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12.03.2022

13:00

Kostensteigerung

Fleischbranche sieht Existenz bedroht – Tönnies & Co. rufen nach höheren Preisen

Von: Katrin Terpitz

Durch den Ukrainekrieg haben sich Energie, Logistik und Futter extrem verteuert. Die Fleischbranche macht Verluste und erhebt ab sofort Krisenaufschläge.

Durch den Ukrainekrieg sind die Kosten für die Fleischerzeugung massiv gestiegen. imago images/Lichtgut

Fleischtheke

Durch den Ukrainekrieg sind die Kosten für die Fleischerzeugung massiv gestiegen.

Düsseldorf Deutschlands größter Fleischproduzent Tönnies verlangt wegen extrem steigenden Kosten vom Handel eine sofortige Anpassung der Preise nach oben. Das Familienunternehmen beruft sich dabei auf „höhere Gewalt“ durch den Ukrainekrieg. Die Kosten für Energie, Logistik und landwirtschaftliche Produkte haben seit dem russischen Angriff massiv angezogen. „Ein Ende der Preis-Rallye ist derzeit nicht in Sicht“, so Tönnies.

In einem Brandbrief an die Kunden, der dem Handelsblatt vorliegt, schreibt Tönnies-Geschäftsführer Frank Duffe von „massiven Störungen sämtlicher Geschäftsgrundlagen“. Der Krieg in der Ukraine mit all seinen Folgen sowie der parallel explodierende Schweinepreis führe zu „existenzbedrohenden Szenarien in der Fleischwirtschaft“, argumentiert der Marktführer.

Auch die Wettbewerber erhöhen notgedrungen die Preise. Die Fleischkonzerne Westfleisch und Vion, Nummer zwei und drei in Deutschland, erheben ab Montag einen „Krisen-Zuschlag“ von mehr als fünf Cent pro Kilo Schweinefleisch.

Tönnies begründet seine Notlage so: „Strom- und Gaslieferanten machen seit Wochen von ihrem Sonderkündigungsrecht aufgrund höherer Gewalt Gebrauch – viele oftmals mit direktem Bezug zum Krieg in der Ukraine oder verbunden mit den Sanktionen gegen Russland.“

Dies betreffe nicht nur die Tönnies-Gruppe, sondern auch alle Lieferanten und Partner in den Vorstufen, die die Kosten nahezu eins zu eins an Tönnies weitergäben.

„Preisdiktate der Vorlieferanten“

Geschäftsführer Duffe spricht von „Preisdiktaten der Vorlieferanten“, die diese mit „höherer Gewalt“ begründeten. Der Erdgaspreis liegt infolge des Kriegs derzeit etwa zehnmal so hoch wie noch vor einem Jahr. Einige Versorger haben ihre Kontrakte deshalb außerordentlich gekündigt. Die Transport- und Logistikbranche berufe sich wegen des massiven Ausfalls ukrainischer Fahrer ebenfalls auf höhere Gewalt.

Viele Schweinebauern haben Ställe stillgelegt, weil sie mit jedem Schwein Verlust einfahren. imago images/Countrypixel

Ferkeltransport

Viele Schweinebauern haben Ställe stillgelegt, weil sie mit jedem Schwein Verlust einfahren.

Auch Branchenexperte Klaus Martin Fischer, Partner der Beratung Ebner Stolz, hält die Krise für die Fleischbranche für existenzgefährdend. „Mit jedem Schwein machen Bauern, Schlachter sowie Wurstmacher derzeit hohe Verluste.“ Der Preis für ein Kilo Schlachtgewicht ist innerhalb nur eines Monats von 1,20 auf 1,75 Euro gestiegen. Doch die Bauern bräuchten laut Fischer mindestens zwei Euro, demnächst sogar 2,20 Euro pro Kilo, um profitabel zu wirtschaften.

