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15.02.2023

17:51

Nichts ging mehr für Passagiere. Reuters

Lufthansa-Schalter am Flughafen Frankfurt

Nichts ging mehr für Passagiere.

Luftfahrt

IT-Chaos bringt Lufthansa in Erklärungsnot

Von: Christoph Schlautmann, Philipp Alvares de Souza Soares, Frank Specht

Tausende Passagiere strandeten am Mittwoch, weil bei Bauarbeiten zuvor ein Glasfaserkabel beschädigt wurde. Experten bemängeln fehlende Absicherungssysteme.

Düsseldorf, Hamburg, Berlin Nach dem stundenlangen Chaos am Mittwoch, vor allem am Frankfurter Flughafen, steht die Lufthansa stark in der Kritik. Ein Ausfall der IT-Systeme des Konzerns hatte dafür gesorgt, dass allein am größten deutschen Airport bis zum Mittag rund 230 von insgesamt 1000 geplanten Starts und Landungen ausfielen. Ursache waren Bauarbeiten, bei denen am Vortag mehrere Glasfaserkabel durchtrennt wurden.

Auf Plattformen wie LinkedIn und Twitter häuften sich die Beschwerden von Fluggästen. „Wie kann eine einzelne Beschädigung einen derart großen Schaden anrichten?“, fragte etwa George Kyriazis, Technologieexperte der Straßburger Beratungsfirma EU-Lisa. „Da reicht ein eifriger Baggerfahrer, und schon ist einer der größten und wichtigsten Flughäfen Europas offline“, kritisierte Michael Asboe, IT-Chef der Personalfirma Tempton.

Andere fragten, weshalb sich Lufthansa nicht mit einem redundanten, also zusätzlichen System abgesichert habe.

Glasfaserstrang bei Bauarbeiten beschädigt

Insbesondere über eine unzureichende IT-Struktur des MDax-Konzerns wurde spekuliert. Erst vor gut einem Jahr war es zu einem folgenreichen Ausfall gekommen, nachdem die Airline mit einem gescheiterten Update ihr System lahmgelegt hatte.

Am Mittwoch waren die Auswirkungen noch verheerender. Tausende Passagiere vor allem an den Drehkreuzen Frankfurt und München mussten Verspätungen und Flugausfälle hinnehmen. Seit dem Morgen waren die Systeme unter anderem für das Boarding nicht mehr betriebsbereit. In der Lufthansa-Zentrale in Frankfurt kam ein Krisenstab zusammen.

Der Konzern hatte zwischenzeitlich alle Flüge ab Frankfurt eingestellt. Reuters

Flughafen Frankfurt

Der Konzern hatte zwischenzeitlich alle Flüge ab Frankfurt eingestellt.

Die Deutsche Flugsicherung (DFS) hatte auf Anraten des Airportbetreibers Fraport über Stunden keine Landungen am größten deutschen Flughafen mehr zugelassen, weil es nicht genug freie Parkpositionen gab. Die Maschinen wurden stattdessen umgeleitet. Starts waren weiter möglich. Ab dem frühen Nachmittag erlaubte die DFS in Frankfurt 40 Anflüge pro Stunde und näherte sich damit wieder dem Normalbetrieb.

Hinzu kam am Mittwoch ein Informationschaos. Zunächst hatte es geheißen, sämtliche innerdeutschen Lufthansa-Flüge seien abgesagt. Passagiere wurden gebeten, auf die Bahn umzusteigen. In Frankfurt wurden sämtliche Abflüge der Airline gestoppt. Inlandsverbindungen an anderen Flughäfen fanden am Nachmittag aber wieder statt.

Bei der Lufthansa-Tochter Eurowings kam es zu geringen Verspätungen. Laut dem Konzern hängt die IT der Airlinetöchter Swiss, Austrian und Brussels Airlines nicht am System der Zentrale. Bauarbeiten an einer S-Bahn-Trasse bei Frankfurt-Eschersheim hatten bereits am Dienstagabend gegen 19 Uhr Schäden an einem Glasfaserstrang der Deutschen Telekom verursacht. Ein Telekom-Sprecher erklärte auf Anfrage, dass ein Betonbohrer am Dienstagnachmittag vier Kabel in fünf Meter Tiefe zerstört habe.

Über 10.000 Privat- sowie Hunderte Geschäftskunden im Raum Frankfurt seien von Ausfällen betroffen gewesen. Es sei eine Art „Glasfaser-Pipeline“ durchtrennt worden, sagte ein Sprecher, die besonders viele Anschlüsse mit Hochleistungs-Internetverbindungen versorge.

Unklar blieb indes, weshalb der Ausfall nur einer Leitung für die IT der Lufthansa derart gravierende Konsequenzen hatte. Die Telekom wollte keine weiteren Angaben zu dem konkreten Produkt machen, das die Lufthansa bei ihr gebucht hat.

Experten rätseln über den Ausfall

Dem Konzern zufolge hatte zunächst offenbar auch eine Redundanz gegriffen, weshalb der Flugbetrieb am Dienstagabend fortgeführt werden konnte. Warum dies am Mittwoch nicht mehr der Fall war, blieb offen. Die Lufthansa ließ eine Anfrage dazu unbeantwortet. IBM, das als IT-Dienstleister für die Lufthansa arbeitet, reagierte auf eine Anfrage zunächst ebenfalls nicht.

