Die Geschäfte der Lebensmittelkonzerne laufen gut, weil sie ihre Preise erhöhen. Eine Prämie wollen sie Beschäftigten trotzdem nicht zahlen. Die gehen auf die Barrikaden.
Maggi-Produkte – eine Marke des Nestlé-Konzerns
Nestlé hob die Preise in den ersten neun Monaten des abgelaufenen Jahres um 7,5 Prozent an.
Bild: IMAGO/Martin Wagner
Düsseldorf Ausgerechnet Nestlé und Unilever: Der größte und viertgrößte Konsumgüterkonzern der Welt verweigern ihren Beschäftigten bislang eine Inflationsprämie – trotz gut laufender Geschäfte. „Die Belegschaft ist enttäuscht und stinksauer“, sagte Andreas Zorn, Gesamtbetriebsratschef von Nestlé Deutschland, dem Handelsblatt.
Nestlé (Maggi, Kitkat, Nescafé) beschäftigt in Deutschland rund 8500 Menschen, Unilever (Knorr, Pfanni, Langnese) etwa 2700 Menschen. Unilever-Konzernbetriebsratschef Hermann Soggeberg sagte: „Das Management rühmt sich intern damit, wie toll es gelungen ist, die Preise zu erhöhen.“ Die Beschäftigten würden gleichzeitig über die hohen Kosten klagen, „aber das Management bleibt stur“.
Tatsächlich hat Unilever im vergangenen Jahr die Preise global um 11,3 Prozent erhöht, teilte der britische Konzern am Donnerstag mit. Der Umsatz stieg auf umgerechnet 67,8 Milliarden Euro. Nestlé hob die Preise in den ersten neun Monaten des abgelaufenen Jahres um 7,5 Prozent an. Der Schweizer Konzern legt Mitte Februar Jahreszahlen vor, Analysten rechnen mit einem Umsatzplus auf etwa 96 Milliarden Euro.
Die beiden Konsumgüterkonzerne sind also mitverantwortlich dafür, dass die Preise für Nahrungsmittel im abgelaufenen Jahr um 13,4 Prozent gestiegen sind, wie das Statistische Bundesamt angibt. Auch dadurch sind die Reallöhne um 4,1 Prozent gesunken. Darunter leiden insbesondere die schlechter verdienenden Beschäftigten der beiden Konzerne.
Deshalb legten Mitarbeiter von Unilever am Donnerstag im Rahmen von Betriebsversammlungen einen halben Tag die Arbeit nieder. Am Dienstag und Mittwoch gab es im Nestlé-Schokoladenwerk in Hamburg Protestaktionen. Bereits Ende November hatten etwa 3500 Nestlé-Mitarbeiter Deutschlandchef Marc Boersch Unterschriften vorgelegt und eine Inflationsprämie gefordert – ohne Erfolg.
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Die Bundesregierung ermöglicht Unternehmen, Beschäftigten eine einmalige Prämie in Höhe von bis zu 3000 Euro steuer- und abgabenfrei zu zahlen. Damit sollen Bürger die rasant gestiegenen Kosten für Energie und Lebensmittel besser schultern können.
Bei Nestlé und Unilever haben sich die Fronten zwischen Beschäftigten und Management verhärtet. Die Konzerne mögen mit der Auszahlung der Prämie zögerlich sein, weil sie unter hohen Kosten für Rohstoffe oder Energie leiden. So rechnet Unilever in der ersten Hälfte 2023 mit einem Anstieg der Materialkosten von 1,5 Milliarden Euro.
Bei Nestlé hat sich wegen des Kostenanstiegs die Marge von Ende 2020 bis Mitte 2022 um drei Punkte auf 14,7 Prozent reduziert. Mehr als 2,5 Milliarden Franken konnten trotz der Preiserhöhungen nicht realisiert werden, klagte Nestlé-CEO Mark Schneider in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.
Betriebsratschef Zorn sagt, dass sich Nestlé künstlich armrechne: „Das erste Coronajahr war für die Lebensmittelbranche und für Nestlé ein absolutes Boomjahr.“ Schon vor Covid hatte sich der Konzerngewinn zwischen 2017 und 2019 von 7,5 auf 12,9 Milliarden Schweizer Franken vergrößert.
