Im deutschen Lkw-Transport gibt es mehr freie Ladekapazitäten, Transportpreise sinken. Dabei hatten sich die Lieferketten auf Schlimmes eingestellt.
Autobahn A8 bei Stuttgart
Notfallpläne für die Omikron-Welle bleiben in der Schublade.
Bild: imago images / Arnulf Hettrich
Düsseldorf Die seit Wochen anhaltende hohe Rate an Neuinfektionen mit der Omikron-Variante des Coronavirus treffen die Logistik in Deutschland weitaus geringer als befürchtet. „Die Welle scheint größtenteils an uns vorübergegangen zu sein“, erklärt Martin Bulheller vom Bundesverband Güterkraftverkehr und Logistik (BGL) in Frankfurt.
Die Entspannung zeigt sich überraschend auch auf dem Frachtmarkt. Die im Lkw-Transport angebotene Kapazität lag Ende Januar 5,9 Prozent über dem Wert vom Dezember, wie die Frachtbörse Transporeon meldet. Die Preise auf dem Spotmarkt gingen um 10,6 Prozent zurück.
„Aus Gesprächen mit Transportfirmen hören wir, dass es zuletzt in der Spitze Ausfälle von fünf bis sechs Prozent der Belegschaft gab“, sagte Stephan Sieber von Transporeon dem Handelsblatt. Zu Beginn der Welle Mitte Dezember hätten sich die Fracht- und Lagereibetriebe noch auf Ausfälle zwischen zehn und 15 Prozent der Belegschaft eingestellt. Der Transportverband BGL forderte im Januar sogar einen Krisenstab beim Bundesamt für Güterverkehr, der für eine Priorisierung dringend benötigter Waren sorgen sollte.
Davon ist aktuell nicht mehr die Rede. Trotz hoher Inzidenzen in Deutschland zeigen sich die großen Player in der Logistik von den Ausfällen kaum getroffen. Kühne + Nagel etwa, mit deutschlandweit 13.000 Mitarbeitern in 150 Niederlassungen und Warenverteilzentren einer der größten Speditionskonzerne, nennt dazu auf Anfrage konkrete Zahlen: Ein bis zwei Prozent der Belegschaft, heißt es aus Hamburg, falle aktuell wegen Coronaerkrankungen aus.
Man verzeichne in den eigenen Logistikzentren aufgrund der Omikron-Welle aktuell nur in absoluten Einzelfällen Kapazitätseinschränkungen, heißt es auch beim Logistikkonzern Fiege im münsterländischen Greven. „In Deutschland haben wir gruppenweit etwa zwei Prozent mehr Krankmeldungen als in den Vergleichsmonaten der Vorjahre“, berichtet ein Sprecher.
In den vergangenen fünf Jahren vor Corona lag der Krankenstand der Transportbranche bei jeweils sechs Prozent. Deutschlandweit meldeten die gesetzlichen Krankenkassen über alle Branchen hinweg 2021 eine Quote von 4,34 Prozent.
Auch bei Deutschlands größtem Logistikkonzern, der Deutschen Post mit ihren unter DHL firmierenden Paket-, Express- und Frachttöchtern, gibt man Entwarnung. „Wir beobachten aktuell keine Auswirkungen auf unsere Betriebsfähigkeit“, erklärt eine Sprecherin auf Anfrage. Mit 175.000 Mitarbeitern in Deutschland ist die Deutsche Post nach Volkswagen und Deutscher Bahn der drittgrößte Arbeitgeber des Landes.
Der Onlineversender Amazon, der mit 19.000 festangestellten Logistikmitarbeitern in Deutschland rund ein Viertel des Paketmarktes erobert hat, zeigt sich angesichts der Omikron-Welle ebenfalls entspannt. „Bei uns gibt es keine Betriebsausfälle“, berichtet ein Sprecher in München.
