Die steigenden Kosten für Gas und Strom erhöhen den Druck auf die Branche. Die Hersteller setzen sich strengere Ziele. Doch wenige haben bereits ein Klimaschutzkonzept.
Lidl Filiale
Immer mehr Händler setzen im großen Stil auf Solaranlagen wie die Schwarz-Gruppe, die bis 2025 rund 5000 Photovoltaikanlagen auf ihren Supermarktfilialen installiert haben will.
Bild: PR
Düsseldorf Viele Bäcker klagen, dass ihnen wegen steigender Energiekosten die Pleite droht. Für Roland Schüren ist das kein Thema: Seine Bäckerei in Haan im Rheinland versorgt sich selbst mit Energie.
Schon 2010 stellte der Unternehmer die Energieversorgung seiner Backstube von Gas auf die Nutzung von Altbrot und Pellets um. So konnte er den Energieverbrauch halbieren und den CO2-Ausstoß in der Backstube um 90 Prozent auf nur noch 24 Tonnen jährlich reduzieren. Ein Jahr später baute Schüren die erste Photovoltaikanlage aufs Dach und begann, Auslieferungsfahrzeuge mit Elektroantrieb anzuschaffen.
Ladepark an der Bäckerei Schüren
Mittlerweile stößt Bäcker Schüren kein CO2 aus – bis auf einen minimalen Restwert, den er über Zertifikate ausgleicht.
Bild: IMAGO/Cord
„Wir wollten zeigen, dass es trotz Wirtschaftswachstum möglich ist, die Umwelt zu schonen“, sagt er. Mittlerweile stößt sein Unternehmen kein CO2 aus – bis auf einen minimalen Restwert, den Schüren über Zertifikate ausgleicht.
Auch wenn erst wenige andere Händler klimaneutral sind, wächst in der Branche das Bewusstsein für die Bedeutung des Klimaschutzes. Vielen wird immer stärker klar, dass Klimaschutz auch zur Überlebensfrage wird.
Nach einer Studie des Handelsverbands HDE haben 93 Prozent der Unternehmen in den vergangenen fünf Jahren mindestens eine Energiesparmaßnahme umgesetzt. „Für viele Handelsunternehmen sind die hohen Energiekosten existenzbedrohend“, sagt Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des HDE. Viele Händler setzten sich das „ambitionierte Ziel der Klimaneutralität“.
Das bestätigt auch Sven Wiechert vom Beratungsunternehmen Climate Partner, der Einblick in zahlreiche Branchen hat: „Der Handel ist in Bezug auf Klimaschutz bereits sehr aktiv.“
Zwar haben die wenigsten Händler eine eigene Produktion, doch der Einzelhandel in Deutschland ist mit seinen mehr als 500.000 Verkaufsstellen durchaus ein relevanter CO2-Verursacher. Nach Berechnungen des Fraunhofer-Instituts verbraucht der Handel pro Jahr Energie im Volumen von 33,3 Terawattstunden und stößt dabei 10,5 Millionen Tonnen CO2 aus.
Bei den meisten Handelsunternehmen sind bisher die Kosten der treibende Faktor, deshalb steht in erster Linie das Energiemanagement im Fokus, und das durchaus mit Erfolg.
So konnte der Lebensmittelhandel seinen durchschnittlichen Stromverbrauch pro Quadratmeter Verkaufsfläche seit 2016 von 330 auf 308 Kilowattstunden reduzieren, wie das Handelsforschungsinstitut EHI ermittelt hat. Dabei standen die Umrüstung auf LED-Lampen und die Modernisierung der Kältetechnik im Vordergrund.
Auch beim Heizen achten viele Händler auf die Umwelt: So kommen bereits 29 Prozent der Wärmeenergie aus der Abwärme der Anlagen. Immer mehr Händler setzen im großen Stil auf Solaranlagen. Die Schwarz Gruppe (Lidl, Kaufland) beispielsweise will bis 2025 rund 5000 Photovoltaikanlagen auf den Gebäuden installiert haben.
Doch auch wenn etliche Unternehmen Energiesparmaßnahmen umsetzen, haben nur wenige bereits ein echtes Klimaschutzkonzept. „Der Handlungsdruck ist massiv gestiegen“, mahnt Claudia Horbert, Klimaexpertin des EHI. „Das Energiemanagement im Handel muss sich zum CO2-Management wandeln“, sagt sie. „Die Branche muss sich jetzt auf den Weg zum klimaneutralen Handelsstandort machen.“
Ikea schafft es mittlerweile durch ein striktes Klimamanagement, dass seine CO2-Emissionen trotz wachsenden Umsatzes deutlich zurückgehen. Der Umsatz des Möbelkonzerns ist von 2016 bis 2021 um 17,9 Prozent gewachsen. Die Treibhausgasemissionen dagegen haben im gleichen Zeitraum um 6,5 Prozent abgenommen.
Elektroladesäulen vor einer Ikea-Filiale
Mit striktem Klimaschutzmanagement senkt der Möbelriese seine CO2-Emissionen.
