Die Luftfahrtindustrie prüft intensiv die Möglichkeit, mit nur einem Piloten zu fliegen. Technisch ist das in greifbarer Nähe – aber es gibt einige Probleme.
Piloten im Cockpit eines Airbus A380
Aufgrund des Pilotenmangels suchen Fluggesellschaften nach neuen Lösungen.
Bild: Imago / Aurora Photos
Frankfurt Könnte in Passagierjets eines Tages nur noch ein Pilot oder eine Pilotin im Cockpit sitzen und den Jet steuern? Völlig ausgeschlossen ist das nicht. Das zeigt ein aktuelles Arbeitspapier der Luftfahrtorganisation der Vereinten Nationen (ICAO). Es beschäftigt sich mit Möglichkeiten, die fliegende Besatzung zu reduzieren.
Das Papier hat vier Seiten und thematisiert „neue Konzepte“, wie ein Flugbetrieb mit einer reduzierten Cockpit-Crew sichergestellt werden kann, etwa während des Reiseflugs. Dabei soll das Sicherheitsniveau des bisherigen Betriebs gewährleistet oder übertroffen werden. Am Ende des Prozesses könnte das sogenannte Single-Pilot Cockpit stehen, ein Flugzeug, in dem nur noch ein Pilot in der Kanzel sitzt, auch beim Start und bei der Landung.
Die europäische Luftfahrtbehörde EASA, die Flugsicherung Eurocontrol und die EU-Mitgliedstaaten hatten die ICAO aufgefordert, sich des Themas anzunehmen. Dennoch dürfte das Ein-Piloten-Cockpit so schnell nicht Realität werden. Nicht nur die Akzeptanz der Passagiere ist ein Problem.
Die ICAO-Experten weisen deshalb dezidiert darauf hin, dass das Thema komplex ist und sehr weit reicht. Es gehe nicht um den einfachen Wechsel von zwei Crew-Mitgliedern zu einem, heißt es in dem Arbeitspapier. „Es ist ein Paradigmenwechsel hin zu einem Piloten, der allein das Steuer eines großen kommerziellen Flugzeugs übernimmt.“
Dass das seit vielen Jahren diskutierte, aber extrem sensible Thema nun wieder stärker in den Fokus rückt, liegt nach Ansicht von Gerald Wissel vom Beratungsunternehmen Airborne Consulting auch an den Fortschritten bei Flugtaxen: „Im Kern geht es um den Weg in Richtung autonomes Fliegen. Und selbst da wird ja vorerst ein Pilot an Bord sein müssen. Das ist also noch ein langer Weg.“
Allerdings wächst auch der Druck. Fluggesellschaften hoffen, mit nur einem Piloten an Bord die Kosten drücken zu können. Und es würde ein wachsendes Problem lösen: den Pilotenmangel. Der US-Hersteller Boeing schätzt, dass bis zum Jahr 2041 weltweit gut 600.000 neue Flugzeugführer benötigt werden.
Jede Entlastung in der Flugzeugkanzel ist deshalb willkommen. „Single-Pilot Cockpit bedeutet nicht automatisch, dass dann sofort nur noch ein Pilot an Bord ist“, sagt Berater Wissel. Es werde vorerst weiterhin ein zweiter dabei sein. „Er kann unterstützend eingreifen, doch er muss nicht fliegen, was wiederum seine Einsatzzeit reduziert. Schon dieses System würde den Airlines mehr Flexibilität bei der Crew-Planung geben.“
Auch die Hersteller treiben das Thema. Airbus etwa überlegt, die geplante Frachterversion der A350 auch für den Betrieb mit nur einem Piloten zuzulassen. Das Flugzeug soll nach bisherigen Planungen 2025 in Betrieb gehen, bis dahin könnte es auch mit der Zertifizierung des „Ein-Mann-Cockpits“ klappen.
> >Lesen Sie dazu: Flugaufsicht befeuert Debatte über Cockpits mit nur einem Piloten
„Wenn, dann wird das in der kommerziellen Luftfahrt als Erstes im Frachtverkehr realisiert, im Passagierverkehr sehe ich das vorerst nicht“, sagt Berater Wissel und fügt hinzu: „Dazu fehlt es an der notwendigen Akzeptanz in der Bevölkerung.“
Tatsächlich dürfte die Bereitschaft der Passagiere, in ein Flugzeug mit nur einem Piloten an Bord zu steigen, eher gering sein. Das Desaster rund um die Boeing 737 Max hat allen gezeigt, wie schwierig und auch heikel es ist, die Steuerung des Flugzeugs weitgehend den Computersystemen zu überlassen. Die waren in der Max so aggressiv programmiert, dass Piloten im Zweifel nicht gegensteuern konnten – auch, weil sie zu wenig über die Systeme wussten. Zwei Jets stürzten ab und rissen 346 Menschen in den Tod.
