Die Lieferketten sind gestört, die Logistik kompliziert. Viele Firmen wollen darum die Produktion aus Asien zurückholen. Der Fahrradhersteller Woom zeigt, wie kompliziert das sein kann.
Kinderfahrradhersteller Woom
Die Fahrräder werden in Polen zusammengeschraubt. Doch die Komponenten kommen nach wie vor aus Asien.
Wien Wieder in Europa statt in Asien produzieren: Das sogenannte Reshoring war in der Pandemie nicht nur ein Schlagwort, sondern beim österreichischen Kinderfahrrad-Hersteller Woom auch ein konkretes Projekt. Das Management hatte gar Ambitionen, die weit über das eigene Unternehmen hinausreichten. Im Februar sprach das Management noch davon, mitten in Europa einen Fahrrad-Cluster aufzubauen. Aktuell ist das Zentrum der internationalen Fahrradfertigung in Taiwan.
Doch die Realität der globalen Produktion ist komplizierter, als es das Management von Woom in den vergangenen Monaten erwartet hat. Nach einem Blick in die Bücher wurde die Entscheidung mittlerweile revidiert: Vorläufig verlagert Woom die Produktion nur teilweise nach Europa. „Jede Zeit hat ihre Überreaktion“, sagt Woom-Finanzchef Paul Fattinger selbstkritisch zur Diskussion über die Globalisierung der Produktion und die Stabilität von Lieferketten.
Die 2013 gegründete Firma aus Klosterneuburg bei Wien war in der Pandemie noch rascher gewachsen als in den Jahren vorher. Im vergangenen Jahr erhöhte sich der Umsatz von 65 Millionen auf 86 Millionen Euro; mittlerweile beschäftigt Woom 237 Mitarbeiter. Bei gut situierten Eltern gehört es fast zum guten Ton, den Nachwuchs mit einem der verhältnismäßig teuren Woom-Räder auszustatten.
Gefertigt wurden diese bislang fast ausschließlich in Vietnam, Kambodscha und Bangladesch. Eine asiatische Spezialität ist etwa die Produktion von Rahmen, besonders seitdem diese aus Aluminium und Karbon statt aus Stahl bestehen. In Europa ist der Beruf des Aluminiumschweißers nahezu ausgestorben.
In der Pandemie erwies sich die Produktion in Asien allerdings als ein Nachteil. So schnellten etwa die Containerpreise derart in die Höhe, dass allein der Transport eines Fahrrads vorübergehend mehr kostete, als dessen Verkauf einbrachte.
Das bestärkte das Woom-Management damals in der Ansicht, die Fertigung neu zu organisieren. Die Produktionsstätten in Asien sollten weiterhin die Länder der Region beliefern, für die europäischen Märkte wurde Polen als neuer Fertigungsstandort auserkoren. Streng genommen plante Woom eine Art Mischung aus Reshoring und Nearshoring – die betriebswirtschaftlichen Überlegungen dahinter sind aber dieselben.
In Polen sind die Arbeitskosten allerdings rund viermal höher als in Vietnam. Würde Woom dort auf die gleiche Weise wie in Südostasien produzieren, ließen sich die Räder nicht zu konkurrenzfähigen Preisen verkaufen. Man werde alles automatisieren, was sich automatisieren lasse, kündigte der damalige Woom-Chef Guido Dohm deshalb vor einem Jahr an. In der Rahmenproduktion sollten in Polen ab 2023 ausschließlich Roboter zum Einsatz kommen.
Doch an diesem Plan hat Woom nun deutliche Änderungen vorgenommen. Die Firma lässt zwar mittlerweile Räder für den europäischen Markt in Polen zusammenbauen, nimmt dort also das sogenannte „Assembling“ vor. Entgegen den ursprünglichen Absichten bezieht man die Rahmen aber weiterhin aus Asien. Von einem mitteleuropäischen Fahrradcluster ist bei Woom keine Rede mehr.
„Die meisten Fahrradkomponenten kommen aus Asien“, sagt Fattinger. „Nur wegen uns ziehen die Produzenten nicht nach Europa.“ Die Investitionskosten für den Robotereinsatz erachtet Woom zudem als zu hoch: Zumal die Firma zwar weiterhin wächst, aber nach wie vor ein mittelständisches Unternehmen ist, das seine Investitionsentscheidungen genau abwägen muss.
