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15.04.2022

08:44

Lebensmittel

Nach Fleisch- und Milchersatz boomen nun Ei-Alternativen – Marktforscher sehen ein Milliardenpotenzial

Von: Katrin Terpitz

Der Markt für Ei-Ersatz könnte größeres Potenzial haben als der für veganen Käse. Zwei Start-ups ist es nun gelungen, naturidentisches Eiklar zu züchten.

Das Berliner Start-up will sein erstes Produkt mit Ackerbohnen demnächst in der Gastronomie einführen. Tobias König/Perfeggt

Pflanzliches Rührei von Perfeggt

Das Berliner Start-up will sein erstes Produkt mit Ackerbohnen demnächst in der Gastronomie einführen.

Düsseldorf Osterzeit ist Eierzeit. Doch auch im Rest des Jahres werden Eier nachgefragt: 19,7 Milliarden Hühnereier wurden 2021 in Deutschland verzehrt, ermittelte das Statistische Bundesamt. Das sind 239 Eier pro Kopf.

Das Tierwohl ist und bleibt auch nach dem Verbot von Käfighaltung und dem Töten männlicher Eintagsküken dabei ein Problem. Zwar werden nun 20 Prozent der Legehennen in Freiland und zwölf Prozent zusätzlich ökologisch gehalten. Allerdings schleppen diese von draußen Keime in die Ställe, wodurch Medikamentengaben zunehmen und die Lebenserwartung sinkt.

85 Prozent aller Legehennen leiden zudem unter Brustbeinbrüchen – unabhängig von der Art der Haltung, zeigt eine Studie der Universität Kopenhagen. Ursache ist die Hochleistungszucht auf möglichst viele und große Eier.

Nach dem Hype um Fleisch- und Milchersatz drängen nun immer mehr Anbieter mit Ei-Alternativen auf den Markt. Zumal der ökologische Fußabdruck eines konventionellen Eis dreimal so groß ist wie der von Ei-Ersatz aus Mungobohnen, zeigt eine Studie der Beratung BCG und Blue Horizon. Vegane Alternativen wie Eischnee aus Aquafaba (Kichererbsenwasser) gibt es schon lange.

Acht Millionen Tonnen pflanzlicher Ei-Ersatz bis 2035

Laut BCG soll pflanzlicher Ei-Ersatz 2035 acht Millionen Tonnen erreichen. Das ist mehr als für pflanzlichen Käse (drei Millionen Tonnen) oder Rindfleisch-Ersatz (sechs Millionen Tonnen) prognostiziert wird.

Marktforscher Future Market Insights schätzt den globalen Umsatz mit pflanzlichen Ei-Alternativen für 2026 auf 1,5 Milliarden Dollar. Erste Start-ups forschen an naturidentischem Eiklar-Protein, das per Präzisionsfermentation gezüchtet wird.

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Der weltgrößte Anbieter von veganen Ei-Alternativen ist die US-Marke Just Egg. Die Kalifornier bieten flüssigen Rührei-Ersatz in der Plastikflasche oder tiefgekühlt als Quadrat-Omelette. Dies kann im Toaster erwärmt werden. Wichtigster Bestandteil des Ei-Imitats ist die Mungobohne.

Bisher hat Just-Egg-Hersteller Eat Just schon mehr als 250 Millionen Eier ersetzt. In der EU ist Just Egg noch nicht auf dem Markt. Nach rund zwei Jahren hat kürzlich die EU-Kommission die Zulassung für das Mungobohnenprotein als „Novel Food“ erteilt.

„Wir planen den Marktstart von Just Egg in Europa noch in diesem Jahr“, sagte Matt Riley, globaler Vertriebschef von Eat Just, dem Handelsblatt. Die Vertriebsrechte in Deutschland und Europa hat sich Geflügelspezialist PHW („Wiesenhof“) gesichert. Eat Just hatte 2020 in Singapur auch die welterste Zulassung für Fleisch aus Zellkulturen erhalten.

Proteine von Acker- und Mungobohnen

Weltweit arbeiten mehr als 65 Hersteller an Ei-Alternativen, schätzen Branchenexperten. Der Konzern Nestlé hat im Herbst sein pflanzliches vEGGie vorgestellt, der dickflüssige vegane Ei-Ersatz enthält Sojaprotein. Daneben entwickeln etliche Start-ups Ei-Imitate.

Das US-Start-up Eat Just hat bisher 250 Millionen konventionelle Eier ersetzt. Der Ei-Ersatz aus Mungobohnenprotein hat kürzlich die Zulassung in der EU erhalten. Just Egg

Veganes Rührei von Just Egg

Das US-Start-up Eat Just hat bisher 250 Millionen konventionelle Eier ersetzt. Der Ei-Ersatz aus Mungobohnenprotein hat kürzlich die Zulassung in der EU erhalten.

Dazu gehört Perfeggt aus Berlin, das etwa die Ackerbohne nutzt. „Es ist an der Zeit, das Ei völlig neu zu denken – ohne Huhn, dafür mit ausgewählten Pflanzenproteinen und innovativer Technologie“, sagt Tanja Bogumil, CEO von Perfeggt. Das Marktpotenzial für alternatives Ei sei noch völlig unausgeschöpft.

