Die Discounter profitieren in den USA von den hohen Preissteigerungen und gewinnen neue Kundengruppen für sich. Das wollen sie ausnutzen.
Lidl-Filiale in New York
Die Amerikaner entdecken die deutschen Discounter.
Bild: Katharina Kort
New York Mit zwei Tüten kommt eine Kundin aus der Lidl-Filiale auf dem Frederick Douglass Boulevard in Harlem. „Ich bin so froh, dass sie jetzt hier sind“, sagt sie. Die Qualität der Produkte sei gut und die Preise deutlich niedriger als bei den anderen Supermärkten. Das helfe gerade jetzt, wo die Inflation stark zu spüren sei.
Die Amerikaner entdecken die deutschen Discounter für sich. In Zeiten, in denen alles teurer wird, suchen sie in Aldi- und Lidl-Filialen günstige Angebote. So wuchsen die beiden Händler in den USA im ersten Quartal deutlich schneller als der Gesamtmarkt, wie das Marktforschungsunternehmen Placer.ai ermittelt hat.
Allein im März stieg die Zahl der Kunden bei Aldi im Vergleich zum Vorjahr um acht Prozent, bei Lidl waren es 11,9 Prozent. Der Gesamtmarkt legte lediglich um 0,4 Prozent zu. Auch die Aldi-Nord-Tochter Trader Joe’s, eine Art Hochsegment-Discounter, wächst weiter.
Lange haben die Amerikaner die Billigheimer verschmäht. Sie wollten Service, schöne Läden, eine riesige Auswahl und vor allem ihre bekannten Marken. Das alles kostet Geld und ist mit den schmalen Margen von Discountern nicht zu finanzieren. Mit einer Inflation von mehr als acht Prozent müssen aber auch viele Amerikaner stärker rechnen und entdecken eine neue Art zu shoppen.
„Feuere den Grill für weniger an“, wirbt etwa Aldi in der Barbecue-Saison. Lidl wirbt mit einer Kampagne, dass die Preise für 100 häufig gekaufte Produkte gesenkt werden. Bei neuen Ladeneröffnungen von Lidl und Aldi stehen die Menschen wegen der Sonderangebote oft Hunderte Meter Schlange. Da nehmen sie auch in Kauf, dass ihnen keiner die Einkäufe nach dem Bezahlen einpackt oder gar zum Auto bringt, wie in Amerika bei anderen Supermarktketten üblich.
„Wir sehen einen bedeutenden Anstieg bei den Besucherzahlen in all unseren US-Filialen“, teilt Aldi USA auf Anfrage mit. Laut Daten der Marktforschungsgesellschaft IRI hat Aldi in den USA allein im Mai 2,5 Millionen mehr Kunden gehabt. Die zusätzlichen Einkäufer stammten zwar aus allen Einkommensklassen, der größte Anstieg sei allerdings bei Kunden mit mittleren und gehobenen Einkommen zu verzeichnen gewesen.
„Die Inflation ist eine Riesenchance für deutsche Discounter in den USA“, sagt Tanja Ebner, Einzelhandelsexpertin der Unternehmensberatung Oliver Wyman. Deutsche Discounter könnten dadurch Kunden abgreifen, die vorher woanders einkauft hätten. „Sie haben auf einmal Familien aus der Mittelschicht, die nun zu den Discountern gehen“, beobachtet auch Ebner.
Wenn die Preise stiegen, aber die Löhne nicht im gleichen Maße, dann überlegten sich Familien, wie sie Geld sparen könnten, erklärt sie. „Sie gehen auf einmal zu Discountern, was sie vorher nicht getan hätten“, sagt die Expertin. „Und sie suchen stärker nach Angeboten.“
„Die Inflation präsentiert eine goldene Gelegenheit für Discounter in den USA“, ist Bob Hoyler, Berater bei Euromonitor, überzeugt. Die Marktforschungsgesellschaft geht davon aus, dass die Discounter in den USA in diesem Jahr um 4,7 Prozent zulegen, deutlich mehr als die Supermärkte, bei denen Euromonitor mit 3,8 Prozent Wachstum rechnet. „Und allen voran wächst Aldi“, sagt Hoyler.
