Turkish Airlines
Die türkische Fluggesellschaft will ihr Angebot in Europa massiv ausbauen.
Bild: Reuters
Die türkische Fluggesellschaft verdient Milliarden – trotz mehr als 80 Prozent Inflation. Vorstandschef Ahmet Bolat will das Deutschlandgeschäft nun deutlich ausbauen.
Istanbul Während die Lufthansa mit ihren Mitarbeitern über Gehaltserhöhungen verhandelt, will Turkish Airlines ihrer Belegschaft einen Bonus von mehreren Monatsgehältern auszahlen. „Wir werden heute 200 Millionen US-Dollar als Bonus an unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausschütten“, kündigt Chairman Ahmet Bolat im Gespräch mit dem Handelsblatt an.
Am heutigen Dienstag soll das Geld an die insgesamt 72.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überwiesen werden – im Schnitt fast 2800 US-Dollar pro Mitarbeiter. Das entspricht beim Kabinenpersonal dem Drei- bis Fünffachen eines Monatsgehalts. „Damit wollen wir uns für die gute Arbeit während der schwierigen Covid-Jahre bedanken“, erklärt Bolat.
Turkish Airlines wird nach eigenen Angaben in diesem Jahr erstmals einen höheren Profit einfahren als die Lufthansa-Gruppe und will in Europa expandieren. Die Fluggesellschaft will mehr Slots und damit Marktanteile an deutschen und europäischen Flughäfen.
„Wir wollen in Deutschland und Europa im kommenden Jahr um 20 Prozent wachsen“, kündigt Bolat an. Angesichts der Pläne der Billigflieger Easyjet und Ryanair, ihre europäischen Kapazitäten nicht auszubauen oder sogar zurückzufahren, sind die Aussagen des türkischen Top-Managers eine klare Ansage, die Lücke an europäischen Flughäfen teilweise füllen zu wollen.
Und während Lufthansa auch über Zukäufe wachsen will, soll das Wachstum bei Turkish Airlines weiterhin organisch sein. An den Star-Alliance-Partner und Konkurrenten erneuert Bolat das Angebot, die Kooperation auszubauen, etwa in Ostafrika und Zentralasien. „Turkish Airlines kann aufgrund der geografischen Nähe im Gegensatz zur Lufthansa Group kleinere und effizientere Flugzeuge einsetzen“, argumentiert Bolat. Zu Lufthansa-Chef Carsten Spohr sei das Verhältnis gut.
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Der Ausbau in Europa soll vor allem über die Billigtochter Anadolu Jet erfolgen. Die derzeitige Flotte mit rund 70 Maschinen soll rasch auf 100 ausgebaut werden. „Innerhalb der nächsten zehn Jahre gehen wir davon aus, dass die Anadolu-Flotte auf 200 Flugzeuge anwachsen wird.“ Auch in den USA verfolgt der teilstaatliche Konzern ambitionierte Pläne und will im kommenden Jahr mit zwei Millionen Touristen doppelt so viele in die Türkei locken.
Dass es ausgerechnet Turkish Airlines gelingt, das Geschäft so schnell auszubauen, überrascht angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Situation in dem Land. Mit 85,5 Prozent hat die Inflation ein 24-Jahres-Hoch erreicht. Die Lira hat seit Jahresbeginn mehr als 28 Prozent gegenüber dem US-Dollar verloren.
Doch die Wirtschaft wächst, und viele Unternehmen in der Türkei verdienen prächtig. Der Lufthansa-Konkurrent hat im dritten Quartal 1,5 Milliarden US-Dollar Gewinn verbucht, bei 6,1 Milliarden Dollar Umsatz. Zum Vergleich: Die Lufthansa Group hatte nach einer lukrativen Sommersaison im dritten Quartal nach Abzug der Kosten etwa 809 Millionen Euro (790,8 Millionen US-Dollar) verdient.
Auch in anderen Branchen wächst das Geschäft in der Türkei: Die türkische Tochter der Schweizer Supermarktkette Migros hat im dritten Quartal den Reingewinn um 407 Prozent gesteigert, der Bierhersteller Anadolu Efes um 274 Prozent, das Auto-Joint-Venture Ford Otosan um 102 Prozent, der Kommunikationsdienstleister Turkcell immer noch um 68 Prozent.
Viele multinationale Konzerne verlagerten zuletzt ihre regionalen Unternehmenszentralen an den Bosporus, erklärt Burak Daglioglu, Präsident der Investmentagentur des türkischen Präsidialamtes. Manager flögen daher häufig von Istanbul in die Region und ihre Zentralen in aller Welt. „Davon profitiert auch Turkish Airlines mit ihrem großen Streckennetz.“
Mit Wachstum im Passagierbereich kennt sich der neue Turkish-Airlines-Chef bestens aus. Seit seinem Einstieg bei der Airline im Jahr 2005 hatte Bolat als Flottenmanager rund 400 Flugzeuge für das Unternehmen gekauft und 150 geleast. Im Januar 2022 wurde der 62-Jährige zum Chairman berufen, nachdem sein Vorgänger Ilker Ayci von seinem Amt zurückgetreten war. Seine größte Herausforderung war von Beginn an, die Airline aus dem Pandemie-Modus rauszuholen. Mit dem Ukrainekrieg sind zudem die Preise für Kerosin und Energie deutlich gestiegen.
Turkish Airlines geriet seit dem Frühjahr vor allem in die Schlagzeilen, weil das Unternehmen weiter Flüge nach Russland anbietet. Die Airline beruft sich darauf, dass die Türkei keine Sanktionen gegen das Land verhängt habe.
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Als zu Kriegsbeginn im Februar und im Zuge der Verkündung einer militärischen Teilmobilmachung Russlands viele Menschen das Land verlassen wollten, blieb vielen Russen vor allem Turkish Airlines als Fluggesellschaft übrig, um vor einem Einzug durch das Militär zu fliehen. Teilweise zahlten Russen mehr als 1000 US-Dollar für einen einfachen Flug etwa von Moskau nach Istanbul. Auf Portalen wie Flightradar24 war im September zu sehen, dass Turkish Airlines in jenen Tagen teils größere Flugzeuge als üblich einsetzte, um die Nachfrage zu bedienen.
Es lässt sich nicht abstreiten, dass die Gesellschaft daran verdiente, dass Menschen aus politischen Gründen ihr Heimatland verlassen wollten. Dennoch dürfte der Beitrag zum Gesamtergebnis gering sein. Auf die Frage, ob Turkish Airlines auch in Russland expandieren will, gibt Bolat eine klare Antwort: „Nein.“
Für das weitere Wachstum setzt Chairman Bolat übrigens nicht nur auf Sonnenanbeter, sondern auch auf Gesundheitstouristen, die den Istanbul-Städtetrip mit einer Schönheits-OP verbinden. Liftings, Haartransplantationen oder komplizierte Zahnbehandlungen sind in der Türkei deutlich günstiger als in Europa.
Vor der Pandemie verdienten türkische Firmen damit eine Milliarde Dollar pro Jahr. In diesem Jahr waren es 2,5 Milliarden Dollar, und im kommenden Jahr könnten es Marktschätzungen zufolge fünf Milliarden Dollar sein – und Turkish Airlines verdient an jedem Patienten aus dem Ausland kräftig mit, hofft Bolat. „Man kann für 6000 Euro eine Behandlung und einen Urlaub als Paket buchen – das ist günstiger als so manche rein touristische Reise in einen anderen Teil der Welt.“
Erstpublikation am 08.11.22, um 18.23 Uhr.
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