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26.02.2022

19:14

Pharmaforschung

Afrigen entwickelt einen eigenen Corona-Impfstoff für Afrika

Von: Wolfgang Drechsler

Afrika ist bei Impfstoffen gegen viele Krankheiten auf Importe angewiesen. Afrigen-Chefin Petro Terblanche will das ändern – doch sie kämpft gegen Widerstände.

Das 42-köpfige Forscherteam entwickelt einen Impfstoff, der besser für die Bedingungen in Entwicklungsländern geeignet sein soll. dpa

Impfstoffentwicklung bei Afrigen

Das 42-köpfige Forscherteam entwickelt einen Impfstoff, der besser für die Bedingungen in Entwicklungsländern geeignet sein soll.

Kapstadt Bei einem der wohl spektakulärsten Start-up Afrikas hätte man einen hipperen Auftritt erwartet. Doch Petro Terblanche, Chefin des Pharmaunternehmens Afrigen, empfängt ihre Besucher in einem schlichten Büro direkt neben dem Empfang der Firma.

Dabei liegt die Hoffnung eines ganzen Kontinents auf den Forschungen ihrer Firma. Gerade erst ist es Wissenschaftlern von Afrigen gelungen, in dem Kapstädter Industriepark Montague Gardens den Vorläufer eines mRNA-Impfstoffs zu entwickeln. Als Vorlage diente dem Unternehmen dabei öffentlich verfügbare „Open Source“-Technologie zum Vakzin des amerikanischen Moderna-Konzerns.

Das 2014 von zwei Amerikanern gegründete Start-up steht damit im Zentrum eines von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und einigen europäischen Regierungen, darunter auch Deutschland, unterstützten globalen „Technologie-Transfer-Zentrums“ für die mRNA-Impfstoff-Technologie. Mit der gewährten Hilfe sollen in Afrika künftig nicht nur die Vakzine internationaler Hersteller abgefüllt, sondern auch eigene Impfstoffe vor Ort erforscht, entwickelt und produziert werden.

Das Besondere: Das 42-köpfige Forscherteam von Afrigen entwickelt einen Impfstoff, der besser für die Bedingungen in Entwicklungsländern geeignet sein soll als die bisherigen Produkte. „Angesichts der Instabilität der mRNA-Vakzine, die eine extrem kühle Lagerung brauchen, soll unser Impfstoff bei Temperaturen von zwei bis acht Grad gelagert werden können“, sagt Terblanche.

Es ist ein vielversprechender Start, dem bald mehr folgen wird, verspricht die Unternehmenschefin. Zwar gibt es von dem neuen Impfstoff bislang nur wenige Mikroliter. Doch wenn alles nach Plan laufe, könne in zwei Jahren eine Zulassung erfolgen. Nebenher wird ihr Team künftig auch an einer Reihe weiterer Impfstoffe forschen, etwa gegen die weitverbreitete Tuberkulose, aber auch die alte Geißel Malaria, die allein in Afrika jedes Jahr rund eine halbe Million Menschen tötet.

Afrika ist fast komplett abhängig von Impfstoffeinfuhren

Für Terblanche erfüllt sich damit ein Lebenstraum. Die Farmerstochter und Pferdeliebhaberin wollte mit ihrer Arbeit immer schon einen „konkreten Unterschied“ machen, wie sagt – und nicht im Elfenbeinturm der Wissenschaft verharren.

Aufgewachsen in dem kleinen Ort Brits nahe der Landeshauptstadt Pretoria, wo ihr Vater Weizen und Soja anbaute, wollte sie zunächst selbst die Familienfarm übernehmen. Doch schon früh entdeckte sie eine große Liebe zur Naturwissenschaft. Mit 27 Jahren machte sie ihren Doktor an der Universität Pretoria und verbrachte 1989 ein prägendes Jahr an der US-Eliteuniversität Harvard.

Die Chefin des Start-ups will die fragilen Gesundheitssysteme Afrikas unabhängiger vom Rest der Welt machen. dpa

Petro Terblanche im Labor von Afrigen

Die Chefin des Start-ups will die fragilen Gesundheitssysteme Afrikas unabhängiger vom Rest der Welt machen.

Als besonders prägend beschreibt Terblanche ihre fast zehnjährige Tätigkeit beim Council for Scientific and Industrial Research, Südafrikas führender Technologie- und Wissenschaftseinrichtung, die damals noch außergewöhnliche Mittel in die Sichtung und Förderung naturwissenschaftlicher Talente steckte. Terblanche wurde dafür unter anderem an das renommierte MIT in Massachusetts geschickt.