Erfahrene IT-Experten lässt der Fall ratlos zurück. Bei hohen Leistungsanforderungen wie kritischen Infrastrukturen seien Anbindungen von drei unabhängigen Netzbetreibern üblich, sagte etwa Andreas Weiss vom Eco, dem Verband der deutschen Internetwirtschaft. „Normal ist es nicht möglich, dass bei der Durchtrennung eines einzelnen Kabels alle Systeme lahmgelegt werden.“

Dabei besitzt die Lufthansa sehr wohl Redundanzen, um für gewöhnlich ihren Flugbetrieb bei größeren IT-Ausfällen aufrechtzuerhalten. Neben dem Rechenzentrum bei Frankfurt gibt es ein weiteres Systemhaus in Norderstedt. Doch ein Back-up von dort in die Konzernzentrale sei am Mittwoch nicht möglich gewesen, berichten mit der Angelegenheit vertraute Manager. Neben dem Glasfaserkabel sei auch das 5G-Netz rund um den hessischen Flughafen ausgefallen.

Flugbetrieb

IT-Ausfall sorgt für massive Störungen bei der Lufthansa

Flugbetrieb: IT-Ausfall sorgt für massive Störungen bei der Lufthansa

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Für den Schaden muss der Konzern offenbar nur bedingt aufkommen. „Die Lufthansa trifft diesmal keine Schuld“, resümiert Lufthansa-Experte Gerald Wissel, Chef der Hamburger Beratungsfirma Airborne Consulting. Die Airline sei am Mittwoch einer Verkettung unglücklicher Umstände zum Opfer gefallen. Anders als zunächst von Verbraucherschützern behauptet, besitzen betroffene Fluggäste in diesem Fall wohl kein Recht auf Entschädigung.

Dennoch kommen auf die Lufthansa hohe Zusatzkosten zu. So war die Airline verpflichtet, ihren Kunden ab einer Verspätung von drei Stunden eine Alternativbeförderung anzubieten. Wohl auch deshalb machte die Lufthansa gestrandeten Passagieren am Mittwoch das Angebot, kostenfrei auf andere Airlines umzubuchen oder die Bahn zu nutzen.

Ab einer Verspätung von mehr als fünf Stunden ist die Airline zudem verpflichtet, den vollen Ticketpreis zu erstatten. Bei Verspätungen von mehr als zwei Stunden und einer Flugstrecke von über 1500 Kilometern muss sie den Passagieren am Flughafen zudem Mahlzeiten und Getränke bereitstellen. Bei Bedarf ist ihnen sogar eine Unterkunft samt Anreise dorthin zu bezahlen. 

Die Lufthansa-Aktie gab am Mittwoch nach Bekanntwerden der Störung zunächst um rund 2,5 Prozent nach, am späten Nachmittag lagen die Papiere sogar wieder leicht im Plus. Da liefen nach Konzernangaben die Systeme bereits wieder an. Für den Donnerstag rechne man mit einem weitgehend normalen Ablauf, hieß es.

Am Freitag kommt es zu 24-stündigen Streiks

Doch weiteres Chaos droht den Fluggästen der Lufthansa und auch anderer Gesellschaften nur einen Tag später. Die Gewerkschaft Verdi ruft Beschäftigte an den Flughäfen Frankfurt, München, Stuttgart, Hamburg, Bremen, Dortmund und Hannover zu einem 24-stündigen Warnstreik auf. „Wir brauchen dringend bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten im Luftverkehr, sonst droht der nächste Chaossommer“, sagte die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Christine Behle dem Handelsblatt.

Die IT-Panne wirkte sich am Mittwoch auf das gesamte Netz des Lufthansa-Konzerns aus. dpa

Passagiere am Hamburger Flughafen

Die IT-Panne wirkte sich am Mittwoch auf das gesamte Netz des Lufthansa-Konzerns aus.

Auf den pandemiebedingten Einbruch des Flugverkehrs hatten viele Flughäfen mit Entlassungen reagiert. Als die Nachfrage im vergangenen Sommer wieder anzog, kam es dann zu langen Wartezeiten, Flugausfällen und Problemen bei der Gepäckabfertigung, weil Personal fehlte. Daran habe sich wenig geändert, sagte Behle. Etwa 20 Prozent der im Zuge von Corona abgebauten Arbeitsplätze seien bis heute nicht neu besetzt.

Zum Streik aufgerufen sind neben an den Flughäfen tätigen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes auch die Mitarbeiter von privaten Bodenverkehrsdiensten. Das dürfte erhebliche Auswirkungen auf den Flugverkehr haben. Fraport teilte bereits mit, dass wohl alle kommerziellen Flüge gestrichen würden. Für Freitag seien etwa 1005 Flugbewegungen mit rund 137.000 Passagieren geplant gewesen.

Auch in München, wo am Freitag internationale Gäste zur Sicherheitskonferenz erwartet werden, findet kein regulärer Flugbetrieb statt. Der Hauptgeschäftsführer des Flughafenverbands ADV, Ralph Beisel, kritisierte, ein Arbeitskampf an sieben Airports gleichzeitig habe „nichts mehr mit einem Warnstreik zu tun“. 

Mitarbeit: C. Kerkmann

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