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28.11.2022

21:00

Streik

Österreich versinkt wegen hoher Inflation in Arbeitskämpfen – „Können nur verteilen, was im Börserl drin ist“

Von: Daniel Imwinkelried

Am Montag stand das staatliche Bahnunternehmen ÖBB still, im Einzelhandel drohen am Wochenende Streiks. Manager und Gewerkschaften sind mit der Inflation überfordert.

Der Zugverkehr in Österreich stand am Montag still. IMAGO/Alex Halada

Streik bei den ÖBB

Der Zugverkehr in Österreich stand am Montag still.

Wien Österreich erlebt in diesen Tagen heftige Arbeitskämpfe. Das Land hat seit zwanzig Jahren nicht solch einen Streiktag erlebt wie am Montag, heißt es. Die Angestellten der staatlichen Eisenbahn ÖBB (Österreichische Bundesbahnen) und von rund 60 weiteren Verkehrsunternehmen legten die Arbeit nieder. Außerdem stand der Betrieb in den Brauereien still.

Die Gewerkschaften drohen bereits, dass dies nur der Anfang sei. Spätestens am Wochenende werde es im Einzelhandel zu Streiks kommen, wenn die Arbeitgeber den Lohnforderungen nicht nachkämen.

Die große Aufregung um die Streiks am Montag hängt auch damit zusammen, dass die Eisenbahngewerkschafter zu den mächtigsten Arbeitnehmervertretern zählen. Wenn sie bei einem Betrieb mit Monopolstellung zum Streik aufrufen, sind davon viele Menschen betroffen und die Aktion ist sehr sichtbar.

Folglich war es am Wiener Hauptbahnhof, an dem sonst Gewusel herrscht, am Montag ruhig. Fast nur Fernreisende aus dem Ausland hielten sich dort auf. Sie hatten entweder nichts vom Streik gehört oder glaubten Gerüchten, wonach es „Alternativzüge“ gebe. Rund 8000 Verbindungen sind am Montag angeblich ausgefallen. Eine Million Fahrgäste waren betroffen.

Am Morgen und im Tagesverlauf ist das befürchtete Chaos auf den Straßen trotzdem ausgeblieben. Noch am Sonntag hatten Experten in Nachrichtensendern gemahnt, dass Pendler zu Wochenbeginn „gute Nerven im Frühverkehr“ benötigen würden.

Gewerkschaften fordern Lohnerhöhungen über der Inflationsrate

Die Menschen haben sich danach offenbar auf den Streik eingestellt. Ein Experte beim österreichischen ADAC-Pendant ÖAMTC meinte, die Pandemie habe die Menschen Flexibilität gelehrt. Sie seien in der Lage, rasch ins Homeoffice zu wechseln, wenn die Umstände dies verlangten. Zudem gebe es montags generell weniger Verkehr als früher. Der Grund dafür sei, dass die Angestellten den Tag nach dem Wochenende gern für das Arbeiten im Homeoffice nutzten.

Reisende warten am Hauptbahnhof in Wien. Die Gewerkschaft Vida startete am Montag einen österreichweiten Warnstreik, da bisher keine Einigung zu einem neuen Bahnkollektivvertrag erzielt werden konnte. dpa

Warnstreik in Österreich bei der Bahn

Reisende warten am Hauptbahnhof in Wien. Die Gewerkschaft Vida startete am Montag einen österreichweiten Warnstreik, da bisher keine Einigung zu einem neuen Bahnkollektivvertrag erzielt werden konnte.

Allerdings ist nicht nur der großflächige Streik für die meisten Österreicher eine neue Erfahrung, sondern auch die hohe Inflation. Entsprechend wissen viele Manager und Gewerkschaften nicht, wie sie mit dem Phänomen umgehen sollen.

Im Oktober betrug die Teuerung in Österreich 11,0 Prozent. Damit war sie leicht höher als in der Euro-Zone im Durchschnitt (10,6 Prozent). Noch liegen die Vorstellungen, wie die Lohnanstiege ausfallen sollen, bei den Parteien weit auseinander. So offerierten die ÖBB eine Gehaltserhöhung von monatlich 208 Euro für die ganze Belegschaft. Die Gewerkschaften dagegen wollen 400 Euro, was einem durchschnittlichen Anstieg von zwölf Prozent entspreche. „Die Bahn hat bei den Löhnen Nachholbedarf“, sagt Roman Hebenstreit von der Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft Vida.

Die ÖBB kontern, dass eine solche Erhöhung ökonomisch nicht machbar sei. Diese würde in der niedrigsten Lohnstufe über 20 Prozent betragen. „Wir können nur verteilen, was im Börserl drin ist“, meinte ÖBB-Chef Andreas Matthä. Ab dem kommenden Jahr gelte bereits ein Bruttomindestlohn von 2000 Euro für alle Angestellten der ÖBB. Teilweise lag dieser bei Mitarbeitern in den Bereichen Gastronomie, Sicherheit und Reinigung bei 1700 Euro.

Gerade fehlende Arbeitskräfte dürften die Gewerkschaften dazu veranlasst haben, Lohnerhöhungen über der Inflationsrate zu fordern. Für Einzelhandelsangestellte verlangen die Gewerkschaften einen Lohnanstieg von 8,5 Prozent. Wirtschaftsvertreter argumentieren, dass das Branchen in die Enge treibt, die ohnehin in Schwierigkeiten stecken.

Österreichs Einzelhandel steht unter Druck

Die Arbeitgeber dagegen bieten eine Zunahme von fünf Prozent ab 2023 und gleichzeitig eine Einmalzahlung von drei Prozent. Und sie verweisen dabei nicht auf die ausgewiesene Inflation, sondern auf die „rollierende“ von 6,9 Prozent: Das ist die durchschnittliche Jahresteuerung und laut den Arbeitgebern der übliche Maßstab bei Lohngesprächen.

Im österreichischen Einzelhandel ist das Personal derzeit besonders knapp. Gleichzeitig steht der Sektor unter Druck. Er muss nicht nur bei den Löhnen konkurrenzfähig bleiben, sondern sieht sich auch bei den Energie-, den Logistik- und den Einkaufspreisen mit den Forderungen der Lieferanten konfrontiert.

So ist in Österreich vielen wohl erst am Montag bewusst geworden, welches Problem die Inflation darstellt. In dieser Diskussion verweisen die Arbeitgeber auf den Staat. Immerhin federe dieser einen Teil der Teuerung mit Ausgleichszahlungen bereits ab, sagt ein Vertreter des Handels. Der Staat hatte die Bürger 2022 schon etwa mit einem Klimabonus von 500 Euro unterstützt. In diesen Aussagen schwingt die Erwartung mit, die Arbeitnehmer sollten sich mit ihren Forderungen zurückhalten, weil sie schon entschädigt würden.

Offen ist, wie es bei den ÖBB weitergehen wird. Gibt es weitere Streiks? Die Gewerkschaften haben es am Montag nicht bei einem kurzen Warnstreik belassen. Stattdessen haben sie mit einer Arbeitsniederlegung von 24 Stunden eine fortgeschrittene Eskalationsstufe gewählt.

So können eigentlich nur die Bierfans vorerst gelassen bleiben. Es ist zwar Fußball-Weltmeisterschaft, was die Nachfrage nach dem Getränk jeweils belebt. Trotz Streiks in den Brauereien muss aber niemand aufs Bier verzichten. Es gebe genug, sagten die Brauer am Montag.

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