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29.11.2022

15:02

Konsolidierung

Die Luftfahrt steht vor einer neuen Übernahmewelle

Von: Jens Koenen

In der Luftfahrtbranche wird über neue Übernahmen spekuliert – auch von Easyjet. Mehrere Faktoren begünstigen eine Konsolidierung im Markt.

Die britische Fluggesellschaft hat am Dienstag gute Zahlen vorgelegt. Gleichzeitig wird mal wieder über eine Übernahme der Airline spekuliert. IMAGO/NurPhoto

Ein Jet von Easyjet startet in Amsterdam

Die britische Fluggesellschaft hat am Dienstag gute Zahlen vorgelegt. Gleichzeitig wird mal wieder über eine Übernahme der Airline spekuliert.

Frankfurt Es sind solide Zahlen, die Johan Lundgren, der Chef der britischen Billigfluggesellschaft Easyjet, am Dienstagmorgen präsentiert. Zwar schreibt das Unternehmen im versetzten Geschäftsjahr 2022 (per Ende September) noch einen Verlust von 208 Millionen Pfund vor Steuern – umgerechnet rund 241 Millionen Euro.

Der Umsatz schnellte aber um fast 300 Prozent auf 5,8 Milliarden Pfund in die Höhe. Das Betriebsergebnis vor Zinsen und Steuern schaffte es mit drei Millionen Pfund in die schwarzen Zahlen, nach einem Minus von rund einer Milliarde Pfund im Fiskaljahr zuvor. „Wir können auf Gegenwind jeglicher Art antworten“, gab sich Lundgren selbstbewusst. Die Nachfrage nach Flügen bleibe hoch.

Im gerade begonnenen Geschäftsjahr will die Airline mit 94 Millionen Fluggästen wieder das Vorkrisenniveau erreichen. „Ich sehe Easyjet nicht als ein Ziel für eine Übernahme“, sagte Lundgren und schloss seinerseits Übernahmen durch Easyjet nicht aus. Die Airline habe eine der solidesten Bilanzen in der Branche.

Doch nicht jeder teilt offensichtlich diese Einschätzung. Die britische Zeitung „The Times“ berichtete kürzlich, die International Airlines Group (IAG) bereite eine Offerte für Easyjet vor. Kommentiert wird das bisher nicht – weder von IAG noch Easyjet.

>> Lesen Sie auch: Rückzug von Ryanair und Co. – Was das für die Ticketpreise der Billigairlines heißt

Easyjet wird immer wieder im Zusammenhang mit Übernahmen genannt. Im vergangenen Jahr hatte das Management ein feindliches Übernahmeangebot abgelehnt. Wer der Bieter war, wurde nicht gesagt. Angeblich sollen IAG und die ungarische Wizz Air Interesse gezeigt haben.

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Unterbewertete Firmen und Kapital für Übernahmen

Die erneuten Gerüchte rund um Easyjet zeigen: Nachdem Europa die Pandemie langsam in den Griff bekommen hat, wächst bei den Fluggesellschaften das Interesse an Zukäufen. So soll IAG auch an der portugiesischen TAP Air Portugal interessiert sein.

Auch die Lufthansa wird in der Branche als Interessent für TAP genannt. Zudem prüfe die Lufthansa laut Brancheninformationen eine erneute Offerte für die italienische ITA.

Die Lufthansa wird in der Branche als Interessent für die Airline TAP genannt. Zudem prüfe der deutsche Konzern eine erneute Offerte für die italienische ITA. AP

Lufthansa

Die Lufthansa wird in der Branche als Interessent für die Airline TAP genannt. Zudem prüfe der deutsche Konzern eine erneute Offerte für die italienische ITA.

„Es wird in gewissem Maß zu einer weiteren Konsolidierung in der europäischen Luftfahrt kommen“, ist Andreas Jahnke, Managing Director beim Beratungsunternehmen Accenture, überzeugt.

Die Konsolidierung wird vor allem von zwei Entwicklungen getrieben. Zum einen sind die Luftfahrtunternehmen derzeit relativ unterbewertet. Denn Investoren sehen immer noch skeptisch auf die Luftfahrtbranche. Zwar läuft das Geschäft wieder gut, aber angesichts der hohen Inflation gibt es die Sorge, dass die Menschen weniger fürs Reisen ausgeben werden. Das könnte den aktuellen Buchungsboom wieder abwürgen. Die Unsicherheit drückt die Bewertung.

Das zeigte sich auch am Dienstag. Trotz der in Teilen guten Zahlen gab die Easyjet-Aktie am Vormittag um über drei Prozent nach. Die Airline ist an der Börse nur noch rund 3,3 Milliarden Euro wert – ein Schnäppchen für einen Anbieter mit über 300 Flugzeugen und niedrigen Schulden.

