Wegen der Sanktionen verlagern sich Verkehre aus Deutschland an den Persischen Golf und in die Türkei – zulasten deutscher Airports und Airlines.
Jet von Lufthansa Cargo
Die Frachttochter des Lufthansa-Konzerns kann wegen der Umwege um Russland derzeit zehn Prozent weniger Fracht an Bord mitnehmen, da sie mehr Treibstoff tanken muss.
Bild: 60056006 © Bernd Hartung / Agentur Focus
Frankfurt Der Frankfurter Flughafen bekommt die Folgen des Ukrainekriegs zu spüren. Das größte deutsche Drehkreuz müsse aktuell auf rund zehn Prozent an Frachtvolumen verzichten, sagte Fraport-Chef Stefan Schulte am Dienstagvormittag bei der Vorstellung der Bilanz für das Jahr 2021. Dabei geht es um mehr als nur den Ausfall wegen der Sanktionen gegen Russland. Der führt laut Schulte nur zu einem Frachtrückgang um rund 4,5 Prozent. „Es kann auch sein, dass sich das eine oder andere im Frachtbereich in den Mittleren Osten verlagert“, so der Fraport-CEO.
Der Ukrainekrieg könnte die Gewichte in der Luftfahrt verschieben. Weil Deutschland seinen Luftraum für Flugzeuge aus Russland geschlossen hat, ist der russische Luftraum für deutsche Airlines gesperrt. Bisher flogen sie über Russland, genauer über Sibirien, zu Zielen in Asien. Nun müssen sie einen größeren Bogen um das Land machen.
Nach Angaben des Luftfahrtbranchenverbands BDL verlängern sich die Flugrouten um bis zu 28 Prozent. Sollte sich der Konflikt ausweiten und auch der Luftraum über Kasachstan geschlossen werden, würden sich die geflogenen Meilen zusätzlich um 30 Prozent erhöhen.
Die Folge für die Flughäfen und die Fluggesellschaften: Es wird schwerer, mit Wettbewerbern vom Persischen Golf und aus der Türkei mitzuhalten. Da die Regierung in Istanbul russisches Fluggerät weiterhin ins Land lässt, dürfen Anbieter wie Turkish Airlines Russland ansteuern und überfliegen. Die Drehkreuze von Emirates, Etihad und Qatar Airways liegen wiederum geografisch so, dass die Airlines Russland in Richtung Asien überhaupt nicht kreuzen müssen.
Aktuell ist vor allem die Luftfracht betroffen, weil wegen der strengen Coronamaßnahmen etwa in China nur wenige Passagiere nach Asien reisen. Doch je länger der Krieg dauert, je länger Russland seinen Luftraum geschlossen hält, desto stärker könnte auch der Passagierverkehr leiden.
Nach Angaben des BDL entfielen im Passagiermarkt von Deutschland nach China, Japan und Korea in normalen Zeiten 45 bis 50 Prozent des Verkehrs auf deutsche Fluggesellschaften. Gut möglich, dass dieser Anteil bei einem längeren Konflikt in der Ukraine zugunsten ausländischer Airlines schrumpfen wird.
Warum, zeigt das Beispiel Luftfracht: Um die Kernmärkte China, Korea und Japan zu erreichen, müssen die Frachter von Lufthansa Cargo bis zu zweieinhalb Stunden länger in der Luft bleiben, bei parallel steigenden Betriebskosten.
Zudem müssen die Flugzeuge mit mehr Treibstoff betankt werden, was die Frachtkapazität um etwa zehn Prozent schmälere, rechnete Dorothea von Boxberg, die Chefin von Lufthansa Cargo, kürzlich vor. Die Konkurrenz am Persischen Golf könne dagegen unbegrenzt fliegen. „Die Sanktionen, die wir voll unterstützen, sind natürlich ein gewisser Wettbewerbsnachteil“, sagte von Boxberg.
Hinzu kommen stark steigende Treibstoffpreise. Einen Extraaufschlag wegen all dieser Folgen will die Cargo-Chefin gleichwohl nicht erheben. „Für uns ist das keine Frage von Extragebühren, es ist grundsätzlich eine Frage des Preises“, sagte sie. Inwieweit die Kunden die Mehrkosten übernehmen würden, hänge aber natürlich vom Angebot und der Nachfrage ab.
Genau das könnte sich aber als Problem erweisen. Luftfracht aus Deutschland wird nicht nur teurer, Flüge etwa von Lufthansa Cargo verlieren wegen der Umwege auch ihren Zeitvorteil gegenüber einem Transport über Flughäfen wie Dubai oder Istanbul. Für Spediteure, aber auch Frachtbroker wird die Konkurrenz etwa vom Persischen Golf also zu einer echten Alternative.
„Für den deutschen Luftfrachtstandort sind Wettbewerbsnachteile zu erwarten, und eine Verlagerung von Frachtströmen droht“, warnt der Branchenverband BDL. Die Golf-Carrier würden indirekt vom russischen Überflugverbot für deutsche und europäische Carrier profitieren und Marktanteile gewinnen.
Die Abhängigkeit vom Frachtverkehr in Richtung Asien ist groß, nicht nur in Frankfurt. Am Flughafen Leipzig/Halle machen die Verbindungen in Richtung Asien rund ein Fünftel des gesamten Frachtvolumens aus. Inwieweit sie dem nun wachsenden Wettbewerb mit Angeboten etwa vom Persischen Golf standhalten können, ist offen.
Wie schnell die Wettbewerber die Nachteile europäischer Fluggesellschaften ausnutzen, lässt sich am Beispiel des Passagierverkehrs mit Russland aufzeigen. Auch hier gilt: Airlines vom Persischen Golf und aus der Türkei steuern Russland weiter mit ihren Passagierflugzeugen an. Einige dieser Anbieter haben ihr Angebot schon kurz nach Ausbruch des Kriegs erhöht – zum Teil sogar deutlich. Das belegen Daten, die die auf Reisen konzentrierte Datenplattform Forward Keys für das Fachportal Aerotelegraph zusammengestellt hat.
Die Experten schauten sich die Flugpläne mehrerer Fluggesellschaften in der Woche ab dem 7. März an und verglichen sie mit dem Angebot in der Woche ab dem 21. Februar, also den Tagen unmittelbar vor der Invasion in die Ukraine. Danach steigerte Turkish Airlines die Sitzplatzkapazität auf Verbindungen nach Russland um 28 Prozent. Air Arabia kommt auf ein Plus von 20 Prozent und Flydubai auf acht Prozent. Etihad fuhr das Angebot um drei Prozent hoch, Emirates und Qatar Airways steigerten ihres um jeweils ein Prozent.
Fraport-Chef Schulte fürchtet bisher dennoch keine großen Marktverschiebungen: „Der Standort Deutschland ist stark.“ Für Frankfurt erwartet er in diesem Jahr bis zu 46 Millionen Passagiere, nach 24,8 Millionen im vergangenen Jahr. Das Betriebsergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) soll von rund 314 auf bis zu 440 Millionen Euro steigen.
Gleichzeitig schränkte er aber ein: „Wir wissen im Moment nicht, wie sich der Angriff auf die Ukraine über steigende Energiepreise und möglicherweise das Hineinrutschen in eine Rezession auswirken wird.“
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×