Schon im Hitzesommer 2018 hatte Deutschlands Wirtschaft mit einem Teilausfall der Binnenschifffahrt zu kämpfen. Heute sind die Sorgen noch größer.
Niedrigwasser am Mittelrhein
Die flachste Stelle des Rheins liegt in Kaub in Rheinland-Pfalz. Der Pegel könnte hier schon bald auf 30 Zentimeter fallen.
Bild: dpa
Düsseldorf Das Niedrigwasser des Rheins gefährdet die Öl- und Benzinversorgung von Shell und Exxon ab dem Mittelrhein. Der Rheinpegel wird laut Prognosen an der flachsten Stelle bei Kaub, wenige Kilometer flussaufwärts von Koblenz, am Montag unter die kritische Marke von 30 Zentimetern fallen. „Bei der Tankstellen-Versorgung im Süden Deutschlands kann es dadurch zu Engpässen kommen“, warnt Steffen Bauer, Chef von Deutschlands größtem Binnenschiffbetreiber HGK. Eine solche Situation habe es bereits im Sommer 2018 gegeben.
Durch die anhaltende Dürre fiel der Pegel in Kaub am Samstagvormittag auf 36 Zentimeter, am Donnerstagmorgen lag er noch bei 47 Zentimetern. Die Behörden erwarten, dass der Wasserstand in den kommenden drei bis vier Tagen um weitere zehn bis 15 Zentimeter sinkt. Dann könnten die Binnenschiffbetreiber womöglich gar nicht mehr liefern.
Denn je niedriger das Wasser im Rhein, desto weniger können die Betreiber ihre Schiffe beladen. Schon unter einem Pegelstand von 40 Zentimetern in Kaub ist die Binnenschifffahrt kaum noch wirtschaftlich. Bei 30 bis 35 Zentimetern kommt sie laut Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) selbst mit besonders flachgehenden Binnenschiffen „tendenziell zum Erliegen“. Die BfG erwartet, dass die Pegel erst Mitte kommender Woche wieder steigen – aber nur sehr leicht.
Schon jetzt sind die Behinderungen erheblich. Manche größeren Schiffe könnten aufgrund ihres Tiefgangs an bestimmten Stellen, insbesondere am Oberrhein und am südlichen Rhein, nicht mehr fahren, berichtet HGK-Chef Bauer. Koppelverbände habe man dort bereits aus dem Programm genommen. Die Ladung von 2000 bis 3000 Tonnen, die üblicherweise von einem Frachter allein transportiert werde, müsse nun wasserstandsabhängig auf mehrere Binnenschiffe verteilt werden.
„Dazu aber fehlen uns im Augenblick die Kapazitäten“, sagt der Logistikexperte. Die Folgen können die Auftraggeber daher schon jetzt an der eigenen Firmenkasse ablesen. Die Frachtraten, heißt es bei HGK, hätten sich in einigen Segmenten etwa vervierfacht.
Die Branche fürchtet, dass der niedrige Rheinpegel Deutschlands Wirtschaft noch weitaus härter treffen könnte als im Hitzesommer 2018. Schon jetzt kommt es im Süden Deutschlands zu Engpässen bei der Tankstellenversorgung. „Mineralölprodukte sind ausreichend vorhanden, aber wir sehen uns mit großen Herausforderungen konfrontiert, Benzin, Diesel oder Heizöl zur rechten Zeit und in ausreichender Menge an die Zielorte zu transportieren“, sagt der Branchenverband En2x.
Was die Situation weiter verschärft: Zahlreiche Unternehmen stellen aus Angst vor Gasmangel und Rekordpreisen auf Heizöl um. Die Nachfrage nach Ölprodukten ist höher als gewöhnlich. Die Lieferkapazitäten fehlen wiederum für den Transport von Benzin und Diesel.
Hinzu kommt: „Wegen der drohenden Gasknappheit müssen in diesem Jahr rund 40 Millionen Tonnen Kohle über die deutschen Binnengewässer transportiert werden“, rechnet Bauer vor. „Doppelt so viel wie im Jahr zuvor.“ Das binde erhebliche Kapazitäten.
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Zudem wurden 200.000 Tonnen Schiffskapazität in den vergangenen Monaten vom Rhein auf die Donau verlagert. Dort transportieren sie Düngemittel und Agrarprodukte, die wegen des Kriegs in der Ukraine nicht mehr aus den dortigen Seehäfen verschifft werden können. In anderen Seehäfen herrscht erheblicher Stau, vor allem in Rotterdam. Die Binnenschiffe werden nur selten zügig be- und entladen
Die Belieferung erschwert zusätzlich, dass auch die Deutsche Bahn nicht mehr so viele Lieferkapazitäten anbietet wie üblich. Zahllose Baustellen, ein enormer Krankenstand unter den Lokführern und ein heillos überfordertes Management haben die Produktivität in den vergangenen Monaten erheblich dezimiert. „Das Ganzzuggeschäft wurde runtergefahren und Mengen aus dem System genommen“, berichtete DB-Cargo-Produktionsvorstand Ralf Kloß neulich der eigenen Belegschaft in einem dramatischen Video.
