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12.07.2022

04:00

Modetextilien sollen mit grünen Fasern klimafreundlich werden.

Serie: Grüner Umbruch

Modetextilien sollen mit grünen Fasern klimafreundlich werden.

Serie: Grüner Umbruch

Baumfaser statt Baumwolle: Grüne Textilien im Kampf gegen den Klimawandel

Von: Melanie Raidl

Die Textilindustrie verursacht mehr CO2-Emissionen als Luft- und Schifffahrt zusammen – ein wesentlicher Klima-Faktor. Unternehmen wie Lenzing gehen mit Innovation dagegen an.

Wien Wenn im kleinen Ort Lenzing in Oberösterreich unter ohrenbetäubendem Lärm lange Holzblöcke zu Schnipseln zerkleinert werden, ist nicht direkt ersichtlich, dass hier gerade Werkstoffe für Hemden, Hosen und Pullover entstehen. Die Lenzing Gruppe, die heißt wie ihr Standort, stapelt auf dem Werkgelände tonnenweise des nachwachsenden Rohstoffs. Und alle werden hier letztlich zu einem verarbeitet: Garn.

Riesige Stapler fahren das Holz über das weitläufige Werksgelände. Arbeiter mit Gehörschutz überwachen, wie die Baumstücke von maschinellen Beilen immer kleiner zerteilt werden. Aus diesem Häcksel wird in einer Halle die Zellulose gelöst. Und aus der wird gesponnen. Tencel nennt das Unternehmen die Textilfaser, die eine klimafreundlichere Alternative zu Polyester und Baumwolle sein soll. Lyocell lautet der Oberbegriff.

100 Millionen Tonnen Fasern werden weltweit pro Jahr hergestellt, eine Million davon ungefähr bei Lenzing. Ein noch zu kleiner Anteil, sagt Unternehmenschef Stephan Sielaff. „Die Zellulosefaser ist die Faser-Gruppe, die am schnellsten wächst. Deswegen wollen auch wir mit unserer Produktion wachsen.“ Lösungsansätze für die Textilindustrie und den zu schnellen Kleiderkonsum sind essenziell für den Kampf gegen den Klimawandel.

Die Branche produziert reichlich Masse, die oft schnell wieder im Müll landet. Dieses Modell, getragen von internationalen Konzernketten, verursacht mehr Treibhausgase als Luft- und Schifffahrt zusammen, berechnete die Ellen McArthur Foundation. Sie spricht von insgesamt vier Milliarden Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr.

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Weltweit macht das acht Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes aus. Textilien sind darüber hinaus für 35 Prozent des gesamten Mikroplastiks im Ozean verantwortlich und verursachen jährlich 92 Millionen Tonnen Abfall. Hinzu kommen teils giftige Chemikalien, die für die Herstellung verwendet werden und danach im Abwasser landen. Bisher wird außerdem nur ein Anteil von etwa einem Prozent Altkleider recycelt. Kleiderberge werden häufig einfach verbrannt.

Etwa 65 Prozent aller Textilfasern weltweit bestehen aus synthetischen Fasern, also Plastik. Laut Ellen-McArthur-Stiftung wurden seit dem Jahr 2015 für die Herstellung dieser Fasern etwa 98 Millionen Tonnen Öl verbraucht, bis 2030 sollen es demnach sogar 300 Millionen Tonnen sein.

Nachhaltig hergestellte Fasern für Kleidung, wie Lenzing sie vermarktet, machen bisher weniger als zehn Prozent im globalen Textilmarkt aus. Häufig werden für nachhaltig hergestellte Kunststofffasern alte PET-Flaschen verwendet – Kritiker bemängeln, dass damit wiederum dem Recycling der Textilien selbst nicht geholfen wird.

