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14.09.2022

18:25

Lebensmittelbranche

Wie der Nestlé-Deutschlandchef die Milch klimafreundlicher machen will

Von: Katrin Terpitz

PremiumMarc Boersch steht unter Druck, die ambitionierten Klimaziele des Konzerns hierzulande umzusetzen. Lieferanten wie Milchbauern sollen dabei helfen.

Der Deutschlandchef von Nestlé will emissionsärmere Milch fördern. Das Pilotprojekt auf dem Hof von Bauer Mario Frese (2. v. r.) wird unterstützt von Andreas Durst (l.), Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen, und Detlef Latka, Chef der Molkerei Hochwald. obs

Marc Boersch (rechts) auf der Klima-Milchfarm

Der Deutschlandchef von Nestlé will emissionsärmere Milch fördern. Das Pilotprojekt auf dem Hof von Bauer Mario Frese (2. v. r.) wird unterstützt von Andreas Durst (l.), Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen, und Detlef Latka, Chef der Molkerei Hochwald.

Mörshausen Als Nestlé-Deutschlandchef Marc Boersch dieser Tage den Hof von Milchbauer Mario Frese besucht, geht es nicht nur um Milch. Die verarbeitet die Molkerei Hochwald zu Mozzarella für Tiefkühlpizza der Nestlé-Marke Wagner. Doch Milchkühe wie die von Bauer Frese sind für Nestlé und Boersch zunehmend ein Problem: Deren Futter, Methan-Rülpser und Güllegase belasten die Umwelt – und damit die Klimabilanz des weltgrößten Konsumgüterherstellers.

Milch ist einer der wichtigsten Rohstoffe für Nestlé – etwa für Schokolade, Eis, Pizza oder Säuglingsnahrung. „Gleichzeitig verursacht Milch die meisten Treibhausgase in unserer Lieferkette“, erklärt Boersch auf dem Hof im nordhessischen Mörshausen. Der 54-Jährige arbeitet seit 20 Jahren beim Schweizer Hersteller und leitet seit 2019 das Deutschlandgeschäft.

Unrühmliche Bekanntheit erlangte Boersch im Sommer 2019 durch ein Video mit der damaligen Ernährungsministerin Julia Klöckner (CDU). Die lobte Nestlé dafür, Zucker, Salz und Fett in seinen Produkten reduziert zu haben. Es folgte ein heftiger Shitstorm wegen des gemeinsamen Auftritts von Ministerin und Manager. Seitdem war es recht still um den Deutschlandchef geworden. Nun sucht er, kaum wiederzuerkennen mit Corona-Bart, auf dem Modellbauernhof wieder die Öffentlichkeit.

is 2030 will Nestlé seinen globalen CO2-Fußabdruck auf die Hälfte verkleinern, für 2050 hat sich der Weltkonzern gar eine grüne Null als Emissionsziel gesetzt. „Ein ambitioniertes Ziel“, wie Boersch einräumt, der deshalb unter Zugzwang steht. Allein in Deutschland setzt Nestlé zwei Millionen Tonnen CO2-Äquivalent im Jahr frei. 80 Prozent davon stammen aus landwirtschaftlichen Zutaten wie Milch aus Mörshausen.

Der Mozzarella auf der Pizza stammt aus der Molkereigenossenschaft Hochwald. PR

Wagner Pizza

Der Mozzarella auf der Pizza stammt aus der Molkereigenossenschaft Hochwald.

Der Hof wird mithilfe von Nestlé zur ersten deutschen „Klima-Milchfarm“ umgebaut. Ziel des Pilotprojekts ist es, die Klimabilanz des Hofs in drei Jahren rechnerisch auf netto null Emissionen zu bringen. Experimentiert wird mit Futtermischungen, Klee als Dünger, Bindung von CO2 im Grünland und Wegen, Ammoniak in der Gülle zu reduzieren. Die Molkerei Hochwald, die Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und das bundeseigene Thünen-Institut begleiten das Projekt.

