PremiumSaliha Özcan aus Baden hat mit Backvideos ein florierendes E-Commerce-Unternehmen aufgebaut. Nun interessiert sich Netflix für die Erfolgsstory im „Sallycon Valley“.
Sallys Welt Flagship-Store in Mannheim
„Das Besondere an Sally ist, dass sie diverse Kanäle beherrscht - digital wie analog“, sagt Jan Bechler, Experte für Digital-Marketing.
Bild: Sallys Welt
Waghäusel Das Städtchen Waghäusel zwischen Karlsruhe und Mannheim kennen die wenigsten. Trotzdem pilgern Bosse aus dem Silicon Valley und deutsche Topmanager hierher ins „Sallycon Valley“. Sie alle wollen von Saliha „Sally“ Özcan lernen. Die Grundschullehrerin mit türkischen Wurzeln hat mit ihrem Mann Murat ein erfolgreiches mittelständisches Unternehmen aufgebaut – mitten in der Provinz und allein über Social Media.
„Sallys Welt“ beschäftigt heute 145 Mitarbeiter. Die Firma macht einen mittleren zweistelligen Millionenumsatz mit Backzutaten, Haushaltshelfern, Mode und Gartenzubehör. Die Produkte werden überwiegend selbst entwickelt und im eigenen Webshop verkauft. „In diesem Jahr wollen wir unseren Umsatz verdoppeln“, kündigt Murat Özcan selbstbewusst an. Backzutaten von Sally sind bereits bei Lidl im Sortiment. Nun wollen die Özcans noch stärker in den Lebensmittelhandel gehen. „Sally ist der neue Dr. Oetker“, ist zumindest ihr Ehemann überzeugt – der strategische Kopf von „Sallys Welt“.
Alles begann 2012, als die junge Referendarin ein Video auf Youtube hochlud, in dem sie einen Nusszopf backte. Nach ihrem Sieg bei der TV-Kochshow „Topfgeldjäger“ wuchs die Fangemeinde. „Aus meinem Hobby wurde ein Geschäftsmodell“, erzählt Sally in ihrer Show-Küche. Dort hat sie gerade mit ihrem Kameramann ein Backvideo für Brombeer-Crumble abgedreht. Die 34-Jährige muss derzeit vorarbeiten, denn ab 17. Februar tanzt sie als Promi in der RTL-Show „Let’s Dance“.
Die zweifache Mutter – Markenzeichen Karohemd und Strahlelächeln – gilt als erfolgreichste Food-Creatorin Deutschlands. Das Wort „Influencer“ verabscheut sie. Sally filmt nicht nur Rezepte – rund 2500 Eigenkreationen –, sie lässt ihre Community am Familienleben teilhaben. Anschaulich löst sie Alltagsfragen: Wie reinige ich die Spülmaschine? Womit beschäftige ich meine Kinder? Wie baue ich ein Hochbeet?
„Ich bringe Menschen etwas bei – statt im Klassenzimmer im digitalen Raum“, sagt die Goldene-Kamera-Preisträgerin, die den Lehrberuf sausen ließ. „Ohne Murat hätte ich nicht den Mut zur Selbstständigkeit gehabt“, räumt sie ein. Ihren Mann beschreibt sie als „chaotischen Visionär“.
Sally Özcan
„Aus meinem Hobby Backen wurde ein Geschäftsmodell“, sagt Unternehmerin Saliha Özcan. Inzwischen beschäftigt sie 145 Mitarbeiter.
Bild: Sallys Welt
„Sallys Welt ist eine absolute Erfolgsgeschichte. Best Practice für das Verschmelzen von Social Media und E-Commerce“, meint Jan Bechler, Geschäftsführer von Finc3. Die E-Commerce-Beratung hilft Markenartiklern beim Direktkundengeschäft.
>> Lesen Sie hier: Darum tun sich Konzerne mit digitalen Marken so schwer
Bechler sieht Sallys Welt als „perfekte Mischung aus modernem Medien- und Handelsunternehmen“. Sally sei es gelungen, eine starke Marke mit hoher Glaubwürdigkeit aufzubauen. Ihre Fangemeinde, die Stunden für Autogramme ansteht, geht quer durch alle Altersgruppen. Sallys Erklärvideos haben bis zu zwölf Millionen Ansichten auf Youtube im Monat, rund 22 Millionen auf Pinterest, über 30 Millionen Ansichten auf Facebook und noch mehr auf Instagram.
Genauso ist Sally in Fernsehen und Magazinen präsent. Den wöchentlichen Podcast von Sally und Murat hören über 100.000 Abonnenten. In der Pandemie eröffnete das Paar in Mannheim einen Flagship-Store, der vom Handelsverband HDE prämiert wurde. „Das Besondere an Sally ist, dass sie diverse Kanäle beherrscht – digital wie analog“, sagt Bechler. Sie müsse sich ihren Traffic im Webshop nicht teuer über Google oder Instagram erkaufen wie E-Commerce-Wettbewerber.