Bild: mauritius images / L_martinez /
Ikea hat jedoch gegenüber vielen anderen Händlern den Vorteil, dass es seine Produkte selbst herstellt und deshalb dafür sorgen kann, dass die Produktionsprozesse nachhaltiger werden. So hat Ikea ausgerechnet, dass rund 45 Prozent der CO2-Emissionen aus den verwendeten Materialen stammen und weitere elf Prozent aus der Produktion.
„Der Handel steht vor der großen Herausforderung, dass er seine Lieferanten mit auf die Reise im Klimaschutz nehmen muss“, mahnt auch Klimaberater Wiechert. Schließlich fielen bis zu 90 Prozent der Emissionen entlang der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette an.
Viele Konsumgüterhersteller haben sich strengeren Klimaschutzzielen verschrieben. Persil-Hersteller Henkel etwa will bis 2025 den CO2-Verbrauch im Vergleich zu 2010 um 65 Prozent reduzieren. 2030 sollen die Produktionsprozesse gar klimapositiv sein und der Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien gewonnen werden.
Erreichen will das der Dax-Konzern mit einer cloudbasierte Datenplattform, mit der die weltweit 30 Standorte der Wasch- und Reinigungsmittelproduktion in Echtzeit verbunden werden. Dadurch kann Henkel sehen, welche Fabriken und Lagerhallen besonders wenig Strom oder Wasser benötigen.
Weil viele Prozesse ähnlich sind, ermöglicht das Rückschlüsse darauf, wie andere Standorte ihre Produktion effizienter gestalten können – etwa indem diese ihre Prozesse optimieren oder andere Maschinen nutzen. Seit Beginn des Projekts 2013 konnte Henkel nach eigenen Angaben pro Tonne Waschmittel über ein Viertel Energie einsparen.
Viele Markenartikler versuchen auch, grüner zu werden, indem sie auf nachhaltigere Verpackungen setzen. Die Firmen gestalten Tuben und Flaschen aus weniger Kunststoff, setzen auf Nachfüllstationen – oder setzen recyceltes Plastik ein.
Als Vorreiter bei diesem Thema gilt das Familienunternehmen Werner & Mertz, das für seine Reinigungsmittelmarke „Frosch“ bekannt ist. Schon jetzt bestehen deren Verpackungen zu 60 Prozent aus recyceltem Plastik.
Bis 2025 will Werner & Mertz Rezyklat, also sortenreinen, wiederaufbereiteten Kunststoff, in all seinen Verpackungen einsetzen. Aus Sicht des Inhabers Reinhard Schneider kann der grüne Umbruch nur mit einer konsequenten Kreislaufwirtschaft gelingen, in der kaum Müll anfällt, weil viele Materialien wiederverwertet werden.
Durch Recycling versucht auch Beiersdorf, seine Emissionen zu senken. Als weiteren Hebel sieht der Hersteller die Roh- und Inhaltsstoffe. Durch neue Formeln kann der Dax-Konzern nach eigener Aussage bei einzelnen Produkten bis zu 40 Prozent CO2 einsparen. So brachte Beiersdorf im Frühjahr eine überarbeitete Nivea-Soft-Creme auf den Markt.
Weitere Möglichkeiten sieht Beiersdorf im Bereich Logistik. Dort arbeitet der Konzern etwa daran, Fracht von Lastwagen auf die Schiene umzustellen. Bis 2025 will Beiersdorf seine CO2-Emissionen um 30 Prozent im Vergleich zu 2018 reduzieren. Zu diesem Zeitpunkt sollen auch alle Rohstoffe aus nachhaltigen Quellen stammen.
Nachhaltigkeit ist für mich kein nettes Extra, sie ist das Fundament unseres Handels. Marc Oppelt, Vorsitzender des Otto-Bereichsvorstands
Auch einige große Handelsunternehmen haben sich ehrgeizige Klimaziele gesetzt. Die Otto Group beispielsweise will bis 2030 in ihren Geschäftsprozessen klimaneutral sein. „Nachhaltigkeit ist für mich kein nettes Extra, sie ist das Fundament unseres Handels“, erklärt Marc Oppelt, Vorsitzender des Otto-Bereichsvorstands.
Ein Bündel an Maßnahmen soll Fortschritte beim Klimaschutz bringen. So soll beispielsweise die Zahl nachhaltiger Artikel auf der Plattform otto.de innerhalb der nächsten drei Jahre auf eine Million verdoppelt werden.
Ebenfalls bis 2025 sollen alle Versandverpackungen recycelt, biologisch abbaubar oder mehrwegfähig sein. Auch die Partner auf dem Otto-Marktplatz werden künftig verpflichtet, Kennzahlen zu CO2-Emissionen offenzulegen.
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Wie schwierig es ist, im sprunghaft angewachsenen Onlinehandel die Klimaziele einzuhalten, zeigt das Beispiel Amazon. So musste der US-Konzern, der bis 2040 klimaneutral sein will, kürzlich einräumen, dass seine CO2-Emissionen im vergangenen Jahr sogar um 18 Prozent gestiegen sind.
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