PremiumSchon jetzt wirkt sich der Personalmangel massiv auf die Luftfahrt aus. Entspannung ist nicht in Sicht: Die Gewerkschaften wollen die Arbeitsbedingungen nicht mehr hinnehmen.
Lange Warteschlangen am Flughafen
Flughafenbetreiber haben mit fehlendem Personal zu kämpfen.
Bild: dpa
Frankfurt Arbeitskampf nicht ausgeschlossen: Aktuell laufen Verhandlungen zwischen Lufthansa und der Pilotenvertretung Vereinigung Cockpit (VC). Es geht um die Frage, wie groß die Kernmarke Lufthansa künftig sein wird und wie stark andere Marken wie Eurowings wachsen dürfen. Gelingt bis Ende Juni keine Einigung, könnte Europas größter Airline-Gruppe ein Streik drohen.
Lufthansa hat schon im vergangenen Jahr einen Vertrag gekündigt, in dem festgeschrieben ist, dass in der Kernmarke Lufthansa mindestens 325 Flugzeuge eingesetzt werden. Das Management will dort nur noch mit weniger Jets fliegen, auch weil die Kosten höher sind als etwa bei Eurowings. Die Piloten fürchten wiederum um ihre Jobs und die Karrierechancen. Seit Monaten ringen beide Tarifpartner um eine Lösung in dem Konflikt.
Ein Streik würde den Konzern in einer ohnehin äußert angespannten Situation treffen. Und sowohl Unternehmen als auch Kunden in der Haupturlaubssaison. Bereits ohne Arbeitskampf kommt es bei Lufthansa und in der gesamten Branche seit Wochen zu Verspätungen und Verschiebungen von Flügen. Auf dem Vorfeld und bei den Sicherheitskontrollen fehlt Personal. Viele haben ihre in der Regel nur mäßig bezahlten Jobs in der Pandemie aufgegeben und sind in andere Branchen gewechselt wie den Lebensmittelhandel.
Allein der Flughafenbetreiber Fraport will für Frankfurt rund 1000 Stellen besetzen und kämpft dabei mit einem angespannten Arbeitsmarkt. Von denjenigen, die in der Pandemie gegangen sind oder gehen mussten, will kaum einer zurückkehren. „Erst recht nicht, nachdem Gesundheitsexperten immer lauter vor einer neuen Coronawelle im Herbst warnen“, sagt ein Luftfahrt-Manager.
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Nach Schätzungen des Flughafenverbandes ADV fehlen allein beim Bodenpersonal an den Airports rund 20 Prozent der Mitarbeiter. Nach Berechnungen der Arbeitsnehmervertreter sind das rund 5500 Beschäftigte. Lange Wartezeiten bei der Abfertigung und abgesagte oder umgebuchte Flüge – immer häufiger wird die lang ersehnte Urlaubsreise zu einer Qual.
Erste gegenseitige Schuldzuweisungen werden laut. Für die Airlines sind es vor allem die Flughäfen, die Bodendienstleister und die Sicherheitsfirmen, die den Neustart nach der Pandemie vergeigen. Doch es hat jeder in der fragmentierten Prozesskette Luftfahrt aktuell Probleme.
Auch die Airlines. Lufthansa habe angesichts der kurzfristig und enorm schnell gestiegenen Nachfrage nach Tickets Flüge verkauft, bei denen man hinterher festgestellt habe, weder Gerät noch Besatzung zu haben, heißt es etwa bei Piloten und Kabinenbesatzungen. Bereits Mitte 2020 habe man eindringlich vor genau so einer Situation gewarnt, sagt Daniel Kassa Mbuambi, der Vorsitzende der Kabinengewerkschaft UFO.
Ein Neustart und ein damit verbundener rasanter Anstieg des Flugprogramms könne nur mit genügend Personal gelingen. „Der LH-Konzern war allerdings so sehr damit beschäftigt, Personalüberhänge mit Verweis auf die Coronakrise zu identifizieren und abzubauen, dass die Zeit des Wiedereinstiegs aus dem Blick verloren wurde“, so Kassa Mbuambi weiter.