Roboterhersteller sind derzeit auch nicht übermäßig erpicht darauf, verhältnismäßig kleine Firmen als Kunden zu pflegen. Ihre wichtigsten Abnehmer sind die großen Hersteller aus der Flugzeug- und Autoindustrie.
Während der Pandemie gingen deren Bestellungen zurück, und die Roboterproduzenten sahen sich nach neuen Kunden um. Sie begannen, sich auch für kleine Firmen als Abnehmer zu interessieren, erklärte der damalige Woom-Chef Dohm, der das Unternehmen mittlerweile verlassen hat, noch vor einem Jahr. Mit dem Aufschwung nach der Pandemie müssen Kunden mit kleineren Auftragsvolumen nun aber wieder ins zweite Glied zurücktreten.
Auch sonst haben sich die Umstände verändert. So funktionierten die Lieferketten wieder zuverlässiger als während der Pandemie, sagt Fattinger. Zwar seien die Transportkosten weiterhin hoch. „Aber man sollte keinen Business-Case nur auf Containerpreise ausrichten“, meint der Woom-Finanzchef.
Zumal das Geschäftsumfeld in Europa unsicherer geworden sei, konstatiert Fattinger. Die Energiepreise beispielsweise sind in die Höhe geschnellt, weil aus Russland nicht mehr so viel Gas in den Westen fließt wie vor dem Ukrainekrieg. Die Logistik kann also auch dann ins Stocken geraten, wenn die Transportwege kürzer sind als jene, die Südostasien mit Zentraleuropa verbinden.
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„Die Risikoeinschätzungen der Unternehmen haben sich jüngst wieder verschoben“, sagt Jan Grumiller, Professor an der Fachhochschule Krems in Österreich. Investitionen seien langfristig ausgerichtet, die Pandemie, welche die Diskussion um das Reshoring verstärkt habe, sei für die Unternehmen aber eine mehr kurz- bis mittelfristige Angelegenheit gewesen.
Das gilt auch für Woom: Die Pandemie hat die Nachfrage nach den Fahrrädern befeuert, mittlerweile hat sich die Lage wieder normalisiert. Das mindert auch die Dringlichkeit, die Produktion umzukrempeln.
Ein Zauberwort aus Pandemiezeiten hat aber überlebt: die Resilienz. Firmen eifern diesem Prinzip aber nicht blindlings nach, indem sie die Produktion auf den vermeintlich sicheren alten Kontinent verlagern. Stattdessen haben sie laut Grumiller die Lagerhaltung und die Zahl der Lieferanten erhöht. Auch Woom stützt sich heute auf mehr Komponentenhersteller als früher.
Trotzdem hat Woom die Idee, die Produktion zu regionalisieren, nicht aufgegeben, auch aus Gründen der Nachhaltigkeit. „Die Frage ist allerdings, wie rasch und in welchem Ausmaß dies erfolgen soll“, sagt Finanzchef Fattinger.
Reshoring oder Nearshoring sind dagegen definitiv Themen, wenn es um die Versorgungssicherheit des Staates geht. Die USA etwa haben 2021 unter Präsident Joe Biden das Programm „US Supply Chain Strategy“ lanciert, um sie in ausgewählten Bereichen zu gewährleisten.
Besonderes Augenmerk richtet die Regierung auf Halbleiter, gewisse Metalle, Batterien für die E-Mobilität und Wirkstoffe für Medikamente. Hier wollen die USA international nicht nur mit verlässlichen Partnern kooperieren; angedacht ist auch, die heimische Produktion auszubauen und dafür in die Ausbildung der Arbeitskräfte zu investieren.
Doch das sind politisch ausgerichtete Initiativen. Firmen entscheiden aber schwergewichtig nach ökonomischen Prinzipien, wo und wie sie produzieren. Grumiller nennt dies das „marktgetriebene Reshoring“. „Hier wird es definitiv keine große Welle geben“, sagt der Wissenschaftler.
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