Die deutsche Thomas Cook hat alle für 2020 geplanten Reisen gecancelt. Die Finanzaufsicht fordert nun von Tui und Rewe einen besseren Reise-Versicherungsschutz.
Strandurlaub für Pauschaltouristen
Auch bei Tui und DER Touristik hält die Bafin Anzahlungen für mangelhaft gesichert.
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Düsseldorf Ende September verursachte die Pleite des Reisekonzerns Thomas Cook millionenschwere Ausfälle bei scheinbar versicherten Urlaubsanzahlungen. Der Vorgang schlug hohe Wellen – und trifft nun auch die beiden größten Wettbewerber.
Wie das Handelsblatt aus Kreisen des Bundestags erfuhr, erklärte die Bafin vor wenigen Tagen auch die Insolvenzabsicherung der Tui und der Rewe-Tochter DER Touristik für unzureichend.
Deutschlands oberste Finanzaufsicht habe die Unterversicherung von Thomas Cook zum Anlass genommen, weitere Reiseveranstalter unter die Lupe zu nehmen, bestätigte ein Sprecher. Darunter habe sich auch der Deutsche Reisepreis-Sicherungsverein (DRS) befunden, über den Tui, DER Touristik und die DB-Tochter Ameropa ihre Kundengelder absichern. Das Prüfungsergebnis wolle man „aufgrund von gesetzlichen Verschwiegenheitspflichten“ jedoch nicht kommentieren.
Die vollständige Absicherung von Anzahlungen ist für deutsche Pauschalreiseveranstalter Pflicht. Das bestimmt die 1990 erlassene „EU-Pauschalreiseverordnung“, die das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) 1994 in Paragraf 651 verankerte.
Demnach dürfen Pauschalreisen nur verkauft werden, wenn den Urlaubern vor Anzahlung ein Sicherungsschein ausgehändigt wird. Hinter diesem muss eine Versicherung oder bürgende Bank stehen, die einspringt, sobald ein gebuchter Leistungsträger wegen Insolvenz ausfällt.
Dass die Absicherung im Fall der Thomas-Cook-Töchter Neckermann, Öger und Bucher schiefging, lag an einer deutschen Spezialität. Um die Prämien möglichst gering zu halten, hatte die Bundesregierung die jährliche Haftungshöhe auf 110 Millionen Euro pro Versicherung gedeckelt.
Eine Unterversicherung wie im Fall von Thomas Cook nahm man billigend in Kauf. Schon jetzt hätten Kunden einen Schaden von insgesamt 250 Millionen Euro angemeldet, teilte der Cook-Versicherer Zurich mit. Nachdem Thomas Cook Deutschland am Dienstag bekanntgab, zum Jahreswechsel das komplette Geschäft einzustellen, könne die Summe noch erheblich steigen. Betroffen sind rund 660.000 Kunden, die Pauschalurlaube bei den Marken Neckermann, Öger, Bucher und Air Marin gebucht hatten.
Tui und die Rewe-Tochter DER Touristik („ITS“, „Meiers Weltreisen“, „Jahn Reisen“) gingen jedoch einen anderen Weg. 1994 gründeten sie einen „Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit“ (VVaG), unterstützt von der WestLB, die mehrere Jahre lang finanziell am Reisegeschäft von Tui und Rewe (damals Miteigentümerin von LTU) beteiligt war.
Das Gesellschaftsmodell des VVaG besitzt einen erheblichen Wettbewerbsvorteil: Statt über Prämienzahlungen ein teures Versicherungspolster zu schaffen, hafteten die beteiligten Unternehmen für den Fall einer Insolvenz gegenseitig. Obwohl im Ernstfall eine Summe von 110 Millionen Euro für Urlauber-Entschädigungen benötigt würde, wies der Kapitalbestand der DRS laut Creditreform zuletzt gerade einmal 5,3 Millionen Euro aus.
Auch Thomas Cook gehörte bis 2011 zu den Mitgliedern. Als der britische Mutterkonzern 2011/12 erstmals in eine schwere Finanzkrise stolperte, schied Europas zweitgrößter Reisekonzern aus dem Kreis aus. Mit Zurich Insurance fand man zwar einen externen Versicherer, dem ohnehin ertragsschwachen Reiseveranstalter aber bescherten die steigenden Versicherungsprämien danach einen Wettbewerbsnachteil.
Deutlich besser lief es beim DRS. Zwar verlor der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit 2012 durch das Ende der Düsseldorfer WestLB seinen mächtigen Finanzpartner, dennoch machten die im DRS verbündeten Reiseveranstalter unbehelligt weiter.