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Zum anderen verfügen manche große Fluggesellschaften über das nötige Kapital für Übernahmen. Denn sie sind überraschend gut und schnell wieder aus dem Krisenmodus gekommen. Anbieter wie Lufthansa oder IAG verdienen gerade prächtig, auch weil sie höhere Ticketpreise durchsetzen können. IAG etwa bezifferte die Liquidität Ende des dritten Quartals auf 13 Milliarden Euro.

Hinzu kommt: Gerade kleinere Fluggesellschaften stehen unter Druck. Zwar hat die Regierung bei Alitalia und der Nachfolgegesellschaft ITA in der Vergangenheit immer wieder ihre Haltung hinsichtlich von Übernahmen gewechselt, sodass es nie zu einem Verkauf kam.

Mittlerweile ist der finanzielle Druck bei ITA aber so hoch, dass eine Lösung gefunden werden muss. TAP beispielsweise wurde im Zuge der Coronakrise verstaatlicht, im kommenden Jahr will die portugiesische Regierung den Verkaufsprozess starten.

Erzrivalen arbeiten plötzlich zusammen

Doch es gibt wettbewerbsrechtliche Herausforderungen. Der Plan des IAG-Managements, die spanische Air Europa zu übernehmen, scheiterte 2019 zunächst am Einspruch der EU-Kartellwächter.

Zur IAG-Gruppe gehören mit Iberia und Vueling bereits zwei spanische Gesellschaften. Mittlerweile ist die IAG-Tochter Iberia tatsächlich mit 20 Prozent bei Air Europa eingestiegen, doch die EU-Kommission hat weiter Bedenken.

Andererseits wächst auf Airlines-Seite der Druck, größere Einheiten zu bilden, um im weltweiten Luftverkehr nicht den Anschluss zu verlieren. Denn es gibt einen neuen Trend: Statt sich gegenseitig zu übernehmen, finden einstige Erzrivalen plötzlich in Partnerschaften zusammen. So haben der Lufthansa-Partner United Airlines und die Golf-Airline Emirates kürzlich eine enge Kooperation angeboten.

Es wird in gewissem Maß zu einer weiteren Konsolidierung in der europäischen Luftfahrt kommen. Andreas Jahnke, Managing Director bei Accenture

„Interessant sind neue Partnerschaften ehemaliger Rivalen, die gerade entstehen“, sagte Berater Jahnke. Der Trend markiere eine Zeitenwende. Jahrelang waren Fluggesellschaften in den USA und in Europa gegen die Staatsanbieter vom Persischen Golf zu Felde gezogen, weil diese von den Regierungen kräftig unterstützt wurden.

Das Problem aus Sicht der europäischen Gesellschaften: Für die US-Anbieter ist es attraktiv, statt über Europa nun über Dubai, Abu Dhabi oder Doha gen Asien zu fliegen. Lufthansa würde in dem Fall den Zugriff auf wichtige Kunden verlieren, die der Partner United bisher etwa nach Frankfurt geflogen hat.

Zwar hat Emirates vor wenigen Tagen der Lufthansa eine ähnliche Partnerschaft angeboten. Das Management der Lufthansa will sich die Offerte auch anschauen, doch von Begeisterung ist in der Frankfurter Konzernzentrale bisher wenig zu spüren. Für Berater Jahnke sei das nicht überraschend, da „die Vorteile für eine europäische Airline weit weniger zwingend“ seien.

Europäische Luftfahrt fragmentierter als in den USA

Experte Jahnke gibt generell zu bedenken: „Das Niveau der Konzentration, wie wir es in den USA sehen, wird in Europa nicht erreicht werden.“

In den USA haben sich über die Jahre vier große Airlines herausgebildet, die den dortigen Markt weitgehend unter sich aufteilen: United Airlines, Delta Airlines, American Airlines sowie die Billigfluggesellschaft Southwest.

Dagegen ist die europäische Luftfahrt deutlich fragmentierter. Obwohl es in den zurückliegenden Jahren einige Insolvenzen gegeben hat, existieren über hundert Gesellschaften, die regelmäßige kommerzielle Flüge anbieten.

„In vielen Ländern werden die heimischen Airlines auch nach ihrer Privatisierung immer noch als nationales Symbol angesehen“, sagt Jahnke. Zudem gebe es die Sorge, dass die Wirtschaft ohne eine eigene nationale Fluggesellschaft erhebliche Nachteile hinnehmen muss. „Dabei zeigt die Erfahrung, dass es immer Anbieter gibt, die die Lücken sofort schließen, zumindest was die attraktiven und nachgefragten Strecken betrifft.“

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