Der Hof von Bauer Frese ist einer von mehr als 45 Modellhöfen, die zum weltweiten Standard werden sollen. „Das Pilotprojekt hört sich spannend an. Die Frage ist, ob das ein Feigenblatt bleibt“, meint Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg.

Nestlé - ungeliebt, aber erfolgreich

Der Schweizer Konzern ist Feindbild von Umweltschützern und Globalisierungsgegnern. Mit rund 2000 Marken, von Vittel über Kitkat, Nescafé bis Maggi, gilt Nestlé als einer der größten Plastikverschmutzer weltweit. „Hier hat Nestlé großen Nachholbedarf“, betont Valet. Pilotprojekte und Ankündigungen reichten nicht. „In der Konsequenz müsste sich Nestlé aus etlichen Geschäftszweigen, die wenig nachhaltig sind, verabschieden.“ Den Verkauf der Marke Vittel in Deutschland einzustellen sei nicht genug.

Der Konzern – ein Wort, das Boersch zuwider ist – ist ungeliebt, aber erfolgreich. Nestlé wuchs im ersten Halbjahr weltweit organisch um 8,1 Prozent auf 45,6 Milliarden Schweizer Franken (rund 46,8 Milliarden Euro). Dank Preiserhöhungen blieb die operative Marge trotz internationaler Krisen bei 16,9 Prozent fast stabil. Das Deutschlandgeschäft unter Boersch, das nicht extra ausgewiesen wird, dürfte in der Konsumflaute allerdings schwieriger geworden sein.

Nestlé-Aktie: Anleger verlangen Nachhaltigkeit

„Nestlé muss mit seiner Größe beim Klimaschutz vorweggehen. Wer sonst, wenn nicht wir?“, sagt Boersch. Der Sinneswandel ist indes nicht selbstlos. Die Aktionäre seien nicht mehr rein ertragsorientiert: „Es geht genauso um das Wohl der Natur, sonst verlieren Investoren das Interesse.“ Der Aktienkurs ist seit Ankündigung des Klimaziels von Nestlé-CEO Mark Schneider 2019 um mehr als 20 Prozent gestiegen.

„Die Verknappung und Verteuerung von Lebensmitteln durch Corona und Ukrainekrieg sind nur eine sanfte Vorahnung von dem, was uns blüht, wenn wir den Klimawandel nicht in den Griff bekommen“, so Boersch. Mit veganen Produkten versucht Nestlé, seinen CO2-Fußabdruck zu verkleinern. Pflanzliche Würstchen, Schokolade, Thunfisch oder Eiersatz sind allerdings Nischenprodukte.

Den veganen Burger gibt es beispielsweise bei McDonald's zu kaufen. Nestlé

Sensational Burger der Nestlé-Marke Garden Gourmet

Den veganen Burger gibt es beispielsweise bei McDonald's zu kaufen.

Vehement befürwortet Boersch ein Klimalabel für alle Lebensmittel ähnlich der Nährwertampel Nutriscore. „Wir als Nestlé sind schon lange unter Druck, im Mittelstand gibt es noch zu wenige, die mitziehen“, moniert er und fordert EU-weit bindende Regularien.

Auch seine Zulieferer nimmt Nestlé in Sachen Klimaschutz nun in die Pflicht. Lieferanten, die nur auf Ertrag schauen, würden langfristig nicht mehr mit dem Unternehmen arbeiten. Die Schweizer Nestlé-Zentrale verschickte just während Boerschs Besuch auf dem Hof eine Pressemeldung, die Milchbauern weltweit aufhorchen lassen dürfte. In den USA startet Nestlé mit Perfect Day ein Pilotprojekt für naturidentische, aber tierfreie Milchproteine. Diese werden per Präzisionsfermentation aus Bakterien gezüchtet. Auf klimabelastende Milch von der Kuh wäre Nestlé dann in Zukunft nicht mehr angewiesen.

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