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03.05.2023

09:42

Lieferkettengesetz

Ikea und Amazon drohen Millionenstrafen

Von: Florian Kolf

Erste Beschwerden auf Basis des deutschen Lieferkettengesetzes schrecken die Wirtschaft auf. Mit einem neuen EU-Gesetz könnten Verstöße bald noch teurer werden.

Das Abkommen Bangladesh Accord hat dazu beigetragen, die Sicherheit in den Fabriken zu verbessern. imago/photothek

Textilfabrik in Bangladesch

Das Abkommen Bangladesh Accord hat dazu beigetragen, die Sicherheit in den Fabriken zu verbessern.

Düsseldorf Menschenrechtsorganisationen haben gegen die Händler Amazon und Ikea Beschwerde beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) eingereicht. Sie werfen den beiden Unternehmen vor, gegen das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz zu verstoßen. Es ist die erste Beschwerde auf Basis des seit Anfang des Jahres geltenden Gesetzes.

Sollte das Bafa ebenfalls einen Verstoß sehen, kann das für die Unternehmen sehr teuer werden. Das Gesetz sieht Bußgelder von bis zu zwei Prozent des weltweiten Jahresumsatzes vor. Bei Ikea läge diese Grenze bei rund 800 Millionen Euro, bei Amazon wären demnach im Extremfall sogar bis zu zehn Milliarden Euro möglich.

Ein direktes Klagerecht bietet das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz den Verbänden nicht, davor hatten viele Unternehmen Angst. Doch die EU arbeitet gerade an einer noch strikteren Regelung. Danach sollen Betroffene vor den Gerichten der EU-Staaten klagen können. Bei Pflichtverletzungen sollen dann sogar Strafen von bis zu fünf Prozent des globalen Umsatzes möglich sein.

Die Organisationen ECCHR und Femnet kritisieren unter anderem, dass die Händler den sogenannten Bangladesh Accord nicht unterzeichnet haben, ein Abkommen, das die Sicherheit in den Textilfabriken des Landes verbessern soll. Außerdem seien in Fabriken, die Amazon und Ikea beliefern, Sicherheitsmängel und Arbeitsrechtsverstöße festgestellt worden.

Das Bafa teilte auf Anfrage mit, dass es „zu etwaigen Beschwerden gegen einzelne Unternehmen grundsätzlich keine Angaben machen kann“. Generell gelte jedoch, dass jede Beschwerde durch das Bafa gründlich und individuell geprüft werde.

Ikea will mit den Behörden kooperieren

ECCHR und Femnet haben die Beschwerde gemeinsam mit der Gewerkschaft National Garment Workers Federation (NGWF) aus Bangladesch eingereicht. Die NGWF habe bei einer Recherche im März 2023 in den Fabriken Sicherheitsmängel wie fehlende Inspektionen, aber auch Arbeitsrechtsverletzungen wie mangelnde Gewerkschaftsfreiheit festgestellt. Das Lieferkettengesetz verpflichtet Unternehmen, die in Deutschland mehr als 3000 Mitarbeitende haben, auch zur Einhaltung der Rechte der Mitarbeitenden entlang ihrer Lieferkette.

Ikea-Filiale: Der schwedische Möbelriese bekommt Probleme wegen des deutschen Lieferkettengesetzes. IMAGO/ITAR-TASS

Ikea – Probleme mit Lieferanten

Ikea-Filiale: Der schwedische Möbelriese bekommt Probleme wegen des deutschen Lieferkettengesetzes.

Amazon wollte sich zu den konkreten Vorwürfen nicht äußern. Grundsätzlich habe sich das Unternehmen aber verpflichtet, sicherzustellen, dass alle angebotenen Produkte unter Beachtung der Menschenrechte und der Umwelt hergestellt würden, teilte eine Sprecherin mit. Für Zulieferer gebe es dazu klare Anforderungen, die in den Lieferketten-Standards festgelegt seien.

Ikea teilte mit, dass dem Unternehmen im konkreten Fall noch keine Informationen seitens des Bafa vorlägen. Deshalb könne es sich „zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht im Detail zu den Vorwürfen äußern“, wie eine Sprecherin erklärte.