Schadstoff als Rohstoff verwenden

Mit den holzbasierten Spezialfasern will Lenzing eine skalierbare Alternative zu ölbasierten Kunststofffasern schaffen. Dieses Jahr eröffnete das Unternehmen eine Produktionsstätte in Thailand, die mit einer Kapazität von 100.000 Tonnen biologisch abbaubare Fasern herstellen soll. Laut Chef Sielaff steigt die Nachfrage nach umweltfreundlichen Spezialfasern kontinuierlich, bis 2024 will die Firma 75 Prozent des Faserumsatzes mit ökologischen Fasern erzielen.

Auch in Thailand wird aus dem Holz der Zellstoff entzogen und als Grundstoff für die Textilfasern verwendet. Die Chemikalie, genannt NMMO, mit der der Zellstoff dann aufgelöst wird, kann laut Lenzing wiederverwendet werden. „So tragen wir dazu bei, dass der Materialkreislauf geschlossen wird“, sagt Sielaff. Dann wird eine Honig ähnelnde Paste durch Düsen mit mehr als 100.000 Löchern gepresst, woraus die Fasern entstehen. „Würden Sie die Fasern nehmen, und im Garten verbuddeln, sind diese irgendwann weg“, sagt Sielaff. Biologisch abgebaut. „Ganz anders als bei Polyester zum Beispiel.“

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Ein Kilo Lyocell-Faser von Lenzing kostet laut Vorstandsvorsitzenden weniger als fünf Euro: „Der Kunde merkt den Unterschied nicht, da geht es nur um Centbeträge.“ Derzeit verwenden mehr als 200 Marken die Faser von Lenzing, darunter Esprit, Asos, Armed Angels, Levi’s und New Balance.

Etwa 70 Prozent der CO2-Emissionen bei der Kleidungsproduktion entstehen beim Grundstoff. Karl-Hendrik Magnus, Leiter der Apparel, Fashion and Luxury Group bei der Unternehmensberatung McKinsey, sieht daher einen Umbruch bei vielen Modemarken. „Zellulosefasern haben ein großes Wachstumspotenzial“, sagt Magnus, „sie bieten einen besseren ökologischen Fußabdruck als Baumwolle und können bei Skalierung sogar günstiger sein.“

Eine Herausforderung liege in der Kundenakzeptanz im Vergleich zur Baumwolle, da sich viele Fasern anders, oft ungewohnt anfühlten. Er schätzt, Rohmaterial für diese Fasern werde in Zukunft eine Mischung aus nachhaltig angepflanztem Holz und zunehmend recycelten Fasern sein.

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Auch andere Methoden sind vielversprechend. Der Dax-Konzern Covestro hat mit der RWTH Aachen Universität in einem Forschungsprojekt eine Textilfaser entwickelt, mit der Erdöl als Basis teilweise ersetzt werden kann und ein geschlossener Materialkreislauf entstehen kann. Sie entwickelten ein Verfahren, um das klimaschädliche Treibhausgas CO2 direkt als Rohstoff zu verwenden und in einem chemischen Prozess umzuwandeln.

Aus CO2 wird demnach Polyurethan, welches in einem sogenannten Schmelzspinnverfahren zu feinen Fäden gepresst wird und dann zu Garn verarbeitet wird. Laut Covestro kommt man beim Spinnen außerdem ohne chemische Lösungsmittel aus. Der Modekonzern Zara hat dieses Jahr eine Kollektion mit Garn herausgebracht, welches CO2 beinhaltet.

Baumwolle aus Baumwollabfällen

Das finnische Unternehmen Infinited Fiber Company wiederum stellt Fasern aus Baumwoll-Textilabfällen her. Großunternehmen wie Zalando, Adidas, Tommy Hilfiger und H&M haben bereits Verpflichtungen mit dem Start-up vereinbart, deren Materialien zu kaufen. Das Unternehmen baut gerade eine skalierbare Fabrik in der Region Lappland, wo die Produktion bis 2025 voll aufgenommen werden soll.

