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01.03.2021

04:00

Luftfahrt

Sport-Stars statt Linienpassagiere: German Airways erfindet sich neu

Von: Jens Koenen

PremiumDie Pandemie hat die Airline in die Pleite getrieben. Innerhalb weniger Monate hat die Mutter Zeitfracht neue Ideen für ihre Luftfahrtsparte entwickelt.

Die Airline hat ihr Geschäftsmodell umgestellt. German Airways

Flugzeug von German Airways

Die Airline hat ihr Geschäftsmodell umgestellt.

Köln Topvereine der Fußballbundesliga, dazu klingende Namen der europäischen Fußballwelt: Die Kundenliste der kleinen Fluggesellschaft German Airways mit fünf Embraer-E190-Jets ist prominent besetzt. Auch wenn Geschäftsführer Wolfram Simon-Schröter konkrete Vereinsnamen nicht so gerne lesen möchte, „der Diskretion wegen“.

Vor gut einem Jahr sah die Liste noch ganz anders aus. Die Luftfahrtgesellschaft Walter (LGW) – eine von zwei Airlines, die damals zu German Airways gehörten – flog Linienpassagiere vor allem im Auftrag der Lufthansa-Tochter Eurowings zum Beispiel in Düsseldorf. Wet Lease nennen das die Experten. Doch dann kam die Corona-Pandemie, die Lufthansa-Gruppe kündigte alle Leasingverträge, LGW musste im April 2020 Insolvenz anmelden. Ein schwerer Schock.

Die Luftfahrt ist die mit Abstand kleinste Sparte der Zeitfracht-Gruppe. Das Familienunternehmen mit 3700 Mitarbeitern bietet Logistikleistungen auch auf der Straße und dem Wasser an. Ein wichtiger Bereich ist die Versorgung des Buchhandels. Zwar hat die Pandemie überall Spuren hinterlassen, am heftigsten wütete sie allerdings bei der Luftfahrt-Tochter.

Neben LGW gehört dazu auch die Airline WDL. Man wollte expandieren, vor allem im Wet-Lease-Geschäft. Doch plötzlich war das alles Makulatur, neue Ideen waren gefragt. Gemeinsam mit dem Mutterunternehmen Zeitfracht gelang eine Lösung, die auch für andere eine Blaupause sein könnte.

Nach der Insolvenz: den Mut haben, aus einem Zubrot ein Kerngeschäft zu machen

Zusammen mit seiner Co-Geschäftsführerin Maren Wolters analysierte Wolfram Simon-Schröter die Lage. Fündig wurde man im Chartergeschäft. Das war bis zum Beginn der Pandemie nicht mehr als ein Zubrot. Doch nun wurde es zum neuen Nukleus von German Airways mit 120 Mitarbeitern.

Zwar bietet sich die Airline weiterhin als Wet Lease-Partner an. Simon-Schröter schließt auch nicht aus, dass man hier wieder neue Kunden gewinnen kann, gerade wenn Fluggesellschaften das Geschäft nach der Pandemie wieder hochfahren, das eigene Fluggerät aber für die Nachfrage vorerst zu groß ist. „Davon könnten wir profitieren.“

Das Familienunternehmen musste seine Luftfahrt-Sparte wegen der Pandemie neu ausrichten. Zeitfracht/Thomas Rabsch

Zeitfracht-Finanzchef Wolfram Simon-Schröter

Das Familienunternehmen musste seine Luftfahrt-Sparte wegen der Pandemie neu ausrichten.

Simon-Schröter ist zugleich Finanzchef der Zeitfracht-Gruppe und mit Gesellschafterin Jasmin Schröter verheiratet. Er und Maren Wolters setzen vorerst lieber auf den Charterbereich. Mittlerweile steigen nicht nur Fußballstars in die Jets mit extrem großem Sitzabstand, wie es auf der Webseite der Airline heißt. Auch Rugby- oder Basketball-Mannschaften buchen German Airways.

Wenn man das Geschäftsmodell verändert: die Zielgruppe definieren

Für Gerald Wissel vom Beratungsunternehmen Airborne Consulting ist es ein Strategieschwenk mit Chancen, aber auch Risiken: „Das Chartergeschäft ist stark preisgetrieben, kann aber etwas höhere Margen als reines Wet-Lease generieren.“ Gleichzeitig sei dieses Geschäft komplexer, denn der Anbieter müsse sich um viel mehr Dinge selbst kümmern – etwa die Verkehrsrechte, den Transport der Crew und gegebenenfalls auch deren Unterbringung.

Airline-Chefin Wolters ist überzeugt, dass die Strategie aufgehen wird: „Wir haben uns in der Sportwelt einen Namen erarbeitet mit gutem Service und Diskretion.“ Auch weltbekannte Bands buchten mittlerweile die Flugzeuge, ebenso Unternehmen.

Doch der Weg dahin war schmerzhaft. Die erste Frage, die es zu klären galt: Was wird aus dem Portfolio von German Airways? „Wir mussten eine Entscheidung treffen: WDL oder LGW?“, erinnert sich Simon-Schröter. Bald war klar: LGW war nicht zu retten. „Wir haben alles versucht, eine Perspektive zu schaffen, doch es ging nicht.“ Das sei seine dunkelste Stunde in der Unternehmensgeschichte gewesen.

