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05.01.2023

16:02

Logistik

„Zeit der Traummargen geht vorbei“ – Luftfrachtgeschäft gerät unter Druck

Von: Jens Koenen

Die Nachfrage nach Warentransport per Luft bleibt hoch, doch der Konkurrenzdruck steigt. Airlines müssen sich von Fabelpreisen für Fracht verabschieden – auch weil alle mitmischen wollen.

Die Preise im Cargo-Geschäft sind noch über dem Niveau aus der Zeit vor Corona – allerdings auch weit von jüngsten Bestwerten entfernt. imago images/Marcel Lorenz

Frachtmaschine der Lufthansa

Die Preise im Cargo-Geschäft sind noch über dem Niveau aus der Zeit vor Corona – allerdings auch weit von jüngsten Bestwerten entfernt.

Frankfurt Vom Schub im Weihnachtsgeschäft profitiert traditionell auch die Luftfracht. Unternehmen bestücken Lager und Regale mit Waren und Teilen, die oftmals per Flugzeug herangeschafft werden müssen. Es sind die stärksten Geschäftswochen des Jahres. Doch nicht 2022.

Das zeigen Daten des Analyseunternehmens World ACD aus den Niederlanden. Die Experten haben die weltweiten Lademengen in den zwei Wochen vom 21. November bis zum 4. Dezember mit dem Wert der beiden Vorwochen verglichen. Statt eines Anstiegs der sogenannten Tonnage gab es ein Minus von vier Prozent. Noch deutlicher fällt das Minus im Vergleich zum vergleichbaren Vorjahreszeitraum aus: 17 Prozent.

Das ausgebliebene Nachfragehoch ist ein deutliches Zeichen: Der Superzyklus in der Luftfracht geht langsam zu Ende. Der Trend sinkender Frachtmengen in der zweiten Jahreshälfte 2022 habe sich auch in der wichtigen Weihnachtssaison fortgesetzt, heißt es in dem Bericht von World ACD.

Seit Anfang 2020 hat die Luftfracht dafür gesorgt, dass die Luftfahrt in der schlimmsten aller Krisen wenigstens eine Ertragsquelle hatte. Die Pandemie hatte die Lieferketten auf See und auf der Straße durcheinandergebracht, Laderaum in den Flugzeugen war heiß begehrt und wurde üppig bezahlt. Das ändert sich gerade.

„Die Zeit der Traummargen, die einige Anbieter in den zurückliegenden knapp drei Jahren verdient haben, geht vorbei“, sagt Andreas Jahnke, Managing Director beim Beratungsunternehmen Accenture. Das liege etwa an der moderat rückläufigen Nachfrage und den steigenden Kosten, die die Fluggesellschaften nicht mehr eins zu eins an die Kunden weitergeben können.

Frachtraten in Flugzeugen sinken

Luftfrachtanbieter hatten während der Pandemie Ergebnisse eingeflogen, die alle Erwartungen übertrafen. So erzielte Lufthansa Cargo, die Frachttochter des Lufthansa-Konzerns, in den ersten neun Monaten 2022 eine bereinigte Ergebnismarge von fast 37 Prozent – ein bis dato unerreichter Wert.

Zwar hatte Lufthansa die Ergebnisprognose für den Konzern kurz vor Weihnachten noch einmal erhöht, unter anderem mit Verweis auf die sehr gute Geschäftsentwicklung bei Cargo. Doch die Zweifel wachsen, dass dieses Niveau gehalten werden kann.

So lagen die durchschnittlichen Frachtraten für den Transport per Flugzeug laut World ACD Anfang Dezember bei 3,34 Dollar je Kilogramm. Das waren 25 Prozent weniger als der Rekordwert ein Jahr zuvor. Immerhin: Die Rate liegt damit noch deutlich über dem Vorkrisenniveau im Jahr 2019.