Das Bundeswirtschaftsministerium plant außerdem dem Transport von Öl und Kohle mit Blick auf die Energiekrise Priorität einzuräumen. Durch die ohnehin knappen Kapazitäten, dürfte das die Lage auf den Bahntrassen weiter belasten.
Und auch eine Entspannung durch die Verlagerung auf Lkw scheint nicht in Sicht. Zwar erklärten einige Chemiefirmen auf Anfrage, sie hätten sich Kapazitäten im Straßengüterverkehr gesichert. Da ein Truck aber bestenfalls 25 Tonnen Ladung transportieren kann, wären mindestens 120 Lkw nötig, um ein einzelnes 3000-Tonnen-Frachtschiff zu ersetzen.
Eine Mitschuld tragen auch die ehemalige und die aktuelle Bundesregierung. Die Große Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel und dem damaligen Vizekanzler Olaf Scholz hatte nach dem verheerenden Niedrigwasser 2018 einen 260 Millionen Euro schweren Acht-Punkte-Plan vorgestellt, um die akutesten Hindernisse auf deutschen Wasserstraßen zu beseitigen. Einer der Hauptantreiber: der damalige rheinland-pfälzische Landesverkehrsminister und heutige Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP).
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Geschehen ist bislang eher wenig. „Die beschlossenen Maßnahmen wurden nur einseitig von den Unternehmen durchgeführt“, klagt ein Vertreter der Stahlindustrie. Auch HGK-Chef Bauer kritisiert: „Eine geplante Vertiefung des Mittelrheins wurde bisher noch nicht umgesetzt.“
Unter den Versäumnissen leidet vor allem die Energieversorgung. So gefährdet der niedrige Rheinpegel den Kohlenachschub des Düsseldorfer Kraftwerksbetreibers Uniper, der Engpässe in der Anlage Staudinger 5 im hessischen Großkrotzenburg und im Block Datteln 4 fürchtet.
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Zuletzt war es im Hitzesommer 2018 zu teilweise größeren Kraftwerksdrosselungen gekommen. Damals musste der Essener Kraftwerksbetreiber Steag die Leistung seines Steinkohlekraftwerks in Bergkamen im Ruhrgebiet herunterfahren. EnBW musste ein Dampfkraftwerk vollständig abstellen.
Der baden-württembergische Versorger bezeichnet die aktuelle Situation als „angespannt“. EnBW stehe in engem Kontakt mit der Bahn, um mögliche Alternativen auszuloten. Aber die Möglichkeiten seien begrenzt.
Beim Essener Steinkohlekonzern Steag sei die Situation dank voller Lager zwar noch entspannt, die Versorgung sei gesichert. Sollten die Pegelstände jedoch weiter sinken, „könnte dies auch bei unseren Anlagen zu gewissen Leistungseinschränkungen führen“, sagte ein Steag-Sprecher.
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Doch Meteorologe Robin Girmes warnt: „Die Situation ist jetzt aber schon deutlich extremer als 2018.“ Der Chef der Wetteragentur Energy Weather betont: „Die Böden sind sehr trocken, da helfen ein paar Tage Regen nicht.“ Entspannung ist laut dem Experten erst einmal nicht in Sicht. Die Situation könne sich schlimmstenfalls sogar bis in das vierte Quartal hineinziehen.
Der Industriekonzern Thyssen-Krupp sieht seine Materialversorgung trotz Niedrigwassers vorerst gesichert, ein Krisenstab beobachte die Entwicklung täglich. Thyssen-Krupp ist mit dem Stahlwerk in Duisburg auf den Rhein als Verkehrsweg angewiesen. Die riesigen Rohstoffmengen für die Stahlproduktion lassen sich weder auf die Schiene noch auf die Straße verlagern.
Anders sieht es bei BASF aus, deren Ludwigshafener Werk hinter dem besonders flachen Flussabschnitt bei Kaub liegt. Derzeit sei die Produktion zwar noch nicht beeinträchtigt. „Wir können aber für die nächsten Wochen Reduktionen in den Produktionsraten einzelner Anlagen nicht vollständig ausschließen“, sagte eine Sprecherin des Chemiekonzerns. Als Reaktion auf das Niedrigwasser 2018 hat BASF zwar ein spezielles Schiff mit hoher Tragfähigkeit bei geringerem Tiefgang entwickelt, dieses wird aber aktuell noch gebaut. Dafür sei im Moment ein anderes Spezialschiff in Betrieb, das BASF mit HGK entwickelt hat.
2018 hatte sich das Niedrigwasser des Rheins deutlich auf die Wirtschaft ausgewirkt. Stefan Kooths, Konjunkturchef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), sagt: „In der Spitze wurde die Industrieproduktion seinerzeit um etwa 1,5 Prozent gedrückt, auf Jahressicht dürfte das Niedrigwasser etwa 0,4 Prozent an Wirtschaftsleistung gekostet haben.“
Eine positive Nachricht gibt es jedoch im Vergleich zu 2018, auch wenn sie etwas zynisch klingt: Die damalige Situation sei allerdings nicht eins zu eins auf heute übertragbar. „Insbesondere war damals die Fallhöhe für die deutsche Industrieproduktion viel höher“, sagt Kooths. „Was wegen der bestehenden Lieferengpässe schon stillsteht, kommt durch die Folgen des Niedrigwassers nicht nochmals zum Erliegen.“
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