Eines der größten Probleme in der Textilbranche sei, dass zu wenig recycelt wird, sagt Experte Magnus. Das liege nicht daran, dass es keine technologischen Möglichkeiten gebe: „Es gibt noch viele Herausforderungen beim Sammeln und Aufbereiten der Altbekleidung.“ Das liege an den fragmentierten, kleinteiligen Strukturen und den „noch meist manuellen Arbeitsvorgängen, denn es müssen Kleidungsabfälle nach Qualitätskriterien sortiert, Knöpfe und Reißverschlüsse entfernt und Faserzusammensetzungen eindeutig identifiziert werden.“

Weitere Teile der Serie „Grüner Umbruch“

Doch auch für dieses Problem gibt es Lösungsansätze. Der Konzern VF, zu dem die Marken The North Face, Vans, Timberland und Eastpak gehören, startete zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, der H&M Foundation und dem Hong Kong Research Institute for Textiles and Apparel ein Projekt namens Green Machine. In Kambodscha erforscht das Konsortium, wie Kleidungsstücke, die aus Baumwolle und Polyester bestehen, umweltfreundlich getrennt und recycelt werden können.

VF selbst beschäftigt 70.000 Arbeiter in Kambodscha für die Textilproduktion, mehr als 20 Millionen Kleidungsstücke kommen aus ihren Werken dort, sagt deren Nachhaltigkeitsbeauftragter David Quass. „Wir wollten herausfinden, wie wir an dem Standort Kreisläufe etablieren können mit den Materialien in den Produktionsstätten“, sagt Quass.

Weniger wegwerfen hilft bereits

In einer bestehenden Produktionsanlage in Kambodscha haben die Teilnehmer der Green Machine ein Labor eingerichtet, wo sie untersuchen, welcher Prozess die zwei Materialien am besten trennen kann. „Wir arbeiten mit einem Zusammenspiel aus Wasser, Temperatur und biologisch abbaubaren Chemikalien, was den Stoffmix auseinanderdividieren soll“, sagt Quass. Danach soll noch getestet werden, ob der recycelte Polyester auch die gleiche Qualität hat wie frischer Kunststoff. Dieses soll dann, sagt Quass, gleich für die Produktion weiterverwendet werden, die ausgelöste Baumwolle hingegen in Kooperationen an die Landwirtschaft als Düngemittel weitergegeben werden.

Burcu Gözet, Forscherin für Kreislaufwirtschaft am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie weist darauf hin, dass die Fasertrennung unter dem derzeitigen technologischen Stand oft mit hohen Qualitätseinbußen einhergeht: „Fasern können derzeit oft nur noch einem ,Downcycling‘-Prozess zugeführt werden.“

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Vor allem die Digitalisierung entlang der Wertschöpfungskette könnte hier Vorteile bieten, sagt sie. „Ein digitaler Produktpass könnte relevante Informationen zu den Bestandteilen wie Fasernmix und Chemikalien bereitstellen, wodurch eine automatisierte und zielgenauere Sortierung erreicht werden könnte.“ Dies könnte das Recycling letztendlich vereinfachen.

Abgesehen von innovativen Fasern, die erst skaliert werden müssen, gibt es auch andere Bestrebungen in der Textilbranche. Secondhand, Mode zum Vermieten und Reparaturstätten für Kleidung werden immer beliebter. Momox, Secondhand-Onlineshop für Kleidung, wuchs im vergangenen Jahr um etwa 50 Prozent und machte ein Umsatzplus von 62 Millionen Euro. Bis 2025 wird laut Statista ein Umsatzpotenzial von 2,2 Billionen US-Dollar im Markt für Secondhandmode prognostiziert.

Adriana Neligan, Nachhaltigkeitsexpertin des IW Köln, erklärt, der Kreislauf des umweltschädlichen Fast Fashion könne recht einfach von jedem Einzelnen durchbrochen werden, auch bevor alle Innovationen marktreif sind. „Konsumenten können ihren Beitrag leisten, indem sie bewusster einkaufen, nachhaltige oder qualitativ hochwertige Kleidungsstücke, die länger genutzt werden können oder Secondhandkleidung sowohl ein- als auch verkaufen.“

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