„Wir arbeiten intensiv daran, die richtigen pflanzlichen Proteine und Fette zu kombinieren, um die überaus komplexen multifunktionalen Eigenschaften des Eis sowie dessen besonderes Aroma nachzubauen“, sagt Co-Gründer Bernd Becker, der mehr als 25 Jahre die Forschung und Entwicklung beim Vegan-Fleisch-Primus Rügenwalder Mühle leitete. Ziel sei es, alle Anwendungen des Hühnereis, ob das Braten, Backen oder Binden, zu ersetzen.

Die Markteinführung des ersten Perfeggt-Produkts ist in Kürze in der Gastronomie geplant. Anders als für Just Egg ist für die Inhaltsstoffe keine EU-Zulassung als „Novel Food“ nötig. Das gilt für die meisten Ei-Alternativen.

Bisher hat Perfeggt 3,5 Millionen Euro Kapital eingesammelt – von prominenten Gründern, etwa von Gorillas, Just Spices, MyMuesli und den Unternehmerinnen Lea-Sophie Cramer und Verena Pausder.

Komplexe Inhaltsstoffe schwer zu imitieren

Das Münchner Start-up Greenforce hat kurz vor Ostern sein veganes Flüssigrührei auf den Markt gebracht – „nach mehr als 300 Versuchen und Rezepturanpassungen“. Die Herstellung von Ei-Ersatz gilt als komplex. Enthält ein Hühnerei doch mehr als 100 Aromen und 40 Proteine. Die Basis bilden Ackerbohnen aus Deutschland. Eine Flasche, die sechs Eiern entspricht, kostet 3,99 Euro im Kühlregal. Zum selben Preis gibt es Pulver für zehn Eier zum Selbstanrühren.

Bernd Becker, Gary Lin und CEO Tanja Bogumil haben prominente Investoren für ihre pflanzliche Ei-Alternative gewinnen können. Patrycia Lukaszewicz/Perfeggt

Gründer von Perfeggt

Bernd Becker, Gary Lin und CEO Tanja Bogumil haben prominente Investoren für ihre pflanzliche Ei-Alternative gewinnen können.

Ei-Alternativen wecken auch den Gründergeist ehemaliger Konzernmanager. Vier frühere Lidl-Manager wollen noch im April eine flüssige Vollei-Alternative als erstes Produkt ihrer Vegan-Marke The VGN herausbringen. Das Ei-Imitat enthält ebenfalls Proteine der Ackerbohne. Auch Ex-Coca-Cola-Manager Thomas Starz setzt mit Plant-B auf veganes Flüssigei. Im April soll der Ei-Ersatz aus Lupinen auf den Markt kommen.

Auch für gekochte Eier tüfteln Hersteller an Alternativen. Die Schweizer Handelskette Migros verkauft seit November ein Imitat mit Sojaprotein. Ähnliche Imitate gibt es bereits in Singapur sowie in den USA mit Wundereggs aus Nüssen. Der börsennotierte Vegan-Spezialist Veganz will noch in diesem Jahr hartgekochtes pflanzliches Ei auf den Markt bringen. Der Viererpack von Migros kostet 4,40 Franken. Das sind umgerechnet 1,08 Euro pro Ei – ein Preis, von dem deutsche Eierbauern nur träumen können.

Zwar sind die Eierpreise hierzulande zuletzt deutlich gestiegen. 2021 kosteten zehn Eier aus Bodenhaltung im Laden 1,55 nach 1,36 Euro ein Jahr zuvor, ermittelte Marktinfo Eier & Geflügel. Allerdings steigen seitdem die Kosten kräftig – etwa für Energie und Futter sowie die Geschlechtsbestimmung im Ei. Die ist seit Januar hierzulande für Brütereien Pflicht, um die Massentötung unwirtschaftlicher männlicher Küken zu verhindern.

Allerdings fielen die Kritiken etwa zu Migros’ hartgekochtem Ei-Imitat durchwachsen aus. Etliche Verbraucher nannten das Produkt auf der Bewertungsplattform Migipedia „ungenießbar“.

Solche geschmacklichen Probleme dürfte das Eiweiß von Onego Bio nicht haben. Das finnische Start-up hat ein naturidentisches Eiklar-Protein entwickelt. Es wird durch Präzisionsfermentation mithilfe des fadenförmigen Schlauchpilzes Trichoderma reesei hergestellt.

Das Gen für das Eiklar-Protein Ovalbumin wird in den Pilz eingefügt, der dann Eiweiß produziert. „Verbraucher sind viel offener geworden für solche Produkte, die ohne Tiere hergestellt werden“, meint Gründerin Maija Itkonen.

Ende Februar sammelte Onego Bio zehn Millionen Euro Kapital ein, etwa vom britischen Investor Jim Mellon: „Die Technologie hat das Potenzial, Ovalbumin im industriellen Maßstab und zu einem Preis herzustellen, der mit der konventionellen Eierproduktion konkurrenzfähig ist.“ Zudem seien die positiven Auswirkungen auf Umwelt und Tierschutz ganz erheblich.

In den USA hat das Start-up Every nach sieben Jahren Forschung ebenfalls naturidentisches Eiklar durch Fermentation entwickelt. Demnächst soll ein Nobel-Bäcker in San Francisco damit Macarons herstellen.

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