Die Deutsche Umwelthilfe kauft Fleisch bei Deutschlands führenden Discountern und will massive Hygieneprobleme entdeckt haben. Die Discounter reagieren verhalten.
Putenzucht
18 Wochen alte Puten stehen in einem Stall auf einem Putenmasthof. Antibiotika in der Tiermast belasten am Ende der Nahrungskette auch Menschen. Die Deutsche Umwelthilfe will diesen Missständen auf den Grund gehen.
Bild: dpa
Düsseldorf Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) legt sich mit der Geflügelindustrie und dem Lebensmitteleinzelhandel an. Die Umweltorganisation hat in zahlreichen Testkäufen von Geflügelfleisch der Haltungsstufe zwei eine massive Belastung des Fleischs mit Krankheitserregern, die gefährliche Antibiotikaresistenzen enthalten, festgestellt.
„Die Fleischwende lässt noch immer auf sich warten“, bilanziert Reinhild Benning, Agrarexpertin bei der Umwelthilfe. Konkret hatte die Organisation jeweils 31 Putenfleischproben bei den beiden Discountern Aldi (Nord und Süd) und Lidl gekauft und in einem Labor der Universität Greifswald untersuchen lassen.
Das Ergebnis habe sie „entrüstet“, meinte Benning. In jeder dritten Lidl-Probe und jeder vierten Aldi-Probe habe das Labor antibiotikaresistente Keime gefunden. Dabei habe es einen großen Anteil an sogenannten Reserveantibiotika gegeben, berichtete Benning. „Das ist sehr beunruhigend.“ Reserveantibiotika gelten als eine Art Notfall-Antibiotika, die angewendet werden, wenn herkömmliche Antibiotika keine Heilung für Menschen bieten.
Geflügelfleisch ist aktuell beliebt wie nie zuvor. 13,3 Kilogramm verzehrt jeder Deutsche durchschnittlich pro Jahr – das sind rund vier Kilogramm mehr als noch vor 20 Jahren. Der größte Anteil (68 Prozent) entfällt auf Masthähnchen. Puten folgen mit 26 Prozent als zweitbeliebtestes Geflügel.
Die Umwelthilfe wies darauf hin, dass Unternehmen wie Aldi und Lidl im Allgemeinen zuvor angekündigt hatten, bis 2030 Verbesserungen in der Tierhaltung ihrer Lieferanten anzustreben. In der Zwischenzeit, so die Annahme der Umweltschützer, verkaufe der Handel gefährliches Geflügelfleisch, das „in einigen Fällen sogar mit Siegeln der ‚Initiative Tierwohl‘ beworben“ werde.
Die betroffenen Unternehmen selbst hielten sich mit einer Bewertung zurück. „Aufgrund der fehlenden Laborergebnisse in Zusammenhang mit der Chargennummer und der uns unbekannten Details zur Methodik können wir zur Untersuchung keine Stellung nehmen“, hieß es bei Lidl auf Anfrage. Man setze, so der Discounter, auf ein eigenes System, um gewisse Standards einzuhalten. „Dazu gehören unabhängige Untersuchungen durch externe Prüfinstitute ebenso wie unangekündigte Audits der Betriebsstätten.“
Außerdem, erklärte Lidl weiter, „haben wir vertraglich vereinbart, dass unsere Lieferanten mit den Landwirten Vereinbarungen treffen, die einen restriktiven Einsatz von Antibiotika in der Tiermast regeln“. Zudem müssten die Lieferanten einen Maßnahmenplan zur Reduktion von Antibiotikaeinsätzen erstellen. Der präventive Antibiotikaeinsatz sei bei der Herstellung „all unserer tierischen Erzeugnisse untersagt“. Lidl verwies zudem auf die strenge Regelung bezüglich des Einsatzes antibiotisch wirksamer Medikamente in der deutschen Tierhaltung
Der Discounter Aldi wollte ebenfalls erst eine konkrete Stellungnahme abgeben, wenn er ein genaueres Bild der Untersuchung habe. „Leider liegen uns bislang trotz Nachfrage bei der DUH keinerlei Ergebnisse oder Details aus der angekündigten Untersuchung vor“, hieß es.
Um das Gewicht der Untersuchung zu erhöhen, hatte die Umwelthilfe am Dienstag in einem Pressegespräch auch Frank Montgomery eingeladen. Er ist Präsident des Ständigen Ausschusses der Ärzte der Europäischen Union und Vorstandsvorsitzender des Weltärztebundes.
Montgomery plädierte mit eindringlichen Worten gegen einen ausufernden Einsatz von Reserveantibiotika in der Tierhaltung. Dieser führe dazu, dass Menschen in Bezug auf diese Wirkstoffe immun werden. Allzu oft würden Reserveantibiotika den Tieren verabreicht werden, um Mängel in der Tierhaltung auszugleichen.
Die EU-Kommission hatte bereits 2018 entschieden, die Gabe von sogenannten Reserveantibiotika in der Landwirtschaft künftig zu verbieten und den Einsatz von Antibiotika zu reduzieren.
Hähnchen und Puten werden in Deutschland überwiegend in Bodenhaltung gemästet. In seltenen Fällen findet die Mast auch in Freilandhaltung statt. Frei laufende Masthähnchen sind vorwiegend in Biobetrieben zu finden. Dort ist der Auslauf per Gesetz vorgeschrieben.
Fast 80 Prozent aller Masthühner in Deutschland werden in großen Betrieben mit mehr als 50.000 Plätzen gemästet. In kleineren Betrieben mit weniger als 10.000 Mastplätzen leben nicht mal ein Prozent aller Masthühner.
Die ökologische Mastgeflügelhaltung in Deutschland ist also bislang eine Nische: Ökogeflügelfleisch hat einen Marktanteil von gerade mal 2,6 Prozent. Nun aber findet ein Umdenken statt – das Interesse der Verbraucher an Biogeflügel nimmt zu. Ökoputen und -hähnchen werden langsamer gemästet, leben in größeren Ställen und haben zudem ein Recht auf Auslauf im Freien.
Die Analyse der Deutschen Umwelthilfe reiht sich ein in eine Kette von aufgedeckten Missständen. 2019 hatte beispielsweise die Umweltorganisation Germanwatch bei Probekäufen bei Aldi Nord und Lidl in fünf europäischen Ländern mit resistenten Keimen verseuchtes Hähnchenfleisch gefunden. Die verantwortliche Agrarexpertin war damals ebenfalls Reinhild Benning, die inzwischen bei der Umwelthilfe tätig ist.
Die Discounter hatten seinerzeit auf Nachfrage erklärt, dass sie nicht für die Haltung und Aufzucht des Geflügels verantwortlich seien. Lidl und Aldi Nord verwiesen schon damals auf ständige Qualitätskontrollen, die die Einhaltung hoher Standards gewährleisten sollen.
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