Das Unternehmen ist bereits seit mehreren Jahrzehnten auf dem US-Markt. 1976 hat Aldi seinen ersten Supermarkt in den USA im Bundesstaat Iowa eröffnet. Heute hat die Aldi-Süd-Tochter mit Sitz in Illinois 2175 Läden in 38 Bundesstaaten mit mehr als 25.000 Mitarbeitern.
Erst im Frühjahr hat Aldi angekündigt, dass der Discounter weitere 150 Läden vor Jahresende eröffnen will, um nach eigenen Worten der an den Läden gemessen drittgrößte US-Lebensmitteleinzelhändler zu werden.
Auf die Frage, ob Aldi USA seine Expansion noch beschleunigen will, teilte das Unternehmen mit: „Es gibt kein Limit für unser Wachstumspotenzial.“ Man sei ständig auf der Suche nach neuen Märkten. „Wir haben mehr als 1000 Aldi-Läden in den USA im vergangenen Jahrzehnt eröffnet. Wir können es kaum abwarten zu sehen, wohin uns das nächste Jahrzehnt bringt.“
Lidl dagegen hat erst 2017 auf den US-Markt expandiert und musste nach einem aggressiven, aber schwierigen Start seine Pläne erst einmal anpassen. „Lidl ist zunächst als normaler Supermarkt angetreten“, sagt Hoyler. Damit habe Lidl die Erwartungen der Kunden enttäuscht, als diese ihre gewohnten Marken im Supermarktangebot nicht finden konnten. Heute trete Lidl stärker als Discounter auf und habe gute Chancen auf Erfolg, sagt der Berater.
„Wir werden weiter unsere Präsenz in den USA entlang der Ostküste ausbauen“, teilt Lidl mit. „Wir haben positives Feedback aus den Gemeinden bekommen.“
Beim Gute-Laune-Discounter Trader Joe’s von Aldi Nord ist die Stimmung ebenfalls gut. Viele Läden verzeichnen durch die Inflation neue Besucherrekorde.
Die Trader-Joe’s-Läden sprechen mit ihren Qualitätsweinen und europäischen Käsesorten schon heute eine eher gehobene Klientel an. „Es kann gut sein, dass sie mit der Inflation noch mehr Kunden erreichen, denen Whole Foods zu teuer wird“, schätzt Berater Hoyler.
Branchenbeobachter sind überzeugt, dass der Trend zum Discounter in den USA auch nach der Inflation anhalten wird. „Sie sind gekommen, um zu bleiben“, sagt Hoyler. Gerade Aldi sei mittlerweile ein bekannter Haushaltsname für Amerikaner.
Die Oliver-Wyman-Beraterin Ebner sagt, die Discounter müssten jetzt das Beste aus dem aktuellen Ansturm machen, „damit diese Kunden ihnen auch treu bleiben, wenn die Inflation wieder sinkt“. Entscheidend seien dabei die Preise, die Qualität der Produkte und ein guter Service. „Auch Kundenbindungsprogramme und E-Commerce werden wichtig werden“, sagt sie.
Aldi setzt in den USA bisher auf die Kooperation mit Instacart. Dabei gehen Instacart-Shopper für die Kunden einkaufen und bringen den Einkauf gegen eine Gebühr bis an die Haustür.
Manche Amerikaner nehmen aber auch weite Wege in Kauf, um zu den deutschen Einzelhändlern zu gelangen.
Raymon Argenziano etwa ist mit dem Bus zu Lidl in Harlem gefahren. Er wusste, dass sich das lohnt: „Ich kannte Lidl schon von meinen Verwandten in Italien“, sagt er.
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Kommentare (1)
Account gelöscht!
01.07.2022, 11:05 Uhr
Der Niedergang des Westens macht sich eben nicht nur in Europa bemerkbar. Größtenteils selbst verschuldet, aber tut erstmal nichts zur Sache. Dass Billigheimer und Firmen, die ausschließlich auf billige Preise setzen, davon profitieren, sollte uns nicht wundern, oder? Auch 1 Euro-Läden, Tedi, Action, kik, Takko, McFit, Mobilfunk-Discounter, Billigflieger etc sind Profiteure, wenn Konsumenten weniger Geld haben, quer durch alle Branchen hindurch. Die Anbieter teurerer Waren und Dienstleistungen dagegen werden es schwieriger haben.