Vor den Toren der thüringischen Kapitale startet der Versandkonzern die wohl größte Teppich-Drehscheibe Europas. Entgegen dem allgemeinen Trend konnte der Händler den Teppichabsatz steigern.
Teppichlager von Hermes Fulfilment in Erfurt
„Das Geschäft lebt von großen Volumina“, beschreibt Hermes-Fulfilment-Chef Kufs das Geschäft.
Bild: Otto Group
Erfurt Am Wareneingangstor stapeln sich 1200 naturweiße Kunstfaser-Flokatis, per Lastwagen wurden sie aus der Türkei angeliefert. Den Namen des Modedesigners „Guido Maria Kretschmer“ hat der Absender auf die Markenschilder gedruckt. Andere Teppiche, die Gabelstapler an diesem Nachmittag in die sechsstöckigen Hochregale verfrachten, vertreibt die Hamburger Otto Group unter den Namen „Bruno Banani“ und „Paco Home“.
Etwa 300.000 Teppiche sollen bis Anfang März in den Regalen liegen, wenn die Warendrehscheibe vor den Toren Erfurts ihren Vollbetrieb aufnimmt. Die gelagerten Stoffbahnen würden ausreichen, um ein Drittel des Fürstentums Monaco zu bedecken, wenn man dies denn wollte. „Ein größeres Teppichlager in Europa ist uns nicht bekannt“, sagt Kevin Kufs, CEO der Otto-Tochter Hermes Fulfilment, zu der das 50.000 Quadratmeter große Lagergebäude gehört.
Bislang hatte Deutschlands mächtigster Versandhauskonzern seine Stoffrollen, darunter 15 handgeknüpfte Perserteppiche zum Stückpreis von 120.000 Euro, an den unterschiedlichsten Standorten gelagert – vor allem im westfälischen Löhne und im thüringischen Ohrdruf. Doch eine solche Dezentralisierung, entschied das 16,1 Milliarden Euro Jahresumsatz schwere Familienunternehmen, will man sich nun nicht mehr leisten.
Mit dem Neubau in Erfurt, errichtet und gemietet vom Immobilienentwickler Goldbeck, überflügelt Otto seit der Jahreswende sogar Deutschlands traditionelles Teppich-Lagerzentrum, die historischen Gebäude der Hamburger Speicherstadt. Dort lagern zwar immer noch Wettbewerber mit orientalisch klingenden Namen wie Rahvar, Farhadian oder Sherzada ihre Stoffrollen – allein der Anbieter Rugway bietet in den Backstein-Lagerhäusern Handgeknüpftes aus Isfahan, Turkmenistan und Anatolien auf 20.000 Quadratmetern. Doch die Zahl der Anbieter sank in den vergangenen Jahren beträchtlich. Von den einst mehreren Hundert Firmen blieben bis heute kaum zwei Dutzend übrig.
Hermes-Fulfilment-CEO Kevin Kufs (rechts), Erfurter Standortmanager Lutz Kupfer
Neues Warenlager für mehr als 600.000 Quadratmeter Teppiche bricht den Rekord in Europa.
Bild: Otto Group
„Die Flächen in Hamburg sind heute absurd teuer“, klagt Kufs. Die Elbmetropole liege ohnehin nicht ausreichend zentral, um die Haushalte im Land bequem zu beliefern. Der hanseatischen Heimat zog Aufsichtsratschef Michael Otto deshalb die thüringische Landeshauptstadt vor.
Mehr noch dürfte überraschen, dass der Konzern nach eigenen Angaben zweistellige Millionenbeträge ausgerechnet in den Verkauf von Berbern, Persern oder Flauschwaren investiert, deren Warenwert im Lager außerdem einen dreistelligen Millionenbetrag bindet. Denn ein Selbstläufer ist das Geschäft keineswegs.
Für 2022 ermittelte das Institut für Handelsforschung (IfH) nur noch einen Handelsumsatz mit textilen Bodenbelägen von 1,9 Milliarden Euro. In den zurückliegenden neun Jahren sind die Erlöse mit Teppichen in Deutschland damit um 15 Prozent gesunken, berichtet das Kölner Institut.
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An Deutschlands größtem Versender, der seine Teppiche über die Onlineshops „Otto.de“, „Heine.de“ und „Baur.de“ vertreibt, ging dieser Einbruch offenbar vorbei. „Mit Teppichen erleben wir zwar kein so rasantes Wachstum wie etwa im Fashion-Sortiment“, berichtet Kufs. Der Absatz sei jedoch „relativ konstant“ und in den vergangenen Jahren sogar leicht gewachsen. Zudem zählt diese Warengruppe aus Sicht von Hermes Fulfilment zu den wesentlichen Bestandteilen im Versandangebot.
Dass dies in den kommenden Jahren so bleiben dürfte, liegt an einer Besonderheit des Teppichhandels: Verdient wird das Geld mit der Knüpfware nicht im Verkauf, sondern im Einkauf und in der Logistik – zwei Disziplinen, in denen die Otto Group den meisten Konkurrenten längst enteilt ist.
„Das Geschäft lebt von großen Volumina“, sagt Manager Kufs. Um möglichst günstige Preise zu erzielen, würden zum Beispiel bei Badematten nicht selten Chargen von 50.000 bis 60.000 Stück eingekauft. Weil sich der Abverkauf oftmals über ein Jahr hinziehe, seien enorme Lagerkapazitäten notwendig – samt aufwendigem Brandschutz und ausgeklügeltem Retourenmanagement.
Mit all dem kennt sich die Otto Group aus wie nur wenige andere. Allein in Europa betreibt sie über ihre Tochter Hermes Fulfilment 17 Lagerstandorte, in denen zusammen fast 10.000 Mitarbeiter beschäftigt sind. Hinzu kommt die Auslieferung durch den Hermes Paketservice und – für sperrige Güter ab 1,20 Meter Länge und 31,5 Kilogramm Gewicht – durch den Hermes Einrichtungsservice, einen Liefer- und Aufbaudienst, der stets mit zwei Mitarbeitern gleichzeitig beim Kunden klingelt.
Auch ins sogenannte „Sourcing“, das Beschaffen von Teppichen im Ausland, hat der Versandhändler kräftig investiert, um gegen Rivalen wie den Möbelhändler Höffner oder den US-Konzern Amazon anzutreten. Eigene Einkaufsbüros unterhält die Otto Group unter anderem in Pakistan, Indien, China und der Türkei.
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Selbst die Havarie im Suezkanal 2021 und die Container-Engpässe während der Coronapandemie konnten die Hamburger damit meistern. „Unser Lieferketten-Management ist zu einem marktdifferenzierenden Faktor geworden“, glaubt Kufs.
Doch restlos zufrieden ist der 35-Jährige noch nicht. Zusätzliche Robotik soll her, möglichst verfeinert durch Künstliche Intelligenz (KI). „Wir planen eine Partnerschaft mit Boston Dynamics“, berichtet Kufs dem Handelsblatt. Gemeinsam mit dem US-Start-up teste man derzeit etwa den Einsatz von fahrerlosen Transportsystemen, die künftig beispielsweise Paletten einlagern sollen.
Vielversprechend seien zudem die im Test befindlichen Kameras, die per KI automatisch Artikel erkennen, etwa um sie für den Warenausgang zu kommissionieren. Auch an Greifrobotern, die bald schon ganze Container entladen könnten, wird in den Fulfilment-Lagerhallen gewerkelt. „Was uns jetzt noch fehlt“, bemerkt ein Erfurter Standortmanager und zeigt dabei auf die meterhohen Lagerregale, „ist eigentlich nur noch der fliegende Teppich.“
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