Das Digitalgeschäft in der Modebranche boomt. Aber H&M und andere Händler können ihre Lieferversprechen nicht einhalten. Nun versuchen sie gegenzusteuern.
H&M-Filiale
Die normale Lieferzeit des Online-Shops beträgt drei bis fünf Tage. Zurzeit kann es doppelt so lange dauern.
Bild: Reuters
Düsseldorf Die Wut der Kunden war enorm. Sie reichte von „Frechheit“ und „Ich bin stinksauer“ bis zu „Katastrophal lange Lieferzeit“. Der schwedische Textilriese H&M musste im Frühsommer einräumen, dass er die online bestellten Röcke, Tops und Jacken nicht so schnell ausliefern konnte wie versprochen.
Monate später ist das Problem immer noch nicht gelöst. In „letzter Zeit“ komme es „zu verlängerten Auslieferungszeiträumen“, teilte die Deutschland-Tochter des schwedischen Konzerns auf Nachfrage des Handelsblatts mit. „Die Bestellung erhält der Kunde derzeit spätestens nach sieben bis acht Werktagen“, räumten die Skandinavier ein.
Das ist deutlich länger als die übliche Lieferfrist: Die beträgt nur drei bis fünf Kalendertage. Die Dependance in Hamburg erklärt die Verzögerungen „mit einem erhöhten Bestellaufkommen für unseren Onlineshop Deutschland“.
Die Schwierigkeiten von H&M sind kein Einzelfall in der Modebranche. Auch die weltweite Nummer eins Amazon musste vor Kurzem die Lieferzeiten für ausgewählte Angebote anheben, um seine Kunden nicht zu verärgern. Produkte, die üblicherweise maximal nach zwei Tagen geliefert werden, brauchen nun zum Teil deutlich länger, bis sie beim Besteller ankommen.
„Viele Unternehmen haben Probleme, ihre Lieferkette an das schnell wachsende Onlinegeschäft anzupassen“, berichtet Sven Kromer, Geschäftsführer der Beratung Kurt Salmon, die zu Accenture gehört. „Gleichzeitig steigen die Erwartungen der Kunden, das bestellte Teil möglichst am nächsten Tag zu erhalten“, beschreibt Kromer den enormen Druck, der auf der Branche lastet.
Die Engpässe bestehen schon länger und werden vor allem im Hauptgeschäft der Branche zur Weihnachtszeit sichtbar. Da konnten im vergangenen Jahr nahezu 30 Prozent der befragten Händler ihre versprochene Lieferzeit nicht einhalten, stellt Accenture in einer Studie fest.
Das ist eine weitere Verschlechterung gegenüber dem Vorjahr, als 25 Prozent der Händler nicht so zügig liefern konnten wie versprochen. Kein Wunder, dass nach einer Umfrage des Händlerbundes unter Onlineanbietern die Zuverlässigkeit bei der Lieferung für 80 Prozent das zentrale Erfolgskriterium ist.
Da hakt es vor allem auf den letzten Metern bis zum Kunden. Dabei arbeiten schon zwei Drittel der Händler mit mehreren Versanddienstleistern zusammen. Auf Platz eins liegt mit großem Abstand DHL vor DPD und Hermes, ergibt die neueste Studie des Händlerbundes.
Doch auch das reicht nicht. Immer mehr Händler versuchen deshalb, den Weg vom Lager bis zum Käufer zu verkürzen. Der Hamburger Schuhfilialist Görtz kündigte vor Kurzem einen sogenannten Ship-from-Store-Service an. Das heißt, dass er die Schuhe, die im Onlineshop bestellt werden, nicht nur aus seinen Lagern an die Kunden liefert, sondern auch aus Geschäften vor Ort.
Der Moderiese und einstige Trendsetter H&M steckt seit Jahren in der Krise. Aus der soll den Schweden nun der Ausbau der Outlet-Kette Afound helfen.
„Dadurch verbessern wir online unsere Warenverfügbarkeit um ein Vielfaches und können dem Kunden schneller Waren anbieten und zusenden“, erklärte Görtz-Geschäftsführer Frank Revermann die Strategie.
Doch noch zu wenige Modehändler nutzen dies, um im Onlinegeschäft zu punkten. „Der stationäre Handel muss seine Lager besser mit seinen Läden vernetzen“, kritisiert Unternehmensberater Kromer. „Dann kann er seine Kunden schneller beliefern.“ Das ist umso wichtiger, als die großen Konkurrenten des stationären Handels, Onlinemodehäuser wie Zalando, verstärkt um die Einzelhändler werben, um sie einzuspannen.
„In den Metropolregionen nutzen wir Handelspartner und kleine Kurierbetriebe für die letzte Meile zum Kunden“, sagte Jan-Hendrik Bartels, Vice President Customer Fulfillment & Logistics bei Zalando, dem Handelsblatt. Denn die Kapazitäten von DHL und Hermes seien „zu vielen Zeiten am Limit“.
So versucht das Onlinemodehaus, kleinere Händler über das sogenannte GAX-System einzubinden. Da können die Händler bei jeder Onlinebestellung, die über Zalando läuft, entscheiden, ob sie die Auslieferung an den Kunden selbst übernehmen, falls sie das Produkt vorrätig haben. 180 Einzelhändler in Deutschland haben sich die dafür notwendige App schon heruntergeladen.
Noch enger arbeitet Zalando mit Marken wie Esprit und Tommy Hilfiger bei seinem Partnerprogramm zusammen. Insgesamt 50 Läden sind in einem Testbetrieb über ihre IT mit Zalando verbunden. Im Januar soll dann der Normalbetrieb starten.
Die Not des Onlinehandels bei der Zustellung sorgt für neue Ideen. So wollen der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland e.V. (bevh) und der Verband der Deutschen Briefumschlag-Industrie (VDBF) neue Wege gehen. Sie möchten dafür sorgen, dass leichtere und kleinere Produkte künftig nicht mehr über Paket-, sondern über Briefdienste geliefert werden können. Was klein und leicht genug ist, landet dann direkt im Briefkasten.
Dafür kommen nach einer Studie der internationalen Post Corporation 40 Prozent aller E-Commerce-Produkte infrage. Diese Quote liege derzeit in Deutschland noch deutlich unter 20 Prozent. „Der Warenbrief findet im E-Commerce viel Zuspruch“, weiß Martin Groß-Albenhausen, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des bevh.
Aber Experten sind skeptisch, ob die vielen neuen Lösungen schon im kommenden Advent helfen werden, um die Engpässe vom letzten Jahr zu beheben. „Das Weihnachtsgeschäft 2018 wird noch einmal sehr herausfordernd für das Onlinegeschäft der Modebranche“, sagt Kromer.
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