Hinzu kommt: „Durch unseren Webshop und die Sally-App sind wir weitgehend unabhängig von Produktkooperationen und Social-Media-Plattformen mit wechselnden Algorithmen“, betont Sally Özcan. Zwar wirbt auch sie regelmäßig etwa für Küchenmaschinen, Nobilia-Küchen, Lidl oder Ferrero. „Anders als die meisten Influencer ist Sally aber nicht abhängig von solchen Kooperationen“, so Bechler. Haupteinnahmequelle ist der Verkauf eigener Produkte im Sally-Webshop. „Das bringt natürlich viel höhere Marge.“
Sally und Murat Özcan
„Aus meinem Hobby wurde ein Geschäftsmodell“, sagt Deutschlands erfolgreichste Food-Creatorin, die mit ihrem Mann ein E-Commerce-Unternehmen aufgebaut hat.
Bild: Sallys Welt
Das Erfolgsrezept von Sallys Welt? „Schnelligkeit und kurze Wege“, meint Murat Özcan. „Früher brauchte ein Trend fünf Jahre von den USA nach Europa. Heute ist er über Social Media sofort hier.“ Traditionelle Unternehmen bräuchten oft ein halbes Jahr, um einen Trend aufzunehmen. Dann sei er fast wieder vorbei. Bechlers Fazit: „Für etablierte Marken ist Sally ein ernst zu nehmender Wettbewerber.“
Im Sallycon Valley ist auf 4700 Quadratmetern alles unter einem Dach – Marketing, Produktentwicklung und Wohnhaus. In der Küche und im Fotostudio nebenan entsteht der Content. Einen Stock höher werden die Bilder, angepasst an die jeweiligen Kanäle, publiziert.
Ein Mitarbeiter entwirft am PC gerade eine gusseiserne Pfanne. Die Gießerei in der Türkei hat wegen Sally sogar angebaut. 60 Prozent der Produkte stammen Özcans zufolge jedoch aus der Region. Das Mehl etwa kommt aus einer Mühle im Odenwald, die von zwei auf zehn Beschäftigte aufstocken musste.
Richtige Produktflops gab es Özcans zufolge nicht. „Sally fragt vorher ihre Community, ob sie einen Topf in Rot oder in Gelb möchten“, erklärt ihr Mann. „In nur einer Stunde antworten 100.000 Menschen. Das ist besser als teure Marktforschung.“
Wichtig sei es, Dinge zu emotionalisieren. Die Töpfe etwa tragen Vornamen der Familie. „Produkte brauchen ein Gesicht dahinter. Wir zeigen auch die Leute, die sie herstellen“, so Murat Özcan. Sein Fazit: Eine Marke aufzubauen sei heute so einfach wie nie. Da erstaunt es, dass die digitale Sally einen über 400-seitigen Katalog druckt. Dort erzählt sie Geschichten rund um ihre 2500 Produkte. „Es war der größte Fehler von Otto und Ikea, den Katalog einzustellen“, meint sie. Katalognutzer bestellten deutlich mehr als Onlinekunden.
Sallys Welt war von Anfang an profitabel und eigenfinanziert, betont Murat Özcan. „Wir wollen keine Investoren.“ Nach dem Coronaboom spürte aber auch Sally Kaufzurückhaltung infolge der Inflation. „Trotzdem konnten wir unseren Umsatz stabil halten.“ Die D2C-Branche hingegen büßte 4,7 Prozent ein, ermittelte der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel.
Für Youtube ist die Jungunternehmerin aus der deutschen Provinz ein Vorzeigebeispiel. Murat Özcan spielt ein Video vor, in dem Robert Kyncel, bis Dezember operativer Chef von Youtube, Sally zum Zehnjährigen gratulierte: „Du hast ein unglaubliches Imperium aufgebaut. Youtube ist wahnsinnig stolz darauf, wie du der Welt zeigst, was von Waghäusel aus möglich ist.“
Sallycon Valley in Waghäusel
Die Zentrale von Sallys Welt. Hier entstehen die Videos und Produktideen.
Bild: Sallys Welt
Weggehen aus der Provinz? Für die Familie unvorstellbar: „Wir sind Heimscheißer“, sagt der gebürtige Balinger Murat Özcan, der alle Klischees eines Schwaben erfüllt: bodenständig, sparsam, fleißig. In Waghäusel haben Özcans große Pläne: Sie träumen von „Sallycon City“ auf dem Acker nebenan.
Murat Özcan zeigt Skizzen einer klimaneutralen Einkaufsstadt – mit Läden von Sallys Welt, ihrer Mode- und Gartenmarke, einem Bildungscampus und kostenlosen Hotel für ihre Werkstudenten. „Das würde Arbeitsplätze schaffen und wäre ein Touristenmagnet“, glaubt er. „In den USA würden sie uns den Teppich ausrollen für so ein Projekt.“
Auch Experte Bechler ist überzeugt: „Wäre Sally nicht auf den deutschsprachigen Raum begrenzt, hätte sie längst ein Milliarden-Unternehmen.“ Netflix ist bereits in Gesprächen über eine Serie rund ums Sallycon Valley.
Erstpublikation am 03.02.2023, 15:39 Uhr.
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×