Die Kosten der Schweinehalter sind erheblich gestiegen – nicht nur für Gas, Strom oder Diesel. Auch Futtermais und Weizen haben sich extrem verteuert seit dem Krieg. „Mit dem Ausfall der Ukraine als wichtigem Futtermittellieferanten für die deutsche Schweinemast sind weitere erhebliche Verteuerungen in der Schweineerzeugung zu erwarten“, warnt Tönnies-Geschäftsführer Duffe.

Viele Monate lagen die Schweinepreise auf extrem niedrigem Niveau. Denn nach dem Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest in Deutschland ist der lukrative Export nach Asien weggebrochen. Infolgedessen legten viele Schweinebauern ganze Mastanlagen still. „Wurden hierzulande sonst eine Million Schweine pro Woche geschlachtet, sind es aktuell weniger als 800.000 Tiere“, konstatiert Fischer. „Immer mehr Schweineerzeuger steigen aus dem verlustbringenden und perspektivlosen Geschäft aus.“ Entsprechend fehle den auf Masse ausgelegten Schlachtkonzernen die nötige Auslastung.

Fleischbranche in der Verlustzone

Auch der Wursthersteller The Family Butchers, die Nummer zwei hinter Tönnies, schlägt Alarm. In einer ganzseitigen Anzeige in der „Lebensmittelzeitung“ beschreibt das Familienunternehmen die dramatische Kostenkrise der Branche, die schon vor dem Ukrainekrieg für viele Betriebe existenzbedrohend gewesen sei. Preisanpassungen seien unumgänglich. „Das Kilo Wurst müsste eigentlich im Handel einen Euro mehr kosten, weil alle Kosten von Energie, Logistik, Verpackung und Personal und eben auch für den Rohstoff so stark gestiegen sind“, meint Branchenexperte Fischer.

Grafik

Schlachthöfe und Fleischverarbeiter seien in die Verlustzone gerutscht, so Fischer, schon die Corona-Pandemie habe der Branche erheblich zugesetzt. „Wir sind extrem unter Wasser, in tiefroten Zahlen – und zwar nicht Tönnies allein, sondern die gesamte Schlacht- und Zerlegebranche“, hatte Mitinhaber Clemens Tönnies bereits vor einigen Monaten in einer ARD-Dokumentation eingeräumt. Konkrete Zahlen nannte er nicht.

Wettbewerber Westfleisch etwa machte 2021 einen Jahresverlust von zwölf Millionen Euro, der Umsatz war um gut neun Prozent auf 2,56 Milliarden Euro gesunken. Durch die ungebremst steigenden Kosten ist laut Westfleisch „eine Konsolidierung der Branche unumgänglich“.

Die Genossenschaft erhebt ab Montag einen Krisenzuschlag von 5,8 Cent pro Kilo Schweinefleisch, meldet das „Westfalen-Blatt“. Auch Vion sieht sich gezwungen, wegen der steigenden Energie- und Logistikkosten nun einen Zuschlag von 5,2 Cent zu erheben.

Von der Politik sei keine Rettung zu erwarten, glaubt Berater Fischer. „Die Fleischbranche hat keine Fürsprecher in der Politik, nach dem Regierungswechsel ohnehin nicht mehr.“

Dass der Handel die Forderungen nach massiven Preiserhöhungen bei Fleisch und Wurst gänzlich akzeptieren wird, bezweifelt er. Der Handel hatte sich zuletzt ohnehin hart gegen Preisforderungen vieler Hersteller gezeigt. „Je höher die allgemeine Teuerung, umso mehr schauen die Verbraucher auf den Preis“, so der Berater. „Gute Haltungsformen interessieren dann vielleicht nicht mehr.“

Fischer fürchtet, dass durch den Krieg die Kosten in der gesamten Lieferkette weiter stark steigen. Versorgungsengpässe bei Fleisch seien hierzulande indes nicht zu befürchten. „In Europa gibt es ein Überangebot an Schweinefleisch, vor allem aus Spanien.“

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