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Und das führt für Reisende sowie Personal zu unangenehmen Szenen. Er habe Passagieren, die gerade eingestiegen seien, erklären müssen, dass das Gepäck, das gerade aus dem Flugzeug geladen werde, nicht ihres sei, erzählt ein Kapitän. Es habe sich um Gepäck aus dem vorhergehenden Flug gehandelt, das noch nicht komplett entladen werden konnte. „Sie werden heute wohl ohne Ihr Gepäck fliegen, weil es nicht mehr eingeladen werden kann“, musste er seinen Fluggästen dann mitteilen, sagt der Pilot. Für jemanden, der zum Beispiel auf dem Weg zu einer Kreuzfahrttour war, sei das bitter gewesen. Denn hat das Schiff einmal abgelegt, wird kein Gepäck mehr nachgeliefert.
Lufthansa will die UFO-Darstellung zu Fehlern in der Personalpolitik so nicht stehen lassen. Die 900 Kurzstreckenflüge, die der Konzern im Juli nun abgesagt hat, würden deshalb ausfallen, weil die „Systempartner“ wie etwa die Flughäfen signalisiert hätten, das geplante Pensum nicht bewältigen zu können, erklärt ein Sprecher. Wegen fehlender Crews habe kein Flug abgesagt werden müssen.
Dass die die Personaldecke auch bei der „Hansa“ eng ist, wird aber eingeräumt. Knapp seien etwa Trainingskapazitäten für Piloten, die regelmäßig geschult werden müssten, um ihre Lizenz zu erhalten. Ein Grund dafür ist nach Informationen von Unternehmenskennern das freiwillige Abfindungsprogramm für Flugzeugführer, das der Konzern im vergangenen Jahr gestartet hatte.
Das Management hatte mit bis zu 250 Pilotinnen und Piloten gerechnet, die diese Offerte annehmen würden. Doch diese Zahl wurde schon innerhalb der ersten Minuten erreicht, in denen das Angebot intern online war. Am Ende nutzten rund 400 Cockpit-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter die Abfindung, darunter viele mit großer Flugerfahrung, die auch als Trainer arbeiten.
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Um den Engpass zu beheben, hat das Lufthansa-Management nun mit einigen vereinbart, doch noch über den 31. Juli hinaus zu bleiben. Dennoch fürchten einige in der Pilotenschaft, dass Lufthansa ab August in einen Schulungsengpass hineinlaufen wird, der die Probleme im Flugbetrieb zusätzlich vergrößern könnte. Eine Sorge, die man auf Unternehmensseite allerdings bisher nicht teilt.
Angesichts der angespannten Situation sorgt bei UFO-Vertretern die Idee des Managements für Irritation, Kabinenmitarbeiterinnen und Kabinenmitarbeiter nun für mehrere Monate an die Tochter Swiss zu verleihen. Sie kämpft mit massiven Personalengpässen. Dabei geht es um Crewmitglieder, die länger nicht im Einsatz waren und deshalb aktuell keine Lizenz besitzen.
Passagiermaschinen der Lufthansa auf dem Gelände des Flughafen Frankfurt
Die Personalpolitik des Konzerns sorgt für Kritik bei den Gewerkschaften.
Bild: dpa
Vor lauter Anstrengung zur Gesundschrumpfung habe Lufthansa ganz klar versäumt, die verbleibenden Kollegen und Kolleginnen adäquat zu lizenzieren, beklagt Kassa Mbuambi. „Dass Lufthansa Personal aus der eigenen aktuell enorm geforderten Kabine nun an eine möglicherweise noch unterbesetztere Kabine der Swiss ausleihen will, ist für uns eine extrem unbefriedigende Lösung für ein selbst verursachtes, vorhersehbares und vermeidbares Problem.“ Lufthansa müsse die noch unlizenzierten Crewmitglieder so schnell wie möglich schulen, um die Arbeitsbelastung der Kabinenbeschäftigten nicht noch zu verschärfen.
Die aktuelle Situation befeuert zudem Tarifkonflikte. Die hohe Arbeitsbelastung gepaart mit der stark gestiegenen Inflation könnte in den kommenden Monaten für eine Streikwelle in der Luftfahrt sorgen. Easyjet musste am Freitag vergangener Woche bereits einen Streik am Flughafen in Berlin verkraften, zu dem Verdi aufgerufen hatte. Weitere könnten laut der Dienstleistungsgewerkschaft folgen.
Am Pariser Flughafen Charles de Gaulle streikte kürzlich das Airport-Personal. Bei der skandinavischen Airline SAS haben die Piloten für Ende Juni Arbeitskämpfe angekündigt. Gelingt es den Tarifpartnern bei Lufthansa in den kommenden Tagen nicht, eine Lösung zu finden, könnte es ein anstrengender Sommer werden.
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