Eisproduktion von Unilever
Der Konzern konnte Umsatz und Gewinn steigern.
Bild: obs
Nestlé-CEO Schneider erklärte, die anfallenden Mehrkosten seien noch nicht vollständig weitergegeben, es werde weitere Preissteigerungen geben.
Zorn bestätigt, dass Nestlé in Deutschland die Kosten zwar erst mit Verzögerung an den Handel durchgereicht habe. Aber: „Im vergangenen Jahr gab es bereits drei Preiserhöhungen in Deutschland, eine weitere wird aktuell verhandelt.“
Andere Konsumgüterunternehmen haben bereits Einmalzahlungen geleistet. Persil-Produzent Henkel und Nivea-Hersteller Beiersdorf sind wegen des Tarifvertrags in der Pharma- und Chemieindustrie zur Zahlung von 3000 Euro verpflichtet. Die erste von zwei Tranchen in Höhe von 1500 Euro wurde im Januar überwiesen.
Bei Unilever hat davon zumindest ein Fünftel der hiesigen Belegschaft profitiert. Der Konzern produziert in seinen Werken in Buxtehude und Mannheim Körperpflegeprodukte wie Dove-Seife. Die meisten Angestellten unterliegen bei Nestlé und Unilever den Tarifverträgen der Ernährungsindustrie. Diese wurden zuletzt 2021 verhandelt. Die extreme Entwicklung der Inflation war damals nicht absehbar.
Die neuen Verhandlungen stehen im Frühjahr und Sommer an, am Unilever-Standort Heilbronn erst im kommenden Jahr. Auf diese verweisen beide Unternehmen auf Anfrage. So will Nestlé „das Instrument der Inflationsausgleichsprämie verantwortungsvoll im Rahmen der anstehenden Tarifverhandlungen einsetzen“.
Für Nestlé-Betriebsrat Zorn kommt das zu spät: „Die Leute brauchen die Hilfen jetzt, wo die Not am größten ist, und nicht in vielen Monaten.“ Aus Sicht der Arbeitnehmervertreter ist genug Geld für eine schnelle Auszahlung da.
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Unilever-Betriebsrat Soggeberg sagt: „Der Konzern steht nicht so stark unter Druck, als dass er den Beschäftigten nicht unter die Arme greifen könnte.“ Tatsächlich konnte der Konzern trotz der widrigen Umstände sogar seinen Gewinn leicht auf 10,9 Milliarden Euro steigern. Die operative Marge war mit 16,1 Prozent so tief wie seit sieben Jahren nicht.
Die Mitarbeiter würden sich mehr Wertschätzung wünschen, so Soggeberg, der Frust sei selbst in den unteren Führungsebenen groß. Offenbar lenkt Unilever nun etwas ein. Auf Anfrage teilte der Konzern mit, dass Studierende und Auszubildende „mit dem nächsten Gehalt“ eine Einmalzahlung in Höhe von 500 Euro bekommen.
In anderen Regionen hat der Konzern bereits Einmalprämien gezahlt: 750 Pfund in England, 750 Euro in den nordischen und zwischen 300 und 500 Euro in den osteuropäischen Ländern. Ob es in Deutschland schnell dazu kommen wird, bleibt fraglich.
Wegen der laufenden Tarifverträge sind die Beschäftigten in der Friedenspflicht und dürfen nicht streiken. Ihnen bleibt nur die Möglichkeit, durch Betriebsversammlungen phasenweise die Produktion stillzulegen.
Soggeberg sagt: „Während das Unternehmen mehrfach im Jahr zum Handel gehen kann, bleibt uns gerade nur die Möglichkeit, als Bittsteller aufzutreten.“ Dass das Unternehmen nicht zahlen wolle, sei reine Taktik im Vorfeld der Tarifverhandlungen.
Hinweis: Der Konzerngewinn zwischen 2017 und 2019 hat sich von 7,5 auf 12,9 Milliarden, nicht Millionen Schweizer Franken vergrößert. Wir bitten das Versehen zu entschuldigen.
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