Durch den Krieg sind die Kosten für Nahrungsmittelhersteller sprunghaft gestiegen. Nun ringen sie mit dem Handel um Preise – und um ihre Existenz.
Sonnenblumenöl ausverkauft
Hamsterkäufe führen zu leeren Regalen. Die Versorgung mit Lebensmitteln bleibt aber gesichert.
Bild: action press
Düsseldorf Wo sonst die Flaschen mit Sonnenblumenöl stehen, herrscht in den Regalen von Edeka in Duisburg-Huckingen gähnende Leere. Andere Händler wie Aldi Süd haben bereits die Abgabe begrenzt: Jeder Kunde darf dort nur vier Flaschen der Hausmarke kaufen.
Die Verbraucher hamstern. Deutschland deckt 94 Prozent seines Bedarfs an Sonnenblumenöl über Importe. Aus der Ukraine stammen 51 Prozent der weltweiten Exporte des Öls, aus Russland weitere 27 Prozent. Mit Nachschub aus der Ukraine, der sonst alle paar Wochen per Schiff nach Rotterdam kommt, ist vorerst nicht zu rechnen.
Es zeigt sich, dass der Krieg in der Ukraine samt der Sanktionen gegen Russland innerhalb weniger Wochen die weltweiten Lieferketten aus dem Takt gebracht, zum Teil sogar unterbrochen hat. Die Kosten, vor allem für Energie, sind sprunghaft gestiegen. Das spüren Verbraucher, das merken aber auch die Hersteller und Händler und zwingt sie, tätig zu werden. Auch wenn aktuell keine generellen Versorgungsengpässe zu erwarten sind.
„Die gesamte Konsumgüterlieferkette – von der Produktion über die Verpackung bis zum Transport – ist von Rohstoffverknappung und damit verbundenen Preiserhöhungen betroffen“, sagt David Georgi, Teamleiter Consulting beim Marktforscher Nielsen IQ DACH. „Preiserhöhungen sind nicht erst seit den vergangenen drei Wochen ein Thema“, betont Georgi.
Die Verbraucherpreise für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke zogen im Februar um 5,1 Prozent zum Vorjahr an, ermittelte Destatis. Derzeit ist die Preisrally bei Produkten mit Sonnenblumenöl oder Weizen besonders deutlich.
Am Mittwoch kostete etwa Thomy Reines Sonnenblumenöl im Handel im Schnitt 2,79 statt 2,29 Euro ein Jahr zuvor, ein Plus von 21,8 Prozent. Das ermittelte der Preisvergleich Smhaggle für das Handelsblatt. Aldi-Sonnnenblumenöl Bellasan kostet gar 28,8 Prozent mehr. Penny Sonnenblumenmargarine ist um 25,2 Prozent teurer.
„Sonnenblumenöl könnte in Deutschland wegen des Ukrainekriegs schon bald Mangelware werden“, meint der Verband ölsaatenverarbeitender Industrie in Deutschland (Ovid), „die Vorräte reichen voraussichtlich noch für wenige Wochen.“ Anlass für Panikkäufe sieht der Verband nicht: Verbraucher könnten problemlos auf andere Speiseöle umsteigen.
Auch Mehl und Nudeln hamstern die Deutschen fast wie zu Anfang der Pandemie. Für Aurora Weizenmehl 405 zahlt man aktuell laut Smhaggle 20,2 Prozent mehr als vor einem Jahr. Am Montag hatte Moskau bis Ende Juni einen Exportstopp für Getreide verhängt. Aus Russland und der Ukraine kommen fast 30 Prozent aller Weizenexporte.
Der Selbstversorgungsgrad mit Weizen liegt hierzulande jedoch bei über 100 Prozent. Bundesernährungsminister Cem Özdemir betonte, die Lebensmittelversorgung in Deutschland sei sicher, und warnte vor Panikmache.
Bei kurzzeitigen Engpässen könnten Kunden auf eine Vielfalt von Produktalternativen zurückgreifen, betont Edeka, Deutschlands größter Lebensmitteleinzelhändler. „Im Moment können wir in enger Zusammenarbeit mit unseren Lieferanten noch eine ausreichende Versorgung mit allen Produkten des täglichen Bedarfs sicherstellen.“
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Die deutsche Nahrungsmittelbranche schlägt indes Alarm: Ihre Kosten sind innerhalb weniger Wochen so extrem gestiegen, dass die Margen wegzubrechen drohen. Für Keksbäcker Lambertz aus Aachen etwa sind Weizenmehl, Sonnenblumenöl, aber auch Butter und Zucker deutlich teurer geworden. Demnächst stehen hierzu neue Kontrakte an.
