studie wurden auch 1.295 Online-Händler aus 93 Branchen untersucht. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen stationär und online immer mehr, sagt Studienleiter Dethloff: „Wer online bestellt, will vielleicht stationär abholen. Und wer die Ware stationär ausprobiert, bestellt sie hinterher trotzdem online.“ Gerade junge Unternehmen starteten heute oft zunächst im Netz – schließlich sei die Einstiegshürde ohne Ladenlokal geringer. Später könne dann stationäre Präsenz das Angebot ergänzen.
Tatsächlich drängen auch etablierte Onlinehändler in die Städte, um dort mit ihren Waren präsent zu sein und einen direkteren Kontakt zu ermöglichen. So bietet Onlineriese Zalando in 13 stationären Läden in Deutschland vergünstigte Outlet-Ware an – meist in den Toplagen. Andere eröffnen Showrooms zum Ausprobieren der Produkte. Beispiel AM Qualitätsmatratzen: Der Hersteller und Onlinehändler lässt seine Kunden auf 250 Quadratmetern in der Kölner Innenstadt probeliegen, maximal zwei Kunden gleichzeitig.
Auch Hammer Sport verkauft sowohl online als auch stationär in 15 Filialen in Deutschland. Fitnessfans können dort die Produkte testen. Das Unternehmen steht zudem für einen weiteren Trend: Immer mehr Hersteller verkaufen ihre Markenprodukte ohne zwischengeschalteten Händler direkt an die Kunden.
Laut einer im Januar veröffentlichten Studie des Beratungsunternehmens Capgemini bestellten 41 Prozent der in zehn Ländern befragten Verbraucher zuletzt ihre Waren direkt bei Markenherstellern. So umgingen sie nicht nur den traditionellen Einzelhandel, sondern auch Online-Marktplätze wie Amazon. Je jünger die Kunden, desto ausgeprägter das Muster: 68 Prozent der 18- bis 24-Jährigen kauften direkt beim Produzenten.
Als Gründe nannten die Befragten ein besseres Einkaufserlebnis sowie den Zugang zu Treueprogrammen. Darin liege eine echte Chance für die Konsumgüterindustrie, sagt Martin Arnoldy, Leiter Konsumgüter und Handel bei Capgemini in Deutschland. Verbraucher seien bereit, Informationen zu ihrer Person oder zu ihren Präferenzen anzugeben, wenn sie im Gegenzug von Unternehmen einen Mehrwert erhielten. So könnten die Hersteller ihre Direktvertriebskanäle optimieren.
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