Durch die prominente Besetzung des Aufsichtsrats signalisierte er Seriosität: Der mächtige Deutsche Reiseverband (DRV) entsandte an dessen Spitze regelmäßig seine Präsidenten – auf Klaus Laepple und später Jürgen Büchy folgte 2014 Norbert Fiebig, der ihn bis heute führt.
Erst die Nachforschungen der Bafin im Anschluss an die Cook-Pleite bereiten dem Geschäftsmodell nun ein Ende. Die Aufsichtsbehörde nämlich hält diese Form der Risikoabsicherung für unzulässig, zudem reichten die Sicherheiten für den Ernstfall nicht aus.
Wie es nun beim DRS weitergehen soll, ist selbst Vorstand Lothar Sturm noch nicht klar. „Wir befinden uns dazu in enger Abstimmung mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und unseren Gremien“, erklärte er auf Anfrage. „In diesem Zusammenhang werden wir alle Möglichkeiten intensiv prüfen, auch die klassischen Instrumente des Rückversicherungsschutzes.“
Auch wenn Sturm die Konsequenzen noch nicht abschließend beurteilen will: Der geforderte Umbau des Geschäftsmodells wird unausweichlich dazu führen, dass die Pauschalreisen von Tui, DER Touristik oder Ameropa für Urlauber teurer werden – und das womöglich schon ab Anfang kommenden Jahres, wie es in Branchenkreisen heißt. Nach heutiger Rechnung träfe dies rund 30 Prozent des deutschen Geschäfts mit Pauschalreisen.
Die finanzstarken Konzerne dürften dabei kaum Probleme bekommen, einen neuen Versicherungspartner zu gewinnen. Anders als der Berliner Reiseveranstalter JT Touristik vor zwei Jahren: Der von Jasmin Taylor geführte Spezialist für Nahostreisen hatte damals Insolvenz beantragt, weil er nach dem Marktausstieg der Assekuranz Generali keinen Ersatz mehr fand.
Ungeklärt hingegen bleibt weiterhin, wie es mit der gesetzlichen Pauschalreise-Absicherung in Deutschland generell weitergeht. Noch vor wenigen Wochen, wenige Tage nach der Cook-Pleite, lehnte der Bundestag einen Vorstoß der Grünen-Fraktion um den Tourismusexperten Markus Tressel ab, die Haftungsgrenze zu erhöhen. Nun aber macht sich auch das Land Bayern dafür stark, „im Licht der Erkenntnisse aus der Thomas-Cook-Insolvenz“ die Absicherung deutlich zu verbessern.
Zuvor hatten sich das Bundesjustiz- und Verbraucherschutzministerium zwei Jahre damit beschäftigt, ein nach eigener Einschätzung „zeitintensiv angelegtes Forschungsvorhaben“ zu diesem Thema zu vergeben – was inzwischen gestoppt wurde.
Womöglich hätte dem zuständigen Staatssekretär Gerd Billen schon ein Blick in den Geschäftsbericht von Thomas Cook genügt. Dort wies der Reiseveranstalter zum Geschäftsjahresende Kundenanzahlungen von 1,39 Milliarden britischen Pfund aus, wovon knapp ein Drittel auf deutsche Urlauber entfiel. Schon eine Überschlagsrechnung hätte gezeigt, dass hier die Haftungsgrenze von 110 Millionen Euro zur Kundengeldabsicherung nicht ausreichte.
Weil es die Bundesregierung trotz Warnungen in all den Jahren versäumte, die EU-Pauschalreiserichtlinie in vollem Umfang umzusetzen, dürfte dies nun Konsequenzen für den Steuerzahler haben: Reiserechtsexperten wie der Kemptener Professor Ernst Führich glauben, dass die Bundesregierung für die verlorenen Zahlungen der Urlauber haftet.
Schon 1996 gab es dafür einen möglichen Präzedenzfall: Damals gab der Europäische Gerichtshof in Luxemburg fünf insolvenzgeschädigten Urlaubern recht, die gegen die Bundesregierung vor dem Bonner Landgericht geklagt hatten.
Sie alle waren 1993 der Pleite des Veranstalters MP Travel Line zum Opfer gefallen – jedoch nicht abgesichert, weil Deutschlands Regierung die EU-Richtlinie nicht fristgerecht umgesetzt hatte. Damals zahlte letztendlich der Steuerzahler.
Ein ähnliches Versäumnis könnten Kläger nun auch im Fall von Thomas Cook geltend machen.
Mehr: Das endgültige Aus von Thomas Cook trifft auch die einstige Tochter Condor. Doch für den deutschen Flieger gibt es Rettungspläne.
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