Seine Backöfen befeuert Lambertz mit Erdgas. „Wer jetzt Erdgas vom Spotmarkt kaufen muss, bekommt erhebliche Schwierigkeiten. Wir sind zumindest bis Jahresende abgesichert“, sagt Hermann Bühlbecker, Alleininhaber von Lambertz. Er ist zudem froh, wenn er überhaupt noch Faltschachteln bekommt.
Hermann Bühlbecker
Der Inhaber der Keks- und Lebkuchenfabrik Lambertz macht sich große Sorgen: „Wir haben eine Energiekrise, Rohstoffkrise, Verpackungs- und Logistikkrise alles auf einmal. So etwas habe ich noch nie erlebt.“
Bild: dpa
„Wir haben eine Energiekrise, Rohstoffkrise, Verpackungs- und Logistikkrise, alles auf einmal. So etwas habe ich noch nie erlebt“, sagt der Unternehmer. Die erste Kostenwelle durch die Pandemie sei noch nicht verarbeitet, jetzt würden die Firmen von der zweiten Welle des Ukrainekriegs überrollt.
„Kein Hersteller kann ohne Weitergabe der dramatisch steigenden Kosten überleben“, warnt Holger Rothfuchs, Geschäftsführer Deutschland von Snackhersteller Lorenz. Verbraucher müssten sich auf höhere Preise für Lebensmittel einstellen. Branchenexperten halten teilweise zweistellige Erhöhungen für notwendig. Der Handel sieht sich von allen Seiten plötzlich mit hohen Preisforderungen konfrontiert.
Bühlbecker sieht die zeitliche Dynamik als das große Problem. „Wir Mittelständler haben keine Möglichkeit, die Mehrkosten sofort an den Handel weiterzugeben.“ Preisabsprachen gelten meist für ein halbes oder ganzes Jahr. Die Verhandlungen ziehen sich meist über Monate hin. In diesem Winter waren viele eskaliert: Händler wie Edeka listeten viele Markenprodukte etwa von Eckes-Granini, PepsiCo oder Mondelez aus.
Eine Abkehr von „alten“ Verhandlungsritualen zwischen Handel und Herstellern fordert deshalb Roland Verdev, Geschäftsführer von The Family Butchers: „Jetzt pressiert es, sonst könnten viele Unternehmen einen Genickbruch erleiden.“ Deutschlands zweitgrößter Wurst- und Schinkenproduzent bekommt Signale, dass der Handel die notwendigen Preiserhöhungen annimmt. „Einige Handelspartner sind bereit, über Monatspreise zu sprechen statt wie sonst üblich über Halbjahres- oder Jahrespreise“, so Verdev.
Bereits vergangene Woche hatte Deutschlands größter Fleischproduzent Tönnies seine Kontrakte mit dem Handel ausgesetzt und eine sofortige Anpassung der Preise verlangt. Tönnies beruft sich auf „höhere Gewalt“ und „massive Störungen sämtlicher Geschäftsgrundlagen“: Strom- und Gaslieferanten machten von ihrem Sonderkündigungsrecht aufgrund höherer Gewalt Gebrauch. Die Logistik berufe sich auf Force majeure, weil ukrainische Fahrer ausfallen.
Fleischtheke
Die großen Fleischproduzenten wie Tönnies, Westfleisch und Vion verlangen vom Handel eine schnelle Anpassung der Preise nach oben.
Bild: dpa
Auch die Mitbewerber Westfleisch und Vion erheben seit Montag Krisenaufschläge von mehr als fünf Cent pro Kilo Fleisch. Hubert Kelliger, Vertriebsleiter von Westfleisch, beobachtet: „Der Handel ist verständnisvoll, macht Verträge auf.“ Kelliger erwartete am Montag „schnelle Ergebnisse mit dem Handel schon in diesen Tagen“.
Die großen Lebensmittelketten in Deutschland, die in hartem Wettbewerb stehen, scheuen für gewöhnlich Preiserhöhungen. Schon wenige Cent mehr treiben Kunden zur Konkurrenz. Discounter und Eigenmarken könnten profitieren, spekuliert Georgi von Nielsen IQ. Der Handel gibt sich bedeckt: „Inwiefern steigende Kosten auf den Vorstufen konkret durch die Kette weitergegeben werden, können wir aktuell nicht seriös vorhersagen“, heißt es von Rewe.
Stefanie Sabet, Geschäftsführerin der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie, warnt: „Die Belastungsgrenzen der Unternehmen sind erreicht. Es braucht dringend Entlastungen, um die Versorgungssicherheit nicht zu gefährden.“ Unternehmer Bühlbecker fordert keine Subventionen, fragt sich aber: „Muss der Staat in einer Notsituation wie dieser durch Mineralölsteuer und Mehrwertsteuer kräftig mitkassieren?“ Seine Forderung: Der Staat müsse die hohen Energiepreise abfedern, sonst bliebe mancher Hersteller auf der Strecke.
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