Das gilt offensichtlich ebenso für die internationale Versorgung. Deutschlands größte Reederei Hapag-Lloyd verzeichnete vergangene Woche gerade einmal eine einstellige Zahl an Inlandsbeschäftigten, die sich mit Corona infiziert hatten. In der Zentrale an Hamburgs Binnenalster und in den heimischen Warenverteilzentren arbeiten rund 1.800 Mitarbeiter.
Allenfalls der Seetransport könne sich aufgrund von Corona mancherorts verzögern, gab ein Sprecher zu bedenken. „Manchmal kann die Crew die Reise für eine Woche oder zehn Tage nicht fortsetzen, bis alle negativ getestet sind“, sagte er. Dies komme aufgrund der strengen Kontaktbeschränkungen für die Crews aber selten vor. In Deutschland merke man aktuell nur wenig von der Omikron-Welle.
Die vergleichsweise geringe Zahl an Ausfällen dürften Deutschlands Logistiker umfassenden Hygiene- und Schutzmaßnahmen verdanken. Um die Sicherheit der Beschäftigten und Kunden zu gewährleisten, gleichzeitig aber auch den Betrieb und Service sicherzustellen, entwickelte die Deutsche Post frühzeitig Notfall- und Pandemiepläne – überwacht von einer Taskforce, regelmäßig abgestimmt mit der WHO und dem Robert Koch-Institut.
Kühne + Nagel sorgte in seinen Lagerhallen frühzeitig dafür, dass Schichtgruppen strikt voneinander getrennt wurden und sich bei der Übergabe nicht begegnen. Lagerkräfte tragen einen Piepser, der ein Warnsignal sendet, sobald sich Mitarbeiter näher als 1,50 Meter kommen.
Auch Amazon nimmt die Maßnahmen ernst: „Seit Beginn der Pandemie hat Amazon weltweit mehr als 15 Milliarden Dollar ausgegeben, um die Sicherheit der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu gewährleisten und weiterhin für die Kundschaft da zu sein“, erklärt ein Sprecher des US-Konzerns.
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Auch für Geschäftspartner gibt es vielerorts strenge Vorschriften. Jeder, der beim Logistikkonzern Fiege die Zentrale betritt, erhält am Empfang zunächst ein Corona-Testkit in die Hand gedrückt. Nur wer mit einem Negativ-Ergebnis aus dem Toilettenraum spaziert, darf seinen Besuch fortsetzen.
Eine Blitzumfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) hatte vor knapp zwei Wochen zunächst zu größerer Besorgnis geführt. Unter 370 befragten Unternehmen aus fünf Sektoren hatte man insbesondere in der Logistik Klagen über Personalengpässe notiert. Die Ausfälle seien im eigenen Unternehmen „erheblich“, antworteten 36 Prozent der Befragten, acht Prozent bezeichneten sie sogar als „kritisch“. Konkrete Ausfallquoten nannte die Blitzumfrage nicht.
Experten wie Transporeon-Chef Stephan Sieber verweisen darauf, dass ein Großteil dieser Engpässe allenfalls indirekt auf Corona zurückzuführen sei. „Viele Fahrer haben wegen der Pandemie die Branche verlassen, um in vermeintlich sicherere Jobs zu wechseln“, beobachtet er. Dies habe den ohnehin schon bestehenden Fahrermangel verschärft. Zudem hätten Transportunternehmen angesichts der Krise ihre Lkw-Flotten verkleinert, um das Geschäftsrisiko zu verringern.
Als einen der Hauptgründe, weshalb die Logistikbranche in der Omikron-Welle glimpflich davongekommen ist, nennt der Transportverband BGL die hohe Impfquote unter den Fahrern. „Schon im vergangenen Dezember 2021 lag der Anteil der Doppeltgeimpften bei 72 Prozent“, berichtet ein Sprecher. Von den restlichen 28 Prozent sei darüber hinaus ein Großteil zumindest einmal geimpft worden oder, was vermutlich für Fahrer aus Osteuropa zutraf, mit dem russischen Vakzin „Sputnik“.
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