Hohe Inflation, Coronakrise und Ukrainekrieg sorgen im Einzelhandel für stark rückläufige Geschäfte. Ökonomen sagen der Branche anhaltend schwierige Zeiten voraus.
Baumaterialien
Besonders stark ist der Rückgang bei Möbeln, Haushaltsgeräten und Baumaterialien mit einem Minus von mehr als 16 Prozent.
Bild: IMAGO/Martin Müller
Berlin Die kriselnde Konjunktur macht auch vor dem deutschen Einzelhandel nicht halt. Im Juni ist der Umsatz der Branche so stark eingebrochen wie in 28 Jahren noch nicht. Die Einnahmen der Einzelhändler fielen um 8,8 Prozent niedriger aus als ein Jahr zuvor, wie das Statistische Bundesamt am Montag mitteilte. Die Statistiker halten die monatlichen Umsätze seit 1994 nach.
Besonders stark ist der Rückgang bei Möbeln, Haushaltsgeräten und Baumaterialien mit einem Minus von mehr als 16 Prozent. Selbst vom Boom des Internet- und Versandhandels aus der Coronazeit ist nicht mehr viel übrig. Hier fielen die Umsätze um 15,5 Prozent.
Der Hauptgrund für den Einbruch wird schnell in den Daten sichtbar. Beim Minus von 8,8 Prozent wurde die Steigerung der Preise herausgerechnet. Nominal – also wenn man mit den Preisen von früher rechnet – nahm der Umsatz dagegen nur um 0,8 Prozent ab. Heißt: Die Einzelhändler verkaufen weniger. Sie nehmen dabei auch weniger Geld ein, allerdings nicht so viel weniger, weil sie höhere Preise für ihre Waren bekommen.
Eine gute Nachricht ist das für die Branche trotzdem nicht. Die Einzelhändler haben viel höhere Kosten, die sie weiterzugeben versuchen. Und nach den starken Einbußen zu Hochzeiten der Coronapandemie hatten sie mit einem deutlichen Wachstum ihres Umsatzes gerechnet.
Doch die angespannte wirtschaftliche Lage erhöht nicht nur die Kosten der Einzelhändler, sondern lässt auch die Anzahl der Kunden schwinden. Die steigenden Preise, insbesondere für Energie und Nahrungsmittel, beschneiden zunehmend das Budget für andere Anschaffungen.
Die deutschen Haushalte hatten während der Coronapandemie zwar massive zusätzliche Ersparnisse angesammelt – zum Großteil aber bei den mittleren und oberen Einkommen, zeigen Berechnungen des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). IMK-Direktor Sebastian Dullien sagt: „Die einkommensschwachen Haushalte haben keine Rücklagen für die hohen Energiekosten, sie müssen gleich beim Konsum sparen.“
Im Vergleich zum Mai sind die Umsätze der Einzelhändler um 1,6 Prozent gesunken. Die Preisentwicklung würde „das Konsumklima spürbar beeinträchtigen“, heißt es vom Statistischen Bundesamt.
Viel spricht dafür, dass sich das auch so schnell nicht wieder ändert. Nils Janssen, Konjunkturforscher am Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW), sagt: „Die Inflation bremst die größte Aufschwungshoffnung: den Konsum.“ Die Inflationsrate ging im Juli mit 7,5 Prozent zwar leicht zurück, bewegt sich aber immer noch auf einem hohen Niveau.
Einkaufsstraße in Köln
Der deutsche Einzelhandel blickt auf ein schwieriges erstes Halbjahr zurück.
Bild: dpa
Das IfW hatte im Juni immerhin noch ein Wachstum des privaten Konsums von 3,4 Prozent für 2022 prognostiziert – inzwischen ist klar, dass diese nicht erreicht werden dürften. Die Schätzung des Instituts hätte allerdings auch nur etwa die Hälfte des Einbruchs aus der Coronakrise gutgemacht.
Allerdings gibt es noch eine Besonderheit. IMK-Direktor Dullien sagte: „Der Einbruch der Umsätze im Einzelhandel dürfte etwas überschätzt sein.“ Der Grund: Weil 2021 aufgrund der Pandemie viele Bürger ihren Auslandsurlaub ausfallen ließen, kauften sie mehr in Deutschland.
„Jetzt wird wieder mehr gereist und diese Einnahmen fallen weg“, erklärt Dullien. Er sagt aber auch: „Der Großteil des Einbruchs ist zweifelsohne auf die missliche Lage bei Konjunktur und Inflation zurückzuführen.“
Darauf weist auch das HDE-Konsumbarometer hin. Während sich das Barometer im Juli kaum veränderte, verzeichnet es im August einen deutlichen Rückgang um 2,94 Punkte. Mit einem Wert von 86,56 Punkten weist das Barometer ein Allzeit-Tief auf und zeigt damit eine weitere Eintrübung der Verbraucherstimmung in Deutschland an.
Das Barometer wird monatlich vom Handelsblatt Research Institute für den Handelsverband HDE berechnet und basiert auf einer repräsentativen Befragung von rund 1000 Verbrauchern. Basis ist der Januar 2017, damals wurde der Index auf den Wert 100 normiert.
>> Lesen Sie hier: Deutschland Letzter unter den Großen in Europa – Diese fünf Risiken bedrohen die Konjunktur
Maßgeblicher Treiber für den Rückgang des HDE-Konsumbarometers im August sind zwei Faktoren: Erster Faktor ist die sinkende Bereitschaft, Anschaffungen zu tätigen. Wie das Barometer zeigt, geht die Anschaffungsneigung um 5,27 Punkte ebenfalls auf ein Allzeit-Tief von 86,75 zurück. Die Bürger behalten ihr Geld lieber erst einmal bei sich.
Und zweiter Faktor sind die durch die deutlich steigenden Lebenshaltungskosten sinkenden Realeinkommen. Es bleibt häufig nicht mehr genug Geld für neue Anschaffungen.
Neben höheren Kosten für den Lebensunterhalt wappnen sich die Deutschen auch für weitere Kostenschübe. Ab Herbst wird es für alle Gasverbraucher eine neue Umlage geben. Über diese können die Versorger ihre Mehrkosten zu 90 Prozent weitergeben.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grünen) bezifferte die Mehrkosten auf mehrere Hundert Euro im Jahr pro Haushalt. Die Bürger legen offenbar auch dafür zunehmend Geld zurück, anstatt es auszugeben.
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