Angesichts dieser internationalen Erfahrung weiß sie um die Größe, aber auch die Notwendigkeit der Aufgabe, Afrika und seine fragilen Gesundheitssysteme unabhängiger vom Rest der Welt zu machen. „Richtig integriert könnten Technologie-Transfer-Zentren die sozioökonomische Entwicklung des Kontinents enorm vorantreiben“, glaubt sie.

Wegen der eklatanten Vernachlässigung des Gesundheitswesens ist der Kontinent bislang fast vollständig auf Impfstoffeinfuhren aus Nordamerika, Europa und Asien angewiesen – egal, um welche Infektionskrankheit es sich handelt. Nur ein Prozent der in Afrika verabreichten Impfstoffe wird derzeit vor Ort hergestellt.

Erst zwölf Prozent der afrikanischen Bevölkerung sind vollständig geimpft

Entsprechend spät und langsam begann in Afrika die Impfkampagne gegen Corona. Nach den jüngsten Daten der Afrikanischen Union sind derzeit noch immer nur zwölf Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft. Selbst in Südafrika, dem einzigen Industrieland des Kontinents, ist es kaum ein Drittel der Menschen.

Und die Impfmüdigkeit steigt. Es könne deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass sich hier vielleicht doch noch mal eine neue und womöglich gefährlichere Coronavariante entwickelt, mahnt Terblanche, die sich im vergangenen Jahr mit der Delta-Variante infizierte.

Dabei sind Covidimpfstoffe nun oft, wie etwa in Kenia und Südafrika, sogar reichlich vorhanden. Doch auch Terblanche macht keinen Hehl daraus, dass nicht nur logistische Probleme für die geringe Impfquote verantwortlich seien. Vielerorts herrsche eine ausgeprägte Impfskepsis, weil Menschen Angst vor Nadeln und Spritzen hätten.

Zudem spielt der Aberglaube eine wichtige Rolle, weil dadurch Verschwörungstheorien zum Impfstoff Vorschub geleistet wird. Und schließlich sind in Afrika oft traditionelle Heiler die erste Anlaufstelle bei gesundheitlichen Problemen, was den Transfer westlicher Medizin zusätzlich erschwert.

Auch Biontech will in Afrika produzieren

Trotz dieser Hindernisse treiben sowohl Moderna als auch Biontech ihre Pläne zu einer eigenen Produktion auf dem Kontinent mit Nachdruck voran. Moderna hat erst im Oktober den Bau einer mRNA-Anlage in Afrika angekündigt, in der jährlich bis zu 500 Millionen Impfstoffdosen hergestellt werden sollen. Zeitgleich gab Biontech bekannt, eine erste Produktionsstätte für mRNA-basierte Impfstoffe zu planen.

Gegenwärtig hat es jedoch den Anschein, als wolle das Unternehmen Afrika dafür mit eigenen, in Marburg gebauten mobilen Containern ausstatten. Die schlüsselfertig gelieferte Container-Produktionsanlage würde zwar eine Herstellung von mRNA-Impfstoffen vor Ort erlauben, aber – anders als im Technologie-Hub von Kapstadt – wegen der mitgebrachten Expertise und der Kontrolle von außen womöglich weniger zur Ausbildung vor Ort beitragen.

Terblanche selbst gehört zu den eher vorsichtigen Kritikern des Vorgehens von Biontech, zumal sie nach eigener Aussage lieber mit dem deutschen Unternehmen kooperieren als Energien in einen Konkurrenzkampf stecken würde. Die WHO selbst pocht darauf, dass alle Beteiligten an einem Strang ziehen müssten.

WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus will zudem keine grundsätzliche Rivalität zwischen dem Technologie-Transfer-Zentrum und den Plänen von internationalen Konzernen wie Biontech mit eigenen, mobilen Produktionsstätten erkennen. „Wir brauchen beides, um die schlechte Gesundheitsversorgung in armen Ländern zu verbessern“, glaubt der Äthiopier.

Nach seiner Schätzung könnten, nicht zuletzt dank Start-ups wie Afrigen, schon in 20 Jahren bis zu 60 Prozent der in Afrika benötigten Impfstoffe aus eigener Produktion stammen – und den Kontinent damit bei künftigen Pandemien weit unabhängiger als bisher machen.

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