Sie sagte: „Sobald wir Kenntnisse von Missständen erhalten, nehmen wir unmittelbar die Untersuchungen auf und sind selbstverständlich kooperativ in der Zusammenarbeit mit Behörden.“ Die Sprecherin betonte, dass Ikea unter keinen Umständen Verstöße gegen Menschenrechte, Arbeitsbedingungen oder Sicherheitsstandards in der Lieferkette akzeptiere.

Vor genau zehn Jahren war in Bangladesch die Textilfabrik Rana Plaza eingestürzt. Dabei kamen mehr als 1100 Menschen ums Leben. Unmittelbar danach unterzeichneten zahlreiche westliche Modekonzerne den Bangladesh Accord. Das Abkommen mit den Gewerkschaften der Textilarbeiter schreibt unter anderem klar definierte Sicherheitsstandards für die Fabriken vor, in denen die Modefirmen bestellen, und macht regelmäßige Kontrollen verpflichtend.

Vor zehn Jahren starben beim Einsturz dieser Fabrik in Bangladesch mehr als 1100 Menschen. dpa

Rana Plaza

Vor zehn Jahren starben beim Einsturz dieser Fabrik in Bangladesch mehr als 1100 Menschen.

Mehr als 1400 Fabriken in Bangladesch mit zusammen 2,2 Millionen Beschäftigten werden mittlerweile vom Accord erfasst und kontrolliert. Die Unternehmen, die das Abkommen unterzeichnet haben, dürfen nur noch in diesen Fabriken produzieren lassen. Bis heute haben den Accord mehr als 190 Modefirmen unterschrieben.

Ikea gehört nicht dazu. Das Unternehmen erklärte auf Nachfrage, es begrüße Verpflichtungen zur Verbesserung der Standards und Arbeitsbedingungen, werde aber unabhängig von solchen internationalen Vereinbarungen bleiben. Das Unternehmen sei überzeugt, dass seine eigenen Systeme es am besten in die Lage versetzten, die Bedingungen im Produktionssektor zu verbessern und zu stärken.

Femnet und ECCHR sind da anderer Ansicht. „Wir sind davon überzeugt, dass die Nichtunterzeichnung eine Verletzung der Sorgfaltspflicht von Unternehmen darstellt“, so Miriam Saage-Maaß, Rechtsanwältin und Legal Director des ECCHR.

„Unternehmen sollten Hinweise auf Verstöße sehr ernst nehmen“

Der Rechtsanwalt Lothar Harings widerspricht dem. „Unternehmen können selbstverständlich auch individuelle Vereinbarungen mit ihren Zulieferern treffen“, sagt der Hamburger Experte der Kanzlei Graf von Westphalen, der mehrere Textilunternehmen bei der Gestaltung ihrer Lieferkette berät. „Der Accord ist sicher eine geeignete Präventivmaßnahme, aber eben nicht die einzige Präventivmaßnahme, die denkbar ist“, erklärt er. Das Gesetz sehe bewusst keine pauschalen Lösungen vor.

Außerdem sollten die betroffenen Unternehmen jetzt ihr eigenes System zur Kontrolle ihrer Zulieferer mit dem Bangladesh Accord vergleichen. „Wenn ihr eigenes System den Vorgaben des Accords entspricht oder darüber hinausgeht, dürften sie nichts zu befürchten haben.“

Trotzdem mahnt er, Beschwerden bei der Bafa nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. „Wenn die Beschwerden hinreichend konkret sind, kann es zu einer Untersuchung der Bafa kommen“, so der Experte. „Unternehmen drohen dann Bußgeldverfahren.“

Bei der Höhe der Strafzahlungen müsse die Behörde aber den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten. „Die ersten Bußgelder werden bei Weitem nicht an die Höchstgrenzen gehen“, ist sich Harings sicher. „In die Nähe der Höchstgrenzen werden wir erst kommen“, sagt der Experte, „wenn wiederholte Verstöße wider besseres Wissen vorliegen und erschwerende Umstände hinzukommen, etwa ein irreparabler Schaden.“

Erstpublikation: 02.05.2023, 12:54 Uhr.

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