Der Bedarf an Luftfrachtkapazitäten bleibt hoch, sind sich Experten sicher. „Es wird auch in den kommenden Monaten eine erhöhte Nachfrage nach Luftfracht geben“, sagt Berater Jahnke. Noch gebe es Güter, die nicht ausreichend auf Lager seien und schnell an den Verbraucher geliefert werden müssten. „Viele Unternehmen unterliegen weiterhin dem Zwang, sehr schnell weltweit liefern zu müssen. Ein gutes Beispiel ist die Modebranche.“

Auch führe die Dringlichkeit bestimmter Waren dazu, dass diese weiterhin mit dem Flugzeug befördert würden. „Das gilt zum Beispiel für medizinische Produkte, aber auch für verderbliche Ware oder Lebendtiere.“ Schließlich gebe es teure Produkte, die sehr begehrt seien und deshalb weiterhin per Flugzeug transportiert würden – zum Beispiel Halbleiter.

Üblicherweise werden vor allem hochwertige Produkte in den Bäuchen von Flugzeugen befördert, denn Luftfracht ist teuer. Die bisherige Rechnung lautet: Zwei bis drei Prozent aller Waren werden insgesamt mit dem Flugzeug transportiert, bezogen auf den Warenwert sind es aber 30 Prozent. „An dieser Relation wird sich so schnell nichts ändern“, glaubt Jahnke.

Grafik

Allerdings schauen die Kunden wegen ihrer stark gestiegenen Kosten etwa für Energie mittlerweile sehr genau hin, ob eine Ware zwingend mit dem Flugzeug geliefert werden muss. Das zeigt sich an Zahlen des Flughafenverbands ADV. Demnach wurden im Oktober 2022 an den deutschen Verkehrsflughäfen 431.756 Tonnen umgeschlagen, das sind 8,3 Prozent weniger als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Ein Grund: Die Wasserstraßen sind wieder frei.

„Die Schiffsraten sind deutlich gefallen und die Staus haben sich aufgelöst“, sagt Jahnke. Kostete es zum Beispiel Anfang 2022 noch 8000 Dollar, einen Standardcontainer (20-Fuß-Stahlbox; TEU) von Shanghai nach Nordeuropa zu schippern, sackte die Seefrachtrate bis Ende November auf nur noch 1479 Dollar ab. Waren, die nicht zeitkritisch und vor der Pandemie ohnehin mit dem Schiff befördert worden seien, würden künftig wieder über den Seeweg transportiert, so Jahnke.

Dazu kommt ein weiteres Problem. Im pandemiebedingten Boom haben sowohl die Reeder als auch die Airlines ihre Kapazitäten ausgeweitet. Nun droht ein Überangebot, je nachdem, wie stark die Nachfrage 2023 etwa wegen einer Rezession sinken wird.

Reedereien gründen eigene Fracht-Airlines

Sollten die Werften ihre Auftragsbücher wie geplant abarbeiten, werden bis 2025 auf See zusätzliche Transportkapazitäten für 7,3 Millionen TEU auf den Markt kommen, das wären 28 Prozent der Weltflotte. In der Luftfracht wiederum versuchen neue Anbieter ihr Glück.

So hat die Schweizer Reederei MSC kürzlich ihre neue MSC Air Cargo gestartet. Atlas Air fliegt den ersten Frachter, eine Boeing 777, im Auftrag von MSC. Drei weitere sollen folgen. Schon im Februar vergangenen Jahres war auch die Reederei CMA CGM mit der Tochter Air Cargo losgeflogen. Auch der Wettbewerber Maersk hat einen Luftfrachtableger, derzeit mit 15 Maschinen.

Gleichzeitig versucht sich Lufthansa Cargo in einem neuen Markt: Luftfracht auf Kurzstrecken. Mit zwei zu Frachtern umgebauten Airbus A321 fliegt das Unternehmen durch Europa. LH Cargo will nicht nur vom boomenden Onlinehandel profitieren, auch Lücken in der Lieferkette etwa in Richtung Großbritannien oder Irland sollen geschlossen werden. In den kommenden Monaten werden zwei weitere A321-Frachter ihren Dienst aufnehmen.

Nach Ansicht von Berater Jahnke ein lohnenswerter Versuch – trotz des sich eintrübenden Umfelds: „Es gibt einen Bedarf für Luftfracht auf der Kurz- und Mittelstrecke. Ich sehe hier neue Geschäftsmöglichkeiten für die Branche.“

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