Wenn die schlechten Nachrichten kommen: klare und schnelle Kommunikation an die Mitarbeiter

Zwar kennt der 40-Jährige schwierige Situationen. Seine „Spezialität“ ist es, angeschlagene Unternehmen aufzukaufen und zu sanieren. Doch üblicherweise verkündet er den Mitarbeitern notwendige Einschnitte persönlich. „Wegen Corona mussten wir das den LGW-Mitarbeitern leider virtuell mitteilen. Ich habe zwei Nächte vorher nicht geschlafen.“

Die nächste Herausforderung: Ende 2019 hatte sich Simon-Schröter dazu entschlossen, sich vom Chefposten der Zeitfracht-Gruppe zurückzuziehen und sich stärker auf die Themen Finanzen und Übernahmen zu konzentrieren. Neuer Chef sollte Dominik Wiehage werden. Stichtag war der 1. April 2020 – mitten auf dem ersten Höhepunkt der Pandemie.

„Wir haben zu keinem Zeitpunkt darüber nachgedacht, die Übergabe rückgängig zu machen“, sagt Simon-Schröter. Doch für alle sei es ein Sturz ins kalte Wasser gewesen. „Dominik war in der Zeit 24 Stunden bei mir, er hat sogar bei mir im Gästezimmer im Keller geschlafen, weil seine neue Wohnung in Berlin noch nicht bezugsfertig war.“ Das habe gut geklappt, auch weil man eng befreundet sei.

In der Krise: den Nachfolgern Chancen geben, ihre Expertise einzubringen

Auch Airline-Chefin Wolters stand vor einer heiklen Aufgabe: Die 28-Jährige war bei Beginn der Pandemie noch nicht lange bei der Zeitfracht-Tochter WDL. Sie hatte erste Berufserfahrungen bei der Deutschen Bahn gesammelt. Die Kombination aus dem Neuen und der gewaltigen Herausforderung, davor habe sie durchaus Respekt gehabt, räumt sie ein.

Eine so junge Managerin, noch dazu in einer Branche, die immer noch stark männerdominiert ist - keine einfache Aufgabe. Doch Wolters kennt solche Situationen. „Ich habe in Aachen Wirtschaftsingenieurwesen studiert. Im Studium war ich eine von nur von sehr wenigen Frauen“, erzählt sie. Bekomme sie mal einen frechen Spruch zu hören, könne sie den gut kontern.

Die Airline-Chefin stand bei German Airways vor einer heiklen Aufgabe. German Airways

Maren Wolters

Die Airline-Chefin stand bei German Airways vor einer heiklen Aufgabe.

Ihr Vorteil sei es zudem gewesen, dass sie vor Corona bereits die Einflottung der neuen Embraer-Jets vom Typ 190 gesteuert habe: „Dadurch hatte ich mir eine gewisse Akzeptanz erarbeitet.“ Geholfen habe auch, dass Zeitfracht klar gesagt habe, man stehe voll hinter WDL und German Airways. Doch zu Beginn der Krise war das nicht jedem im Unternehmen klar.

Zukunftsvisionen: Einschnitte mit Perspektiven verbinden

Kurz nach der Anmeldung der LGW-Insolvenz habe man auch die Mitarbeiter der zweiten Airline WDL zum Gespräch eingeladen, berichtet Wolters. Natürlich hätten damals viele gedacht, dass ihnen nun das gleiche Schicksal drohe wie den Kollegen bei LGW.

Doch Wolters und Simon-Schröter konnten diese Sorge nehmen. Es werde weitergehen, lautete die klare Botschaft. Im Gegenzug zeigte sich die Belegschaft flexibel, auch wenn es um sehr ungewöhnliche Anliegen ging. So haben alle Mitarbeiter von German Airways rund um die Weihnachtszeit im Lager von Zeitfracht ausgeholfen, um die Bestellflut etwa bei Büchern zu bewältigen. Keiner habe sich da gedrückt, auch nicht der langjährige Flugkapitän, freut sich Simon-Schröter über so viel Solidarität.

Geholfen hat bei all dem natürlich die Stabilität der Mutter im Hintergrund. „Die Zeitfracht-Gruppe war zu keinem Zeitpunkt in der Krise gefährdet“, betont Simon-Schröter. Und sie sei ohne staatliche Coronahilfen ausgekommen.

Der Unternehmer spricht sogar von einem „zufriedenstellenden Jahr 2020“. Der Umsatz habe nach vorläufigen Berechnungen deutlich über 600 Millionen Euro erreicht, nach über 500 Millionen Euro im Jahr 2019. Das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen liege zwischen fünf und sechs Prozent des Umsatzes.

Trotz der Insolvenzerfahrung – die Luftfahrt soll ein Geschäftsbereich der Zeitfracht-Gruppe bleiben, allerdings einer mit einer überschaubaren Größe. „Der Umsatzanteil der Luftfahrt wird auch künftig nicht größer als fünf Prozent sein“, so Simon-Schröter. „German Airways wird gestärkt aus der Krise starten“, ist Simon-Schröter überzeugt.

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