Airbus A350
Der Hersteller überlegt, die geplante Frachterversion des Flugzeugs auch für den Betrieb mit nur einem Piloten zuzulassen.
Bild: Reuters
Ohne eine weitere Automatisierung aber wird die Idee des „Single-Pilot Cockpits“ nicht funktionieren. Die ICAO-Experten halten das zwar für technisch machbar und verweisen etwa auf die Autobranche und die immer besseren Assistenzsysteme.
In modernen Jets sind bereits zahlreiche Systeme installiert, die den Pilotinnen und Piloten Arbeit abnehmen. Die A350 von Airbus ist zum Beispiel in der Lage, bei einem Druckabfall in der Kabine automatisch einen Notabstieg einzuleiten. Auch kann der Jet bei einer drohenden Kollision dem anderen Flugzeug automatisch ausweichen.
Das Flugzeug hat zudem ein Notsystem für den Fall von Störungen in der Hydraulik. Die Systeme können den Jet im Zweifel ohne Eingreifen des Piloten abfangen, weil die entscheidenden Steuerungselemente wie Klappen zusätzlich über eigene Stellmotoren verfügen.
Das Arbeitspapier der ICAO wirft aber eine Reihe von Fragen auf. Was ist zum Beispiel, wenn der Pilot zur Toilette muss und vorübergehend keiner mehr die Instrumente und Systeme überwacht? Bei langen Flügen könnte der Flugzeugführer zudem schneller müde werden, es fehlt der Gesprächspartner im Cockpit, der den Zustand seines Kollegen oder seiner Kollegin stets im Blick hat.
Viel schwerer wiegt in den Augen der ICAO allerdings der Ausfall des Piloten aus gesundheitlichen Gründen. Solche Fälle sind keineswegs selten. Am 22. November ist ein Kapitän der US-Regionalairline Envoy während eines Flugs zusammengebrochen und gestorben.
Und dann sind da noch technische Probleme während des Flugs, die das Cockpit-Personal immer wieder fordern. Bei besonders schwerwiegenden Fehlern bedeutet das Stress pur in der Kanzel. Ein Pilot muss das Flugzeug in der Luft halten, der andere die Checkliste abarbeiten, den Fehler finden und bestenfalls beheben. Die Pilotenvertretungen rund um den Globus verweisen auf teils erhebliche Sicherheitsbedenken und lehnen das Cockpit mit nur einem Piloten deshalb bisher ab.
Grundsätzlich könnten solche Krisensituationen durch die Unterstützung des Bodenpersonals aufgefangen werden. So ist es technisch machbar, dass die Systeme im Flugzeug die Anweisungen von Fluglotsen umsetzen. Doch dafür ist wiederum eine stabile und vor allem gegen Hacker geschützte Kommunikationsverbindung nötig. Die bisher eingesetzte Technologie kann das nicht leisten.
Auch erfordert ein solches Konzept andere Kompetenzen beim Bodenpersonal. Das werde möglicherweise höhere Kosten bedeuten und müsse bei der Betrachtung der wirtschaftlichen Vorteile des „Single-Pilot Cockpits“ berücksichtigt werden, so die ICAO.
Es ist nicht die einzige Stelle, wo eventuell Zusatzkosten statt Einsparungen drohen. Ein weitgehend computergesteuerter Jet hat nach Ansicht der ICAO eine geänderte Rolle des Piloten zur Folge. Der müsse zu einem Systemmanager werden, was wiederum gerade in der Phase, in der diese Technologie eingeführt werde, „zu einem erhöhten Risiko führen könnte“.
Eine bisher nicht beantwortete Frage sei die der künftigen Pilotenausbildung, ergänzt Berater Wissel: „Wie soll zum Beispiel ein Copilot auf dem Weg zur Kapitänswürde die erforderlichen Erfahrungen sammeln, wenn nur noch einer im Cockpit sitzt?“ Die gesamte Ausbildung müsse dann neu strukturiert werden.
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×
Kommentare (3)